In einem Brief an den Ministerpräsidenten und die Bundespolitiker wird die Maßnahme als Kollektivstrafe kritisiert.

Rutesheim - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat durch Corona eine neue Brieffreundin gefunden – die Rutesheimer Bürgermeisterin Susanne Widmaier. Sie und vier weitere Amtskollegen aus dem Landkreis Böblingen haben ihm erneut einen offenen Brief geschrieben, in dem sie sich entschieden gegen die Verhängung der Ausgangssperre aussprechen.

 

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Susanne Widmaier und ihre Kollegen Christian Walter (Weil der Stadt), Daniel Gött (Deckenpfronn, FW), Ekkehard Fauth (Aidlingen, FW) und Florian Glock (Magstadt, FDP) stellen darin nicht die Gefährlichkeit des Virus in Frage. „Nach einem Jahr Pandemie sehen wir jedoch, dass wir die richtigen Maßnahmen ergreifen müssen, um in der Bevölkerung Akzeptanz für die Maßnahmen zu erreichen“, lässt das Quintett auch die beiden Bundestagsabgeordneten Marc Biadacz (CDU) und Florian Toncar (FDP) sowie den Böblinger Landrat Roland Bernhard (parteilos) wissen.

Im Landkreis sei man gerne mit flächendeckenden Testzentren und mit den Testungen in Kitas vorausgegangen. „An der Basis erkennen wir aber, dass die Akzeptanz immer mehr schwindet und damit auch das Vertrauen in die Politik leidet“, heißt es im Brief. Als richtig erachten die Rathauschefs ein Zusammenwirken von sozialer Distanz, dem Tragen von Schutzmasken und der Einhaltung von Hygieneregeln flankiert von intensiven Tests und vor allem einer größtmöglichen Zahl an Impfungen.

Eine Art Kollektivstrafe

„Die Ausgangssperre interpretieren wir zudem als eine Art Kollektivstrafe, die alle trifft, um das Fehlverhalten Einzelner, die sich nicht an die Kontaktbeschränkungen halten, vermeintlich besser überwachen zu können“, kritisieren sie. Dies sei ein offenes Eingeständnis der Landespolitik, dass sie die Überwachung und den Vollzug der Verordnungen in der Fläche nicht annähernd gewährleisten könne. „Die Ausgangssperre ist bei dieser Sach- und Erkenntnislage unverhältnismäßig, das heißt rechtswidrig, und sie wird erneut dazu beitragen, das ohnehin gesunkene Vertrauen in eine vernünftige, sachgerechte Politik weiter zu beschädigen.“

Die Unterzeichner des Briefes halten dagegen, dass wissenschaftlich belegt sei, dass in Innenräumen die Gefahr groß sei, sich anzustecken, jedoch nur bedingt draußen. Eine Ausgangssperre sei daher kontraproduktiv, da anzunehmen ist, dass das Treffen mit mehreren Menschen nun schlichtweg in Innenräumen statt draußen stattfinden werden, befürchtet die Bürgermeisterriege. „Deshalb sprechen wir uns entschieden gegen die Verhängung der Ausgangssperre aus.“

Eingriff in die Grundrechte

Mit diesem Standpunkt steht das Quintett im Kreis nicht allein da. Auch der Leonberger Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) lehnt diesen Eingriff in die Grundrechte der Bürger ab. Die damit verbundenen Entscheidungen und Maßnahmen seien rechtsstaatlich zu beurteilen und müssten einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. „Deshalb müssen derartige Grundrechtseinschränkungen, wie die vom Landkreis geforderten Ausgangsbeschränkungen, hinreichend begründet werden. Derzeit ist das aus meiner Sicht nicht ersichtlich“, sagte Cohn in der vergangenen Woche. Zu diesem Zeitpunkt galt noch die Verordnung des Landratsamtes, die nun durch eine des Landes ersetzt ist.