Vor großem Publikum und bei bestem Frühlingswetter stürmt die Narrenzunft AHA das Weiler Rathaus. Die Anklageschrift gegen Thilo Schreiber beinhaltet auch den Weihnachtsmarkt und das Bewässerungssystem im Merklinger Ried.

Fasnet - Es sind 21 Grad und Kaiserwetter auf dem Weiler Marktplatz. Wer kann, ergattert sich einen sonnigen Aussichtsplatz am Brunnen. Die anderen stehen an der Straße und warten auf den kleinen Umzug, der vom Spitalhof aus am Narrenbrunnen vorbei auf den Marktplatz zieht. Allen voran der Büttel mit seinem blank geputzten Helm, dicht gefolgt von einer Weiler Apfelkuchenspezialität, dem „Riesen-Spickling“.

 

Direkt dahinter laufen zahlreiche Maskengruppen, Narrenzünfte und Fanfarenzüge, bis am Ende schließlich der nagelneue Rammbock der Narrenzunft AHA auftaucht. 14 Mann der Weiler Hexen sind nötig, das rund 15 Meter lange Holz zu tragen. Ganz vorne sitzt eine riesige Hexenfigur, und das buschige Ende besteht aus zusammengebundenen Reisigbesen. Sichtlich stolz ist der AHA-Zunftmeister Daniel Kadasch über den neuen Rammbock und er ist sich sicher, dass er damit das Rathaus schnell stürmen wird. Dort hat sich Bürgermeister Thilo Schreiber mit seinen Getreuen verschanzt.

Unten vor dem Tor verliest der Zunftmeister die Anklageschrift. Im Mittelpunkt steht neben kleineren Vergehen die Zukunft des Weiler Marktplatzes. Wie wird das aussehen, wenn zur Sanierung erst einmal die Bagger anrollen, „eine grüne Oase soll hier entstanda, obwohl historisch no nie vorhanda“ ruft Kadasch. Und auf seine Frage, „Isch des gscheit oder dumm?“, sind sich die Narren auf dem Marktplatz einig und rufen mit einer Stimme: „Dumm“!

Falls Archäologen im Untergrund etwas Besonderes fänden, dann gäbe es wohl einen Baustopp und die Umbauten könnten genauso lange dauern wie der Umbau des Hotels Krone Post, der bereits 2016 in Angriff genommen wurde. „Dann müsse mer verlega d’Umzug nach Merklinga mitten in die Prärie, he Leit, des machtet mir Stätter ganz sicher nie!“, ist sich Daniel Kadasch sicher.

Der Weihnachtsmarkt kriegt sein Fett weg

Das zweite große Thema der Anklage ist der Weil der Städter Weihnachtsmarkt. Beim letzten Mal vom Profi statt von den Vereinen organisiert, kam er gar nicht gut bei der Bevölkerung an. Das schlägt sich auch in der Anklage nieder. Schreiber habe einen besinnlichen und frohen Weihnachtsmarkt versprochen, es gab stattdessen „viele Teile aus Blech“, es war ein „Schrottmarkt“. Und was in den AHA-Augen auch schwer wiegt: Es gab fast nur Kinderpunsch und wenig Glühwein. Auch im Umzug greifen die Narren das Thema auf und zeigen einen Wagen, auf dem alles zu finden ist, was ihrer Meinung nach zu einem traditionellen Weihnachtsmarkt wirklich dazugehört. „So sott’s sein, wir zeigen, wie es geht“, lautet das Motto.

Und dann der dritte große Aufreger: Das Naturschutzgebiet Merklinger Ried und das geplante Baugebiet Häugern-Nord. Das Wassersystem in den Neubaugebieten soll so angelegt werden, dass trotzdem genügend Wasser ins Ried fließt. „Uns Weiler Narra kostet das ein Vermögen“, ruft Kadasch, „durch den Bau eines unterirdischen Tunnelsystems zur Bewässerung der Tümpel. Und das nur, damit die Merklinger dort nachhaltig nackt baden können“.

Schließlich macht es der Zunftmeister kurz und ruft seine Mannen mit dem Rammbock herbei. So ganz einfach ist es dann aber doch nicht, die Tür einzureißen, drei Versuche braucht es, bis das Rathaus gestürmt werden kann. Dann fliegen aus den obersten Rathausfenstern erst einmal kiloweise Papierschnipsel aus den Fenstern, „die eng bedruckten Aktenberge für den Gemeinderat braucht kein Mensch“, begründet der Zunftmeister die Aktion.

Der Bürgermeister nimmt die Entmachtung gelassen

Schließlich wird der Bürgermeister auf den Marktplatz geführt, im Büßergewand steht Thilo Schreiber neben seinem Ankläger. Wer auf lange Ausreden gefasst war, der wird enttäuscht, und auch ob er wieder für sein Amt kandidiert, bleibt offen. Der Bürgermeister macht es sich einfach und erklärt schlicht alle Vorwürfe für nichtig, das seien alles „Fake News“. Stattdessen lobt er die 355 Jahre alte Fasnetstradition in Weil der Stadt und freut sich über die Ernennung der AHA zum UNESCO-Kulturerbe, um die Narren friedlich zu stimmen. Dann gibt er bereitwillig den Rathausschlüssel her. Kein Wunder, er hofft darauf, dass die Narren in der Zeit bis Aschermittwoch alle Probleme und Geldsorgen der Stadt lösen werden, „dann habe ich nach der Fasnet weniger Arbeit“, so Schreiber.

Gemeinsam wird jetzt noch gefeiert und der Riesen-Spickling genossen. 25 Spicklingsweiber, einst der Historie nach wohlhabende Bürgersfrauen, haben am Vortag den rund zwei Meter großen, runden Apfelkuchen gebacken. Die Äpfel und anderen Zutaten dafür wurden von örtlichen Obstbauern und Händlern gespendet. Die Tradition des Spicklings gibt es schon seit 444 Jahren. Der spezielle Riesen-Spickling, der für den Rathaussturm gebacken wird, besteht aus zwölf backblechgroßen Kuchenstücken, die in einer speziell dafür herstellten Kuchenform einzeln nacheinander gebacken und dann erst zusammengesetzt werden.

Nur einzeln und nacheinander passen sie in den Backofen von Spicklingsfrau Gudrun Schmidt. Jedes Stück hat etwa eine halbe Stunde Backzeit, über mehrere Stunden waren die Spicklingsweiber also allein mit dem Backen beschäftigt, bis das Kuchen-Puzzle fertig war. Der Kuchen wird dieses Mal gegen Spende für einen guten Zweck verkauft. Der Erlös ist für Kinder mit der seltenen Stoffwechselkrankheit NCL gedacht, wovon auch in Weil der Stadt eine Familie betroffen ist.