Das Land versucht, Herdenhaltern die Rückkehr des Wolfes zu versüßen – wohl vergeblich.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Aus politischer Sicht zählt zur Funktion von Sprache, Tatsachen zu verbrämen: „Wenn Sie ein Rissereignis haben . . .“, sagt Carmen Misch. Gemeint ist: Wenn ein Wolf ein Schaf tötet. Misch arbeitet im Böblinger Landratsamt und erklärt die Details von etwas, das die Landesregierung möglichst aussagefrei „Förderkulisse Wolfsprävention“ getauft hat.

 

Vor Carmen Misch sitzen rund 30 Hirten. Sie sind gekommen um zu hören, was die Damen und Herren des Landtags in Stuttgart über ihre Arbeit auf Weiden und in Wäldern geurteilt haben. Die sogenannte Förderkulisse gilt den Herdenhaltern eher als Drohkulisse. Vordergründig ist in dem Papier geregelt, dass die Hirten Zuschüsse bekommen, um ihre Tiere vor Wölfen zu schützen. Tatsächlich ist geregelt, was sie zusätzlich zu arbeiten haben, damit sie künftig Schadenersatz bekommen, falls ein Wolf ihre Tiere tötet. Außerhalb des Gebiets der Förderkulisse hat darauf jeder ein Recht. Innerhalb gelten Sonderregeln. „Wissen Sie eigentlich, was das für eine Knochenarbeit ist?“, fragt einer von ihnen und antwortet selbst: „Das wissen Sie nicht.“ Er meint damit das Tragen und das Aufstellen mobiler Elektrozäune in der Wildnis, die künftig höher und damit auch schwerer zu sein haben.

44 tote Schafe waren der Anlass für die Sonderregeln

Ende April hat ein Wolf bei Bad Wildbad 44 Schafe getötet. Dieser Satz empört Naturschützer, weil nicht allen Tieren die Kehle aufgerissen wurde. Einige ertranken in der Enz, weil sie sich auf der Flucht die Knochen gebrochen hatten. Wolfsfreunde mögen sie nicht dem Wolf GW 852m als Opfer zurechnen. GW 852m – das Kürzel ist der amtliche Name des Raubtiers. Sogar sein Gencode ist bekannt, denn wenig wird in Deutschland lückenloser überwacht als ein Wolf.

Weshalb bewiesen ist, dass GW 852m sich wohl fühlt bei Bad Wildbad. Seit gut einem halben Jahr streift er dort durch die Wälder. Eben dies war der Anlass für das Niederschreiben der „Förderkulisse Wolfsprävention“. 30 Kilometer rund um Bad Wildbad gelten für Tierhalter neue Vorschriften. Die Fläche umfasst 3700 Quadratkilometer. In ihr liegen 83 Gemeinden, sieben davon im Landkreis Böblingen. Die größte unter ihnen ist Herrenberg.

Der Landesumweltminister lobt sich selbst

Der grüne Landesumweltminister Franz Untersteller lobt sich selbst dafür, dass er ein besonders großes Gebiet zum Wolfsrevier erklärt hat. Gemäß wissenschaftlicher Erkenntnis hätten 200 bis 250 Quadratkilometer gereicht. Untersteller lobt auch die Großzügigkeit des Landes. Tierhalter können bis zu 90 Prozent der Kosten für spezielle Schutzzäune als Zuschuss bekommen, überdies 1950 Euro pro Jahr für den Kauf und die Haltung eines Herdenschutzhundes, der in einem Kampf einem Wolf ebenbürtig wäre. „Nicht das Land ist großzügig“, sagt einer der Hirten allerdings, „wir sind großzügig, weil wir das überhaupt noch machen“. Er rechnet anders als der Minister. Der Zaun um seine Herde würde rund 100 000 Euro kosten. „Bei 90 Prozent Zuschuss muss ich immer noch 10 000 bringen“, sagt er. Solche Summen sind für Kleinschäfer nicht zu erwirtschaften. Realistisch gerechnet, liegt ihr Verdienst unter dem Mindestlohn.

Das Kernproblem der Herdenhalter ist, dass der Minister sie nicht bittet, ihre alten Zäune zu entsorgen und neue zu kaufen, er zwingt sie. Im Gebiet der Förderkulisse müssen Herdenhalter ihre Tiere künftig mit Zäunen schützen, die mindestens 90 Zentimeter hoch sind, mit mindestens 4000 Volt unter Strom stehen und so im Boden verankert sind, dass Wölfe sich nicht unter ihnen durchwühlen können. „Ich empfehle, das gut zu dokumentieren“, sagt Micha Herdtfelder vom Landwirtschaftsministerium. Wer den Beweis nicht führen kann, könnte Probleme bekommen mit dem Schadenersatz nach einer Attacke.

Der Zuschuss für den Herdenschutzhund bleibt zunächst ohnehin Theorie. Hirten können ihn beim Land zwar beantragen, sofern sie eine Schulung absolvieren und einen zertifizierten Hund kaufen. Ob der Zuschuss gewährt wird, muss allerdings irgendwann eine höhere Stelle entscheiden, denn für dieses Requisit der Förderkulisse fehlt noch die Einwilligung der Europäischen Union.