Ministerin für Landesentwicklung Nicole Razavi spricht, zu Gast in Leonberg, über den nötigen Wandel im knappen Wohnungsmarkt.

Der Neujahrsempfang der CDU Leonberg ist zum Frühjahrsempfang mutiert – geschuldet dem Coronavirus und seinen vielen Mutationen. Der Stadtverband der Christdemokraten hat dieses Jahr ins Eltinger evangelische Gemeindehaus eingeladen. Als Gastrednerin hat Nicole Razavi (CDU), die Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, zum Thema „Innovative Baupolitik für Baden-Württemberg: Planen und Bauen neu denken“ gesprochen. Ein Grußwort kam von der Leonberger Landtagsabgeordneten Sabine Kurtz, Staatssekretärin im Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz.

 

Scharfe Worte für Vorgehen der Stadtverwaltung

Viel Kritik an der Stadtverwaltung und ihrer Spitze hagelte es vom CDU-Stadtverbandsvorsitzenden und Gemeinderat Oliver Zander. Das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ begleite das Gremium seit Jahren – ohne Erfolg. „Schlechtes und aktuelles Beispiel ist das Neubaugebiet von Pandion. Hier wurde, obwohl mit dem Investor vereinbart, bis heute kein bezahlbarer Wohnraum geschaffen, stattdessen wird erneut versucht, sich freizukaufen“, monierte Zander.

„Grundsätzlich geht in unserer Stadt beim Thema Projektentwicklung in den letzten Jahren so gut wie nichts voran, dass daran vorwiegend der Gemeinderat schuld sein soll, weise ich entschieden zurück“, sagte Zander. Ein Paradebeispiel sei die Bebauung des Stadtparks. Was derzeit in Planung sei, habe nichts mehr mit dem zu tun, was vor allem die CDU-Fraktion gefordert hatte: eine Bebauung entlang der Berliner Straße.

Personalmangel in der Verwaltung

„OB Martin Georg Cohn wollte die Planung dieses Areals direkt von einem Investor umsetzen lassen,“ blickte Zander zurück. „Das hat der Gemeinderat nicht mitgetragen.“ Erst im Anschluss begann die lange und aufwendige Auswahl über ein Investoren-Auswahlverfahren. „All dies hätten wir längst haben können und hierfür trägt der Gemeinderat keine Verantwortung“, betonte der CDU-Stadtverbandsvorsitzende.

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Der Personalmangel durch den Abgang vieler Fach- und Führungskräfte in der Verwaltung verzögere einiges. Auch dafür sei nicht der Gemeinderat verantwortlich. Kritisch sieht die CDU, dass bei dem Praxisversuch für die verkehrliche Umgestaltung der Stadtmitte – dessen Start für April geplant war – nicht ausreichend über die Folgen kommuniziert werde. Damit soll nämlich viel Stau im Ort entstehen um den Autoverkehr aus der Stadt herausdrücken. Pförtner-Ampeln sorgen dafür, dass es noch ungemütlicher wird, nach Leonberg zu fahren.

Ministerin Razavi fordert mehr Mut und Willen

„Die Wohnungsknappheit ist ein Symptom dafür, dass Veränderungsbereitschaft und Veränderungsbedarf bei uns nicht mehr so ganz zusammenpassen“, sagte Ministerin Nicole Razavi in ihrem Beitrag. Besitzstands-, Abwehr- und Verhinderungsdenken sei längst das Normale. „Mir langt’s noch naus un mei Enkel erbe sowieso “ – mit dieser behaglich-trotzigen Haltung sei die Zukunft nicht zu gewinnen und das bereite ihr als Ministerin für Landesentwicklung Sorgen, bekannte Razavi. „Wir wollen unser Land entwickeln und nicht einfach den Status quo konservieren, dass Baden-Württemberg ein Ort der Zukunft ist und kein großes Freilichtmuseum.“ Dafür brauche es verfügbare Fläche, aber mehr noch brauche es Erkenntnis, Mut und Willen. „Fläche ist der Joker im Standortpoker“, sagte die Ministerin.

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Es gelte unbedingt, alle Wohnraumreserven zu aktivieren – vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges umso mehr. „Wir wollen Anreize schaffen, um alle schlummernden Wohnungspotenziale wieder für den Markt zu gewinnen, denn die Wohnraumfrage ist eine der großen aktuellen gesellschaftlichen Aufgaben“, sagte Razavi.

Ländlicher Raum müsse genutzt werden

In Baden-Württemberg sei Wohnen ein harter Standortfaktor, eine Zukunftsfrage, denn die Menschen werden dort hingehen oder auch dort bleiben, wo sie guten, bezahlbaren Wohnraum finden. „Wir müssen den ländlichen Raum als Wohnumfeld nutzen und stärken.“ Corona habe gezeigt, dass nicht alles im Büro in der City stattfinden müsse – die Digitalisierung macht’s möglich.

Beim Bauen gebe es viele Hindernisse: zu wenig verfügbare Flächen, überlastete Bauämter, große Preissteigerungen, Engpässe und Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft. Holz, Baustahl und Dämmplatten seien fast so etwas wie das neue Gold. Umso mehr müsse die Politik experimentierfreudig und kreativ sein und auch außerhalb der gewohnten Kästchen agieren. Das Denken hinter den heute geltenden Bauvorschriften sei inzwischen 100 Jahre alt.

Razavi kritisiert Mietendeckel

„Zwangsmittel wie das Verbot von Einfamilienhäusern oder der verfassungswidrige Mietendeckel sind mit uns nicht drin“, sagte Razavi. „Lieber mit Anreizen als mit Bevormundung Politik machen.“ Gelungen sei es, die soziale Wohnraumförderung des Landes in diesem Jahr auf ein Rekordniveau zu erhöhen. Zum ersten Mal werden im Land wieder mehr Sozialwohnungen geschaffen, als aus der Bindung herausfallen.

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Das zweite Großprojekt des Ministeriums ist, den neuen Landesentwicklungsplan aufzustellen. „Wir zeichnen damit die Landkarte für das Baden-Württemberg von morgen.“ Der gültige stamme aus einer Zeit, in der es noch kein Smartphone gab, Online-Handel was Besonderes war. Nun seien die Anforderungen und Aufgabenstellungen ganz andere. Auch Transformation brauche Platz und Flächen. „Die Herausforderungen sind groß, groß ist auch die Bereitschaft und die Kreativität im Land, diese Herausforderungen anzugehen“, betonte die Ministerin.