Porsche erweitert sein Entwicklungszentrum nochmals um zwölf Hektar. Was entsteht dort? Welche Rolle spielt dabei die E-Mobilität? Georg Wahl, der Weissacher Standort-Chef, gibt Auskunft.
Weissach - Wer von Flacht nach Mönsheim fährt, sieht die Bagger schon. Die Südzufahrt entsteht dort, also ein neuer, zweiter Zugang zu dem riesigen Porsche-Entwicklungszentrum über den Weissacher Hügeln. Gleichzeitig erweitert der Sportwagenbauer sein Werk nochmals um zwölf Hektar. Warum? Und was entsteht dort? Georg Wahl hält als Standortverantwortlicher für Weissach die Fäden aller Bauprojekte zusammen und gibt im Interview mit unserer Zeitung Auskunft.
Unsere Hauptmotivation für den Bau der Südanbindung ist die bessere Verteilung des Verkehrs. Im Moment wickeln wir alles über die Nord-Pforte ab. Unser Ziel ist es, die Mitarbeiter und die Materialflüsse über zwei Zugänge in das Entwicklungszentrum zu lenken. Dafür bauen wir eine weitere Pforte, ein Mitarbeiterparkhaus und die neue Anbindung an die Kreisstraße zwischen Flacht und Mönsheim.
Wie werden sich künftig die Autos zwischen den beiden Zugängen aufteilen?
Wir gehen von einer Aufteilung aus, die ein Drittel im Süden und zwei Drittel im Norden umfasst. Mit der neuen Zufahrt im Süden entstehen dort 1500 Mitarbeiterparkplätze, zusätzlich können wir bei Bedarf erweitern. Ist das Parkhaus im Süden fertig, bauen wir Parkplätze im Norden zurück. Einige Flächen jenseits der Straße werden, wie mit den Gemeinden abgestimmt, renaturiert. Im Norden kommen wir dann auf circa 4500 Parkplätze.
Manche befürchten, dass die neue Südzufahrt nur den Verkehr aufnimmt, der neu hinzukommt – aber keine Entlastung schafft.
Das kann ich nicht bestätigen. Bei den Mitarbeiterzahlen erwarten wir in den kommenden fünf Jahren nur einen Zuwachs von rund 300 Beschäftigten. Die derzeitige Nordpforte und die Landesstraße zwischen Weissach und Mönsheim werden mit der Südzufahrt eindeutig entlastet.
Können Sie als Arbeitgeber darauf einwirken, dass die Mitarbeiter nicht durch Flacht fahren, sondern über die Autobahn und die Ausfahrt Heimsheim?
Die geplante Verkehrsführung verbietet eine Zufahrt von Flacht. Also darf man von dort offiziell gar nicht in die Südzufahrt einbiegen. Wir erwarten, dass sich alle an diese Regelung halten. Außerdem motivieren wir unsere Mitarbeiter, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Zusammen mit dem Verkehrsverbund Pforzheim-Enzkreis und dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart bieten wir dafür Jobtickets an. Hinzu kommt unser eigener Pendelverkehr zwischen den Standorten in Weissach, Hemmingen, Rutesheim und Zuffenhausen.
Fährt der Porsche-Ingenieur wirklich Bus?
Ja, klar. Insbesondere die innerbetrieblichen Shuttleverkehre werden gut genutzt. Ein Vorteil des öffentlichen Nahverkehrs ist auch, dass die morgendliche Parkplatzsuche entfällt und die Mitarbeiter direkt vor dem Eingang aussteigen können.
Was entsteht auf den neuen Flächen?
Neben der neuen Südzufahrt erweitern sie auch um zwölf Hektar. Was entsteht auf diesen Flächen?
Das sind im Wesentlichen drei neue Prüfgebäude, also keine Büros. Das Gesamtfahrzeugprüfgebäude ist schon im Bau. Dort werden wir zum Beispiel die Betriebsfestigkeit und die Akustik prüfen. Wir widmen uns dort also unter anderem der Langzeitqualität sowie dem Geräuschverhalten der Fahrzeuge.
Gibt es solche Prüfstände hier nicht schon?
Doch, aber das sind auf dem Gelände verstreute Anlagen, die teils noch auf die 70er Jahre zurückgehen. Jetzt bündeln wir diese Anlagen und bauen sie im Süden neu auf.
Das zweite neue Gebäude ist ein Klimawindkanal. Was ist der Unterschied zu dem Windkanal, den Sie vor vier Jahren eröffnet haben?
Im Windkanal testen wir bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten und einer konstanten Temperatur von 22 Grad Celsius das Strömungsverhalten und die Akustik am Fahrzeug. Hier stehen Verbrauch, Fahrleistung und Fahrsicherheit im Vordergrund. Die Erfüllung unterschiedlicher gesetzlicher Vorgaben erfordert aber auch diverse klimavariable Tests. Diese führen wir im Klimawindkanal durch. In den Klimakammern können Fahrzeuge dauerhaft Temperaturen von minus 40 Grad bis plus 80 Grad ausgesetzt werden. Das ist zum Beispiel für die Funktionstests von Scheibenwischern, Klimaanlagen und Heizungen, aber auch für das Kaltstartverhalten wichtig. Von besonderer Bedeutung sind Umweltbedingungen für Elektrofahrzeuge, weil die Batterie viel sensibler auf Umgebungstemperaturen reagiert als Verbrennungsmotoren. Im dritten neuen Gebäude kommt dann das Zentrum für Sicherheitsversuche unter.
Die Crashtest-Anlage, die im Jahr 2016 abgebrannt ist?
Genau. Den Neubau hätten wir erst später realisiert, jetzt aber vorgezogen, weil wir im Moment keine eigene Anlage für Sicherheitsversuche mehr haben. Daher nutzen wir hierfür Entwicklungsdienstleister an anderen Standorten – was für uns ein enormer Aufwand ist.
Das neue Zentrum für Sicherheitsversuche wird aber auch erst 2022 fertig.
Deshalb holen wir jetzt Teile dieser Komponententests nach Rutesheim zurück. Im Frühjahr geht dort ein neues Prüfgebäude in Betrieb.
Gibt es für Rutesheim weitere Pläne?
Nein, derzeit nicht. Seit 2015 arbeitet dort schon die Beschaffung und wir betreiben dort Werkstattflächen, auf denen Fahrzeuge aller Modellreihen für ihre Erprobungsfahrten vorbereitet werden. Am Standort Rutesheim arbeiten rund 300 Mitarbeiter.
Porsches Zusammenarbeit mit den Gemeinden
Wie fühlen Sie sich denn hier in Weissach?
Sehr wohl. Wir pflegen eine gute Nachbarschaft mit den Anwohnern der umliegenden Gemeinden. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Weite Teile der Bevölkerung unterstützen uns aber. Das spüren wir auch bei den Bürgerversammlungen in Weissach und Mönsheim und bei den Besuchen der Gemeinderäte. Dieser Dialog ist uns sehr wichtig.
Der Weissacher Bürgermeister Daniel Töpfer hat nach seinem Amtsantritt eine „Interkommunale Arbeitsgruppe Porsche“ ins Leben gerufen, bei dem sich die Bürgermeister, die Fraktionsvorsitzenden und die stellvertretenden Landräte aus Böblingen und dem Enzkreis mit ihnen treffen. Gibt’s dort Streit?
Nein, wir fühlen uns sehr gut unterstützt und führen einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten. Das sehen Sie auch jetzt bei der neuen Südzufahrt: Ohne den Beitrag von Herrn Töpfer und dem Gemeinderat sowie der Unterstützung aus Mönsheim wäre das so nicht möglich gewesen. Auch der informelle Austausch mit Herrn Töpfer und Bürgermeister Fritsch aus Mönsheim ist sehr gut. Wichtig ist es, miteinander zu reden, und nicht übereinander.
Einer der Vorwürfe aus der Bevölkerung ist die Salamitaktik: Erst gab es hier oben nur eine Teststrecke, und jetzt arbeiten hier fast 7000 Menschen.
Dieser Vorwurf ist so nicht richtig. Wir schauen natürlich einige Jahre nach vorne, müssen aber auch immer wieder sich ändernde Rahmenbedingungen berücksichtigen. Unser Planungshorizont ist daher begrenzt. Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel: Die Diskussion um die Emissionsvorgaben für Verbrennungsmotoren hat die Automobilindustrie verändert und den Wandel hin zum Elektroantrieb stark beschleunigt. Darauf reagieren wir. Aber ich versichere Ihnen, dass unsere Partner in unsere Planungen bestmöglich eingebunden sind. Im Moment schauen wir auf die nächsten zehn bis zwölf Jahre.
Wie weit will Porsche noch wachsen?
Wie weit wollen Sie das Entwicklungszentrum in Weissach in Zukunft noch erweitern?
Ich kann da nur ein Stück weit in die Glaskugel schauen. Nach heutigem Kenntnisstand sind die Außengrenzen unseres Entwicklungszentrums in Weissach erreicht. Das ist auch ein Grund, warum wir die Standorte Rutesheim und Hemmingen im Frühjahr 2018 gekauft haben, nachdem wir dort lange Jahre Mieter waren.
Brauchen Sie in Zukunft überhaupt noch so viel Fläche? Kann der Computer nicht viele der Tests abnehmen?
Ohne digitale Prozesse sind wir schon heute nicht mehr arbeitsfähig. Bei den Sicherheitsversuchen beispielsweise gibt es umfangreiche Simulationen am Modell. Aber zum einen brauchen wir am Ende Abnahmeversuche, da die Freigabe für die gesetzliche Zulassung Realtests verlangt. Zum anderen brauchen wir auch im Entwicklungsprozess immer wieder Nachweise, dass die errechneten Ergebnisse mit dem realen Verhalten übereinstimmen. Insofern sind die Fähigkeiten, Software effizient einzusetzen und richtig zu interpretieren, Kernkompetenzen, ohne die eine Fahrzeugentwicklung schon heute nicht mehr denkbar ist. Das Optimum ist also eine Kombination aus virtueller Berechnung und realen Tests.
Das heißt, die Teststrecke in Weissach bleibt – auch in Zeiten von Künstlicher Intelligenz?
Nach meiner Einschätzung wird der physische Test nie ganz verzichtbar sein. Bedenken Sie bitte, dass ein Automobil das komplexeste Industrieprodukt ist, das Sie kaufen können. Die große Kunst liegt in der Integration der Einzeldisziplinen: Fahrwerk, Antrieb, Karosserie und Elektrik. Das Zusammenspiel aller Komponenten muss am Ende perfekt sein.
Gilt das auch für Elektroautos? Der Antrieb ist bei dieser Technologie ja weniger komplex.
Unbedingt. Denn die Batterie ist in der Entwicklung viel komplexer, als mancher denkt. Die große Herausforderung ist es zum Beispiel, dass die Batterie bei allen Außentemperaturen wie vorgesehen arbeitet.
Welche Rolle spielt die E-Mobilität in Weissach?
Eine sehr große. Wir haben unsere Standbeine, den klassischen Verbrennungsmotor und den Plug-in-Hybridantrieb, um den rein elektrischen Antrieb ergänzt. Damit verteilen sich unsere Mitarbeiter jetzt auf sechs Modellreihen: den 911 und Boxster, Cayenne, Macan, Panamera und nun den Elektro-Sportler Taycan. Die Veränderung durch die E-Mobilität betrifft im Schwerpunkt den Antrieb. Die klassischen Disziplinen wie Fahrwerk und Karosserie bleiben weiterhin erhalten.
Was passiert mit den alten Prüfstandsgebäuden, wenn die neuen Gebäude im Süden fertig werden?
Was mit diesen Flächen passiert, ist noch nicht entschieden. Zunächst stehen Renovierungen an.
In Friolzheim besitzen Sie ebenfalls zehn Hektar. Was passiert dort?
Dafür gibt es noch keine detaillierten Pläne. Wir haben uns jetzt zunächst um den Erwerb von Rutesheim und Hemmingen gekümmert. Wir sprechen dazu aber mit dem Zweckverband Friolzheim/Mönsheim.