Wannweil bei Reutlingen will den Rettungshubschrauber nicht haben. Der Leonberger OB und zwei FDP-Abgeordnete sehen große Mängel im Gutachten. Einsatzzahlen steigen.

Im Raum Leonberg dürften bisher nur die Wenigsten die Gemeinde Wannweil gekannt haben. Seit Mittwoch ist das anders. Der Gemeinderat des 5000-Einwohner-Ortes nahe Reutlingen hat eine Stationierung des Rettungshubschraubers Christoph 41 abgelehnt. Die Lärmbelastung der Bevölkerung, so der Tenor im Rat, sei zu groß.

 

Und damit ist einer der beiden möglichen Alternativstandorte für den in Leonberg stationierten Helikopter vom Tisch. Das Thema aber noch lange nicht.

Streit schwelt vier Jahre

Seit vier Jahren schwelt der Streit um die Zukunft des Rettungshubschraubers Christoph 41, der seit 31 Jahren am Krankenhaus in Leonberg stationiert ist. Durch die Lage im Ballungsraum mit der Metropole Stuttgart und der Nähe zu zwei Autobahn-Drehkreuzen ist der Helikopter zu einem wichtigen Faktor in der Notfallversorgung geworden. Der Verletztentransport in der Luft kann die entscheidenden Sekunden bringen, die lebensrettend sind.

Doch ein Gutachten zur Neustrukturierung der Luftnotrettung aus dem Jahr 2018 hat erheblichen Wirbel verursacht. Die von der grün-schwarzen Landesregierung in Auftrag gegebene Untersuchung kam zum Schluss, dass der Bereich Reutlingen/Tübingen rettungstechnisch unterversorgt ist. Deshalb solle Christoph 41 von Leonberg in diese Region verlegt werden.

Petition mit 28 000 Unterstützern

Der Aufschrei im Großraum Stuttgart war und ist groß. Nicht nur in Leonberg. Auch namhafte Mediziner aus Stuttgarter Kliniken sprechen sich nachdrücklich für einen Verbleib des Hubschraubers in Leonberg aus. Die Feuerwehr und das THW initiierten eine Petition, die fast 28 000 Unterstützer gefunden hatte. Dennoch stimmte eine grün-schwarze Mehrheit im Mai im Petitionsausschuss des Landtages gegen die Petition.

Die Kritik am Gutachten reißt seither nicht ab. Besonders die beiden FDP-Landtagsabgeordneten Hans Dieter Scheerer aus Weil der Stadt und Erik Schweickert aus Pforzheim haken kontinuierlich nach und haben jetzt sogar das Gutachten zum Gegenstand einer offiziellen Anfrage im Parlament gemacht. Sie wollten wissen, inwiefern wirtschaftliche Aspekte bei der geplanten Neustrukturierung der Luftrettung im Land eine Rolle spielen.

„Es ist äußerst bemerkenswert, dass von Anfang an geplant war, zusätzliche Rettungshubschrauberstandorte nur einzurichten, wenn Verschiebungen bestehender Standorte keine bedarfsgerechte Versorgung ermöglichen“, kritisiert Schweickert. „Gleichzeitig spielten jedoch die Investitionskosten für neue Standorte keine Rolle. Bei Kosten von drei bis fünf Millionen Euro für neue Stationen, die eben auch bei jeder Verschiebung anfallen, müsste es auch eine Option sein, auf Verschiebungen von zwei Standorten zu verzichten und stattdessen eine neue, zusätzliche Rettungsstation zu schaffen“, sagt der Enzkreis-Abgeordnete.

Schließlich widerspreche sich die Landesregierung mit ihrer Argumentation, dass für sie eine optimierte Patientenversorgung und nicht die Kostenfrage entscheidend sei, meint der Abgeordnete. „Sie räumt selbst ein, dass die Einsatzzahlen künftig steigen werden und vergisst dabei sogar die Sekundäreinsätze“, bemängelt Schweickert. „Die Regierung erklärt indirekt, dass die Verschiebung von zwei Standorten für das Land mit großer Wahrscheinlichkeit teurer wird, als die Schaffung eines zusätzlichen Standorts im Raum Tübingen. Das passt einfach nicht zusammen! Der Verzicht auf den Abzug von Christoph 41 beim Realisieren einer neuen Luftrettungsstation muss jetzt endlich seriös geprüft werden“, fordert Schweickert.

OB: Gutachten infrage stellen

Das aktuelle Gemeinderatsvotum von Wannweil hat für den Leonberger Oberbürgermeister eine klare Botschaft: „Die Entscheidung in Wannweil bestätigt, dass eine neue Standortsuche des Rettungshubschraubers für das Land Baden-Württemberg kaum realisierbar ist“, sagt Martin Georg Cohn auf Anfrage unserer Zeitung. „Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz in der Bürgerschaft ist es nach wie vor unverständlich, warum das Innenministerium nicht erkennt, was für ein Vorteil der Hubschrauberstandort Leonberg für die Bevölkerung ist.“

Der Sozialdemokrat Cohn erwartet vom Innenministerium „jetzt erst recht, dass die Standortverlegung nun infrage gestellt wird – auch vor dem Hintergrund, dass im Gutachten wichtige Parameter wie zum Beispiel das Wetter und die Flugminuten nicht berücksichtigt wurden.“

Christoph mehr unterwegs

Die Zahlen der Luftrettung sprechen für sich: Insgesamt 19 791 Mal wurden die Besatzungen der bundesweit 29 Stationen sowie der zwei Ambulanzflugzeuge von Januar bis Juni 2022 alarmiert. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stellt dies einen Zuwachs von acht Prozent dar.

544 Mal war Christoph 41 im ersten Halbjahr im Einsatz. Damit ist auch hier die Tendenz steigend. Im vergangenen Jahr war der Hubschrauber insgesamt 1088 Mal unterwegs. In den meisten Fällen eilten die Retter zu akuten Unfällen. 60 Mal transportierte Christoph 41 kritisch kranke Patienten oder Schwerverletzte zwischen Kliniken.