Mit Argusaugen beobachteten wir die Eier, die uns die Bäuerinnen schenkten. Denn nicht alle waren gut auf uns zu sprechen: Der einen hatten wir ein paar junge Haustauben „entführt“, der anderen in der Walpurgisnacht ein Ferkel grün angepinselt, einer anderen die Luft aus dem Fahrradschlauch herausgelassen.

 

Nun konnten sie sich rächen und uns angebrütete Eier unterschieben. Die blieben übrig, wenn die Glucken ihre Eier ausbrüteten, nachdem die Küken geschlüpft waren, weil die Eier nicht vom Hahn befruchtet gewesen waren. Diese Eier ließen die Bäuerinnen als „Nest-Ei“ liegen und täuschten so den Hennen vor, dass bereits ein Ei im Nest liegt. Sonst suchte die Henne an den unmöglichsten Orten im Hof einen Platz, um ein eigenes Nest einzurichten.

Strichmännchen an der Hauswand

Und wirklich: Bei der Familie B. gab es ein solches Ei. Doch als gewiefte Eierdiebe, die wir gelegentlich Omas Hühnerstall plünderten und im Dorfladen mit den Eiern das Taschengeld aufbesserten, haben Helmut und ich den Braten schnell gerochen. Am anderen Morgen haben sich dann alle Nachbarn gewundert, wieso den schneeweißen Hausgiebel der Familie B. die Reste eines an die Wand geworfenen, faulen Eis zierten. Auch mehrere schwarze Strichmännchen mit langen Ohren, Teufelshörnern und langem Schweif „schmückten“ die zum Osterputz frisch getünchte schneeweiße Hauswand.

Von den anderen als Ratscher-Lohn bekommenen Eiern haben unsere Mütter noch am Samstag für jeden zehn gekocht und gefärbt. Die haben wir für Sonntagvormittag nach der Messe benötigt – für das „Eier-Zielen“. Davor wurden die Mitbringsel eines jeden streng kontrolliert: Es durften keine Eiern von Perlhühnern dabei sein und keine von Enten. Letztere waren verschrieen, weil man nach dem Verzehr angeblich Magenprobleme bekäme. Die von Perlhühner haben besonders harte Schalen, und das wäre ein unzulässiger Vorteil gewesen.

Münzwurf auf das Ei

Beim „Eier-Zielen“ wurde ein Ei auf den Boden gelegt, und nachdem vier Schuhlängen ausgemessen waren, wurde eine Linie gezogen. Dann wurde auf einen Herausforderer gewartet, der von der Linie mit einer Münze auf das Ei zielte und warf. Blieb die Münze stecken, gehörte ihm das Ei. Ging sie daneben, prallte sie ab, oder fiel sie beim vorsichtigen Hochheben des Eis heraus, gehörte die Münze dem Besitzer des Eis.

Glockenläuten ist Schwerstarbeit

Noch schöner war das Glockenläuten. Die Mesnerin tat so, als ob sie uns einen großen Gefallen einräumte, war aber froh, die Schwerstarbeit nicht selbst machen zu müssen. Damals gab es keinen Elektromotor, der das übernahm. Besonders die große Glocke hatte es in sich. Zu dritt mussten wir sie in Schwung bringen, bevor sie einer allein läuten konnte.

Aber das Beste war, sie zum Stillstand zu bringen. Dazu hatten wir einen Trick. Wenn die baumelnde Glocke ihren höchsten Punkt erreicht hatte, hing das Zugseil ganz tief. Dann hieß es, zusätzlich in die Höhe springen und das Seil fest umklammern. Mit all ihrer Last hob einen die schwingende Glocke mehrere Meter hoch. Nur nicht loslassen! Nach mehreren Schwingungen und Luftsprüngen für uns, stand das Ungetüm still – geschafft.

Nach einem Gebet am Marienaltar, denn unsere Kirche war „Maria von der immer wehrenden Hilfe“ gewidmet, versammelten sich zum ersten Mal alle „Ratscherbuben“ morgens um sechs vor der Kirche. Von da an war der Ratschertrupp jeder Straße auf sich selbst gestellt.

Das Heimattdorf Grabatz

Als ein von den Ansiedlungsbeamten der österreichischen Kaiserin Maria Theresia geplantes Dorf, das heute in Westrumänien liegt und das 1768 mit 50 Familien aus dem Elsass, aus Lothringen, der Pfalz, Luxemburg, Baden, Bayern, Böhmen und Mähren, Hessen sowie aus dem Saarland besiedelt wurde, bestand unseres aus einer von Ost nach West verlaufenden Hauptstraße und zehn von Süden nach Norden ausgerichteten Nebengassen. Durchgesetzt hatte sich bei uns im Dorf zwar eine pfälzisch klingende Mundart und trotzdem hieß es bei uns „mir“ wie im Schwäbischen und nicht „wir“.

Unsere war die „Raitzengasse“ (Raitzen nannte man früher orthodoxe Christen), was darauf schließen lässt, dass bei der Ansiedlung hier mal Serben wohnten. Die Gasse verlief von der Kirche in der Dorfmitte nach Norden. Doch 1966 gab es ein Problem. Während es in den anderen Gassen nur so von Jungs wimmelte, war ich hier der einzige Viertklässler. Alle anderen waren schon in der Siebten oder weiter und gaben sich nicht mehr mit dem Kinderkram „Ratschen“ ab. Und so wurde vorzeitig mein Freund Helmut aktiviert, obwohl er erst in der dritten Klasse war.

Geratscht wird dreimal am Tag

Foto: Lichtgut/Julian Rettig
Morgens um sechs, mittags um zwölf und abends um 18 Uhr trafen wir uns bei der Kirche und „ratschten“ munter darauf los. Die Ratsche war aus Holz und U-förmig. Durch den offenen Teil verlief ein Griff auf dem ein Zahnrad saß. Vom Ratschenkörper ragte eine Holzzunge auf das Zahnrad. Wurde der Griff gedreht, machte die Holzzunge ein lautes ratschendes Geräusch. Ähnliches Spielzeug kennt man heute aus Plastik zum Krachmachen in den Fußballstadien.

Unsere Ratschen hingegen hatten sonst einen praktischen Nutzen. Im Frühjahr wurden damit auf den Feldern die Saatkrähen verjagt, wenn sie die frisch gesäten Körner heraus scharrten, und im Herbst, wenn sie in die Maisfelder einfielen. Auch die Stare wurden damit erschreckt, wenn sie in Schwärmen über die Kirschbäume oder die Weintrauben herfielen.

Für jede Tageszeit ein anderer Spruch

Die Ratschergesänge, die laut und lang gezogen hinausgeschrien wurden, waren morgens: „Mir ratsche, mir ratsche den Engelsgruß, damit jeder katholische Christ weiß, wann er beten muss!“ Mittags hieß es: „Ihr Leut’, ihr Leut’, was woll’n wir euch sagen? Das Glöcklein hat zwölf Uhr geschlagen! Mir ratsche, mir ratsche, zwölfe!“ Und abends ertönte: „Ihr Leut’, ihr Leut’, es ist Betenzeit! Ihr lieben Christen seid bereit, fällt auf eure Knie, und betet den Engelsgruß zu Marie!“ (Wir Jungs haben das einfach mit englischem Gruß ersetzt – das klang doch gleich cooler und niemand hat es übrigens bemerkt.)

Foto: privat
Am Samstagvormittag gab es den heiß ersehnten Lohn für das Ratschen. Mit einem großen Korb sind wir in unserer Straße von Haus zu Haus gezogen, um zu kassieren. Der Korb war für Eier. Lieber war uns natürlich Geld. Und dazu sangen wir in jedem Haus:

„Ihr Leut’, ihr Leut’, ihr lieben Leut’, wir kommen zur heiligen Osterzeit. Gebt uns Eier oder Geld, oder was euch sonst gefällt. Nur keine Schläge, die tun weh. Glück ins Haus, Unglück raus! Eier oder Geld heraus, oder wir schlagen ein Loch ins Haus!“

Von guten und faulen Eiern

Mit Argusaugen beobachteten wir die Eier, die uns die Bäuerinnen schenkten. Denn nicht alle waren gut auf uns zu sprechen: Der einen hatten wir ein paar junge Haustauben „entführt“, der anderen in der Walpurgisnacht ein Ferkel grün angepinselt, einer anderen die Luft aus dem Fahrradschlauch herausgelassen.

Nun konnten sie sich rächen und uns angebrütete Eier unterschieben. Die blieben übrig, wenn die Glucken ihre Eier ausbrüteten, nachdem die Küken geschlüpft waren, weil die Eier nicht vom Hahn befruchtet gewesen waren. Diese Eier ließen die Bäuerinnen als „Nest-Ei“ liegen und täuschten so den Hennen vor, dass bereits ein Ei im Nest liegt. Sonst suchte die Henne an den unmöglichsten Orten im Hof einen Platz, um ein eigenes Nest einzurichten.

Strichmännchen an der Hauswand

Und wirklich: Bei der Familie B. gab es ein solches Ei. Doch als gewiefte Eierdiebe, die wir gelegentlich Omas Hühnerstall plünderten und im Dorfladen mit den Eiern das Taschengeld aufbesserten, haben Helmut und ich den Braten schnell gerochen. Am anderen Morgen haben sich dann alle Nachbarn gewundert, wieso den schneeweißen Hausgiebel der Familie B. die Reste eines an die Wand geworfenen, faulen Eis zierten. Auch mehrere schwarze Strichmännchen mit langen Ohren, Teufelshörnern und langem Schweif „schmückten“ die zum Osterputz frisch getünchte schneeweiße Hauswand.

Von den anderen als Ratscher-Lohn bekommenen Eiern haben unsere Mütter noch am Samstag für jeden zehn gekocht und gefärbt. Die haben wir für Sonntagvormittag nach der Messe benötigt – für das „Eier-Zielen“. Davor wurden die Mitbringsel eines jeden streng kontrolliert: Es durften keine Eiern von Perlhühnern dabei sein und keine von Enten. Letztere waren verschrieen, weil man nach dem Verzehr angeblich Magenprobleme bekäme. Die von Perlhühner haben besonders harte Schalen, und das wäre ein unzulässiger Vorteil gewesen.

Münzwurf auf das Ei

Beim „Eier-Zielen“ wurde ein Ei auf den Boden gelegt, und nachdem vier Schuhlängen ausgemessen waren, wurde eine Linie gezogen. Dann wurde auf einen Herausforderer gewartet, der von der Linie mit einer Münze auf das Ei zielte und warf. Blieb die Münze stecken, gehörte ihm das Ei. Ging sie daneben, prallte sie ab, oder fiel sie beim vorsichtigen Hochheben des Eis heraus, gehörte die Münze dem Besitzer des Eis.

Einmal im Spiel, konnte man sich nicht davonmachen. Jeder hatte seine Wurftechnik. Aber nach drei, vier Versuchen blieb die Münze in der Regel stecken und das Ei gehörte dem Herausforderer. Nun war es am Besitzer, es zurückzugewinnen. Das ging einige Male hin und her, bis das Ei so lädiert war, dass es brüderlich aufgeteilt und verspeist wurde. Das große Geld ließ sich damit nicht machen.

Das kommunistische Regime

Das österliche Ratschen hatte auch ein Nachspiel in der Schule. Das kommunistische Regime sah es nicht gern, wenn die Kinder in die Kirche gingen, und die Bräuche der deutschen Minderheit waren ihm auch ein Dorn im Auge. Also waren für Freitag und Samstag oft Aktivitäten der Jung-Pioniere, der Kinderorganisation der Kommunistischen Partei, angesetzt. Die haben wir natürlich fürs Ratschen geschwänzt. Deshalb wurden die Eltern zum Gespräch eingeladen, damit sie die Kinder fürs Fernbleiben bestrafen. Der Kommentar meiner Mutter: „Dafür, dass ihr nur zu zweit wart, hat man euch ganz gut gehört.“

Vom Großvater gab es für den Einsatz einen 25-Lei-Schein, ein Vermögen für einen Zehnjährigen. Der kleine, drahtige Mann war nicht gut auf die Kommunisten zu sprechen, denn die hatten ihm das weggenommen und in eine Kollektivgenossenschaft gesteckt, was einem Bauern die Welt bedeutet – seine Äcker.

Als Reservist nach Stalingrad

Und auch sonst ist ihm übel mitgespielt worden. Er hatte das Pech, im September 1939 als Reservist ins rumänische Militär eingezogen zu werden. Angesichts der internationalen Konflikte durfte er nicht wieder heim. Als Bäcker und Schuster hat er mit dem rumänischen Militär als Verbündete der deutschen Wehrmacht die Kämpfe bei Stalingrad mitgemacht.

Auch auf der Krim-Halbinsel war er im Einsatz. Hier hat er Brot für die 5000 Mann starke Besatzung des riesigen Eisenbahngeschützes „Dora“ gebacken. Er war immer stolz drauf, keinen Menschen getötet zu haben. „Nur einmal wurden wir beim Brennholzmachen beschossen, und da habe ich mit meinem alten Revolver im Wald herumgeschossen“, erzählte er.

Großvater blieb beim rumänischen Militär, auch als der Großteil der Rumänien-Deutschen aus der rumänischen Armee mehr oder weniger „freiwillig“ Teil der Waffen-SS wurden. Doch die Rote Armee hatte nicht so richtig großes Vertrauen in den neuen Bündnispartner Rumänien, der erst August 1944 die Fronten wechselte. Nach den Kämpfen in der Tschechoslowakei wurden viele rumänische Soldaten nach Hause geschickt.

In Viehwaggons nach Russland

So kam auch Großvater im Dezember 1944 glücklich nach Hause. Doch Rumänien zahlte ihm seine Treue damit heim, dass er im Januar 1945 für fünf Jahre nach Russland deportiert wurde. Stalin hatte von Rumänien Aufbauarbeiter verlangt: als Entschädigung für die Zeit, als das Land Verbündeter des Dritten Reiches war. Rumänien machte dafür die deutsche Minderheit zum Sündenbock. Mehr als 70 000 Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren und Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren wurden mit Viehwaggons in das Don-Becken und in den Ural gebracht. Dort arbeitete jeder Dritte im Bergbau, jeder Vierte im Bauwesen, die übrigen in der Industrie und Landwirtschaft.

Und während dieser Zeit wurden auch Großvaters Äcker in die Kollektivgenossenschaft enteignet. Also braucht es niemanden zu wundern, ob seiner finanziellen Unterstützung für die Ratscher. Mit 25 Lei konnte man sich in den Sommerferien, die vom 15. Juni bis zum 15 September dauerten, 50 Kugeln Eis bei Tante Frieda in der Konditorei kaufen. Es reichte sogar für fünf private Nachmittags-Vorführungen im Dorfkino. Für Schüler galt ein Vorzugspreis, doch gezeigt wurde der Streifen nur, wenn zehn Interessenten vor der Tür standen, oder einer mehrere Karten kaufte und fünf Lei zusammenkamen.

Unbezahlbare Schätze in der Müllkiste

Dem Filmvorführer war das egal, er spannte eine der großen Filmrollen in den Projektor ein und ging nach Hause, denn er wohnte nur wenige Häuser weiter. Aus Erfahrung wusste er ungefähr, wann er das zweite Vorführgerät mit der anderen Filmrolle starten musste und eilte dann wieder zurück ins Kino. Für uns Jungs war es eine gute Gelegenheit, in die Vorführkabine zu schleichen, denn hier lagerten in der Müllkiste unbezahlbare Schätze.

Zum einen Filmabschnitte die anfielen, wenn der Film mal riss und wieder zusammengeflickt werden musste. Hoch begehrt waren auch die Reste der Lichtbögen. Die waren aus Grafit, wie fingerdicke Bleistiftminen. Durch einen überspringenden elektrischen Funken lieferten sie das notwendige helle Licht für die Filmprojektoren. Diese Grafitstäbe eigneten sich nämlich hervorragend, wie bereits erwähnt, um weiß getünchte Häuserwände möglichst kunstvoll zu „verschönern“.