Die Initiative gibt es schon seit 20 Jahren. Der gemeinnützige Verein finanziert sich ausschließlich über Spenden, die von überall aus der Rankbachstadt zusammenkommen. Erschreckend ist: die Bedürftigkeit nimmt immer weiter zu.

Renningen – Es sind noch acht Tage bis zum Monatsende. Noch acht Tage, dann endlich kommt neues Geld aufs Konto. Doch Sabine L. aus Renningen (Name von der Redaktion geändert) hat schon jetzt so gut wie nichts mehr übrig. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern weiß nicht, wie sie in den nächsten Tagen die hungrigen Mäuler ihrer Kleinen stopfen soll. Sie braucht Geld – und wendet sich an Roland Schäfer.

 

Gemeinsam mit dem Leiter der Friedrich-Schiller-Schule, Gerhard Kicherer, sitzt er an der Spitze des Vereins „Aktion Notnagel“. Das ist ein Angebot für Betroffene in Renningen und Malmsheim, das einen mildtätigen Zweck verfolgt. Die Fälle, die beim Notnagel auf den Tisch kommen, sind ganz unterschiedlich. „Die einen brauchen Geld für Kleidung oder Essen, andere können ihre ausstehenden Rechnungen nicht mehr bezahlen“, erzählt Roland Schäfer.

Schnell, unbürokratisch und gezielt – nach diesem Grundsatz arbeitet das ehrenamtliche Team schon seit 20 Jahren. Beim Stichwort „schnell“ allerdings wird Roland Schäfer hellhörig. „Bei mir hat auch schon jemand an der Haustüre geklingelt, weil er dringend Geld gebraucht hat“, erzählt er. Doch einfach so könne er niemandem etwas geben. Man müsse gezielt hinterfragen, sich die jeweilige Situation anschauen und dann abwägen, erklärt Vorstandskollege Gerhard Kicherer. „Aber wenn die Not offensichtlich da ist, zahlen wir natürlich schnell.“ Beträge bis zu 250 Euro könne der Verein in Notfällen auch mal sofort auszahlen.

Der Notnagel ist längst ein fester Bestandteil des sozialen Geschehens in der Rankbachstadt. Und der Bedarf ist da, sagt Gerhard Kicherer. „Sogar mehr denn je.“ Gründe gibt es viele. Über die Jahre seien die Lebenshaltungskosten ebenso gestiegen wie etwa die Energiekosten. Kicherer führt die zunehmende Bedürftigkeit aber auch auf die Hartz IV-Regelungen zurück, in denen keine Sonderzuwendungen mehr vorgesehen seien, wie etwa früher bei der Sozialhilfe. „Stattdessen sollen die Menschen jeden Monat selbst etwas zurücklegen, um auf Reparaturen oder Stromnachzahlungen vorbereitet zu sein“, sagt der Schulleiter. Wie das bei den teils knappen Zuwendungen funktionieren soll, ist ihm schleierhaft.

Doch wer sind die Menschen, die so in Not geraten sind, dass sie die Hilfe in Anspruch nehmen müssen? „Das sind Rentner, Alleinerziehende oder solche, die krank geworden sind und ihren Job verloren haben“, sagt Gerhard Kicherer. Viele Kontakte werden über die örtlichen Pfarrer vermittelt, die mit im Boot sitzen. Andere Fälle werden über das Amt für soziale Dienste der Stadt vermittelt. Auch Freunde, Bekannte oder Nachbarn geben immer wieder Hinweise, ergänzt Roland Schäfer. „Die meisten Betroffenen sind ja nicht gerade mit Selbstbewusstsein gesegnet“, sagt Schäfer, der auch der Chef des Renninger Mensa-Vereins ist. „Die Hemmschwelle, aufs Rathaus zu gehen und um Unterstützung zu bitten, ist oft sehr groß.“

Die Ehrenamtlichen vom Notnagel helfen aber nicht nur mit Geld aus oder kaufen mal eine Waschmaschine. Sie schauen auch auf das große Ganze. Ist die Wohnung zu teuer oder können die Betroffenen beim Amt finanzielle Unterstützung beantragen – all das gehört auch zu ihren Aufgaben. Und nicht selten schlüpfen sie auch in die Rolle des Vermittlers. „Wir reden mit Vermietern oder Stromanbietern, wenn mal wieder nicht gezahlt wurde und suchen nach einer Lösung“, erklärt Gerhard Kicherer. Doch die hänge immer vom Einzelfall ab.

Apropos: bei der Aktion Notnagel geht es nur um Einzelfälle. „Wir können keine Dauerhilfe leisten“, betont Roland Schäfer. Das Geld komme ausschließlich über Spenden, meist von Privatpersonen, rein. „Viele spenden jeden Monat einen kleinen Betrag. Obwohl manche selbst nicht viel haben“, sagt Gerhard Kicherer. Andere geben einmal im Jahr 2000 Euro. „Wir sind für alles dankbar“, sagt Kicherer und betont, dass das Geld eins zu eins in die Hilfe fließt. Die wurde früher vor allem um Weihnachten benötigt. „Inzwischen brauchen die Menschen das ganze Jahr über Unterstützung.“

Dabei gehe es um mindestens 100 Fälle jährlich, in denen 200 Euro und auch mehr gebraucht werden. Die soziale Schere, sie geht auch in Renningen weiter auseinander.