Feuerwehr, THW und DRK sind im Großeinsatz, Gebäude werden evakuiert, Menschen werden in Sicherheit gebracht.

Leonberg - Freitagnachmittag kurz nach 16 Uhr. In einem Gebäude in der Daimlerstraße ertönt eine Sirene. Mitarbeiter der Firma Bosch haben Alarm ausgelöst. Aus einem Nebengebäude quillt gelber, stark riechender Dampf. Später stellt sich heraus, es ist Chlorgas. Oder besser gesagt: Es soll welches sein. Denn bei diesem Alarm zur besten Feierabendzeit kurz vor dem Wochenende handelt es sich um eine Übung.

 

Das wissen zu diesem Zeitpunkt aber nur einige Eingeweihte am Leonberger Bosch-Standort, wie Frank Maisch erklärt. Der Personalchef des Betriebs mit 2100 Beschäftigten, die vornehmlich Assistenzsysteme für Fahrzeuge entwickeln, überwacht die Übung und deren Verlauf. Denn darum geht es: Die internen Notfall- und Rettungsabläufe sollen überprüft und die Zusammenarbeit mit den Rettungsorganisationen wie Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und Deutsches Rotes Kreuz soll trainiert werden.

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Interne Notfall- und Rettungsabläufe werden geübt

Das simulierte Szenario sieht eine Explosion in einem Gebäude mit verletzten Personen vor. Chlorgas tritt aus und mehrere Mitarbeiter mit Vergiftungserscheinungen müssen gerettet und zur Erstversorgung an das Deutsche Rote Kreuz übergeben werden. In dem Unternehmen, das seine Mitarbeiterzahl in den nächsten Jahren auf bis zu 3000 erhöhen will, gibt es neben dem Werkschutz, der für die Sicherheit im Unternehmen sorgt, einen Werksarzt, Ersthelfer und Räumungshelfer. Letztere müssen jetzt dafür sorgen, dass die Mitarbeiter zügig die Gebäude verlassen und sich auf einem Sammelplatz einfinden, wo sie später von DRK-Helfern betreut werden.

So strömen denn auch bald die ersten Angestellten aus dem Gebäude. Manche haben gleich ihre Tasche mitgenommen, andere verlassen ohne alles ihre Büros. Nach einigen Minuten ist das Martinshorn zu hören. Unter der Leitung des Kommandanten Wolfgang Zimmermann rückt die Leonberger Feuerwehr mit sechs Fahrzeugen an. Zusammen mit den Kräften des Technischen Hilfswerks werden schließlich 32 Einsatzkräfte vor Ort sein.

„Mir ist ganz schwindelig“

Kurz nach der Feuerwehr trifft dann auch das erste Fahrzeug des Roten Kreuzes ein. Es kommt vom DRK-Ortsverein Weissach-Flacht. „Wir waren zufällig in der Nähe“, erzählt Bereitschaftsleiter René Schneider. Weil die erste Führungskraft ist, die eintrifft, leitet er den Einsatz der 20 Helfer mit vier Fahrzeugen, die noch aus Rutesheim und Leonberg samt dem Gerätewagen Sanitätsdienst dazukommen. Aus zwei Gebäuden müssen die Feuerwehrleute vermeintlich Verletzte holen. Weil auf einem Dach Menschen sind, wird die große Drehleiter ausgefahren. Diese kann aus einer Höhe von bis zu 25 Metern Menschen in den Korb aufnehmen und sicher nach unten bringen.

Die entsprechend gebrieften Bosch-Mitarbeiter spielen ihre Rolle intensiv. „Mir ist ganz schwindelig“, sagt einer von ihnen und stützt sich auf die DRK-Helfer, die ihn zu den bereit gestellten Liegen begleiten. Ein anderer muss gar liegend mit dem Korb vom Dach geholt werden.

Inzwischen haben einige Feuerwehrleute und ihre Kollegen vom THW mit schwerem Atemschutzgerät die beiden Gebäude betreten. „Wir unterstützen personell den Gefahrgutzug und rücken mit der Feuerwehr zusammen aus“, erklärt Stefan Neininger, Zugführer beim THW, die Teilnahme an diesem Einsatz. Das THW müsse in verschiedenen Lagen arbeiten können, etwa bei Unfällen mit chemischen, biologischen, nuklearen oder radioaktiven Substanzen.

„Die haben sich hängen lassen wie ein nasser Sack“

Dann läuft Feuerwehrkommandant Zimmermann vorbei und spricht in sein Funkgerät: „Der ausgetretene Stoff ist Chlorgas.“ Um da ganz sicher zu gehen, würde man normalerweise den Gerätewagen Messtechnik aus Sindelfingen alarmieren, erklärt er später auf Nachfrage.

Aus dem fünfstöckigen Hauptgebäude an der Daimlerstraße werden weitere „Verletzte“ herausgeholt. Am Ende werden es 15 Menschen sein, die die Feuerwehrleute und THW-Helfer ins Freie bringen. Eine schweißtreibende Angelegenheit für die Ehrenamtlichen, die schließlich vom Zugführer die Anweisung bekommen, die Atemschutzmasken abzulegen und etwas zu trinken. „Echte Menschen sind halt doch schwerer als Übungspuppen“, sagt einer der Helfer und schnauft. „Die haben das gut gemacht und sich hängen lassen wie ein nasser Sack“, erklärt er und lacht schon wieder.

„Die Rettung hat gut funktioniert“

Etwa 90 Minuten hat diese Notfallübung gedauert. Der Leonberger Feuerwehrkommandant zieht eine erste Bilanz. „Die Rettung hat gut funktioniert“, sagt Wolfgang Zimmermann. Die Menschen seien schnell gefunden und aus dem Gefahrenbereich geholt worden. „In einer solchen realen Situation würden wir allerdings weitere Feuerwehren aus der Umgebung zur Unterstützung anfordern“, erklärt Zimmermann. In einer Nachbesprechung zur Notfallübung mit allen Beteiligten wird es dann um die Einzelheiten und Abläufe gehen.

Dass der Großeinsatz am Freitag lediglich eine Übung war, macht auch René Schneider vom DRK deutlich. „Bei einem Chlorgasunfall hätte man die Verletzten gleich entkleiden müssen, sonst wären auch wir Helfer gefährdet, wenn wir sie in unseren Fahrzeugen transportieren.“ Und bei einem derartigen Ereignis würden im Ernstfall auch mehr Einsatzkräfte und Notärzte kommen.

Und noch etwas fällt auf: Man sieht keine Polizei weit und breit. Das ist dem Übungscharakter dieses Einsatzes geschuldet. Der Bosch-Personalchef Frank Maisch erklärt das so: „Die Polizei hat sich erbeten, nicht teilnehmen zu müssen.“