Jeder kennt ihre kleinen Stempel: Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) legt fest, welcher Film für welche Altersklasse freigegeben ist. Nun reformiert die nicht immer unumstrittene Organisation ihr Prüfverfahren.

Stuttgart - Wenn sich ältere Erwachsene an verstörende Fernseherlebnisse aus ihrer Kindheit erinnern, geht es meist um einen allzu spannenden „Tatort“, ein beklemmend realistisch geschildertes Verbrechen in „Aktenzeichen XY“ oder einen spätabends heimlich geschauten Horrorfilm. Heutzutage klingt das angesichts von Sex und Gewalt im Internet beinahe rührend. Doch bis zur Einführung des Videoverleihs in den Achtzigern bot das Fernsehen die bequemste Möglichkeit, verbotene Bewegtbilder zu erhaschen. Das Kino ist dagegen konsequent reguliert: Wer für einen Film nicht alt genug ist, hat keinen Zutritt.

 

Nach „Harry Potter“ wurde gelockert

Für die entsprechenden Freigaben sorgt seit siebzig Jahren die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in Wiesbaden. Bei einer Kinoproduktion schauen fünf Prüfer gemeinsam einen Film an. Enthält er keine jugendschutzrelevanten Themen, ist man sich rasch einig, bei strittigen Produktionen wird diskutiert. Das dauert im Schnitt rund 15 Minuten. Kann sich die Runde nicht einigen – ab 6 oder ab 12, ab 12 oder ab 16? –, wird die jeweils strengere Freigabe gewählt.

„Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ sollte im Jahr 2002 erst ab 12 freigegeben werden, was zu vielen Kindertränen geführt hätte. Der Verleih kürzte daraufhin einige der spannendsten Szenen. Die entsprechende Diskussion hatte zur Folge, dass ein sogenanntes Elternprivileg eingeführt wurde: In Begleitung von Erziehungsberechtigten dürfen auch Sechsjährige Filme ab 12 besuchen.

Die Logik im Hintergrund

Im Großen und Ganzen hat sich das Verfahren bewährt. Trotzdem wird die Prüfpraxis nun radikal geändert. Die FSK entwickelt laut Geschäftsführer Stefan Linz „ein kriterienbasiertes Klassifizierungs-Tool, das die Prüfverfahren vereinfachen und beschleunigen soll“. Es bestehe „aus einem dynamischen web-basierten Fragebogen mit Fragen zu allen jugendschutzrelevanten Sachverhalten.“ Bei einem linearen filmischen Inhalt seien die Antworten vollständig überprüfbar. Für die Nutzer nicht sichtbar, ist jede Antwortoption mit einer sogenannten Beurteilungslogik verknüpft. Sie bestimmt nach einer zuvor festgelegten Definition eine Altersbewertung.

Der Fragebogen ist in verschiedene Kategorien eingeteilt. Neben der Darstellung von Gewalt und Sexualität oder der Thematisierung von Drogenkonsum werden auch weniger offenkundige Aspekte des Jugendschutzes berücksichtigt, zum Beispiel selbstverletzendes Verhalten oder Suizid. Das Formular umfasst knapp hundert Fragen, die aber nicht alle beantwortet werden müssen. Wird eine der Kategorien nicht tangiert, fallen die zugehörigen Unterfragen weg. Wird eine Einstiegsfrage dagegen mit „Ja“ beantwortet, folgen detaillierte Nachfragen zu dieser Kategorie.

Kein Spielraum mehr

Linz erläutert dies am Beispiel Drogenkonsum: „Der Nutzer muss zunächst angeben, ob der Konsum bildlich dargestellt oder ‚nur’ thematisiert wird. Dann folgen weitere Fragen zu verschiedenen Details: Handelt es sich um harte oder weiche Drogen, sind Minderjährige involviert, wird der Konsum kritisch darstellt?“ Dank exakter Definitionen habe der Nutzer praktisch keinen Interpretationsspielraum, was Voraussetzung dafür sei, „dass unterschiedliche Nutzer zu identischen Ergebnissen kommen.“ Bisherige Tests, bei denen Filme herkömmlich sowie mit der neuen Methode geprüft wurden, seien äußerst positiv verlaufen.

Jugendschützer sind trotzdem skeptisch. Die Kritik basiert auf den Erfahrungen des niederländischen FSK-Pendants Nicam, das ein vergleichbares Freigabesystem schon vor geraumer Zeit eingeführt hat. Dort habe es zehn Jahre gedauert, bis das System tatsächlich praktikabel gewesen sei. Neutrale Tests hätten ergeben, dass die Übereinstimmungen mit den Freigabeentscheidungen eines Prüfausschusses bei 85 Prozent lägen.

Droht ein Verlust an Glaubwürdigkeit?

Ähnliche Zahlen werden auch für das neue FSK-Modell erwartet. Die restlichen 15 Prozent aber seien der „Knackpunkt“, sagt ein erfahrener Jugendmedienschützer: „Die meisten Entscheidungen der FSK sind einstimmig, aber entscheidend sind die strittigen Fälle.“ Freigaben, die auf Algorithmen basierten, fielen strenger aus, „weil in den standardisierten Codierungsbögen der jeweilige Handlungskontext nicht berücksichtigt werden kann.“ Außerdem sei es schwer, Feinheiten zu objektivieren: „Gewalt ist ja nicht immer gleich Gewalt, es gibt Unterschiede in der Intensität und in der Drastik der Darstellung. Beides lässt Rückschlüsse auf die Frage zu, ob die Gewalt befürwortet wird; aber solche Differenzierungen sind bei Fragebögen nicht vorgesehen.“ Auch darauf hat Linz eine Antwort: In strittigen Fällen werde es wie bisher die Möglichkeit geben, in Berufung zu gehen; dann befasse sich ein Prüfausschuss mit dem Inhalt.

Trotzdem sehen Jugendmedienschützer ihr Metier angesichts des scheinbar rechtsfreien Internets am Scheideweg. Wolle die Branche nicht vollends an Glaubwürdigkeit verlieren, heißt es, müsse sie sich viel stärker an den Bedürfnissen der Verbraucher orientieren. Die FSK-Freigaben stellen ja keine Empfehlungen dar. Eine sinnvolle Ergänzung wäre zum Beispiel eine nutzerfreundliche Grafik, die Eltern auf einen Blick vermittelt, für welches Alter ein Film geeignet ist oder dass er für Kinder bedenklich sein könnte, weil er Sex- oder Gewaltszenen enthält.