Im Landkreis Böblingen gibt es ein integratives Modellprojekt, in dem Kinder mit erhöhtem Förderbedarf gemeinsam mit allen anderen betreut werden.

Renningen - Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, wenn sich Pädagogen im Kindergarten oder der Kindertagesstätte Zeit für alle Kinder, auch für die, die mehr brauchen, nehmen können“, sagt Daniel Dreßen. Er ist Abteilungsleiter des Ressorts Kinder und Familien der Stadt Renningen und maßgeblich beteiligt an dem integrativen Modellprojekt im Landkreis Böblingen, das die Rankbachstadt mit auf den Weg gebracht hat: „Eine Kita für alle“, in der alle Kinder gemeinsam betreut werden, diejenigen mit erhöhtem Förderbedarf genauso wie alle anderen.

 

„Wir haben schon lange über Verbesserungen am bestehenden System nachgedacht“, erklärt Daniel Dreßen. Die bürokratischen Hürden für die Eingliederungshilfe, die Kindern mit erhöhtem Förderbedarf zusteht, seien hoch, und bis zur Bewilligung sei es meist ein langer Weg. „Wir dachten, das muss doch schneller und einfacher gehen.“ Er zögert kurz, dann spricht er einen weiteren Punkt an: „Außerdem scheuen sich viele betroffene Eltern, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, damit ihr Kind nicht schon von Anfang an stigmatisiert wird.“

Dreßen hat schon erlebt, dass Eltern lieber aus der Gemeinde weggezogen sind, als dass sie ihr Kind dieser Gefahr aussetzen. „Und das kann nicht sein“, sagt er entschlossen. „Es war klar, dass wir hier etwas ändern wollen und müssen. Zum Beispiel neue Wege finden, damit zum einen die Hilfsgelder schneller und unbürokratischer fließen und zum anderen alle Kinder die Chance auf echte Teilhabe bekommen.“

Projekt läuft in sieben Einrichtungen

Das Landratsamt Böblingen hat bereits 2017 erste Gespräche am Runden Tisch organisiert, um effektive Lösungen für eine integrative Kita zu erarbeiten. Herausgekommen ist dabei das auf drei Jahre angelegte Modellprojekt „Eine Kita für alle“, für das sieben Einrichtungen im Kreis den Zuschlag bekommen haben. Neben dem Kindergarten Schnallenäcker im Renninger Ortsteil Malmsheim zählen dazu die städtischen Einrichtungen in Aidlingen, Ehningen, Gäufelden, Herrenberg und Waldenbuch sowie die Katholische Kirchengemeinde St. Anna in Maichingen.

„Wir haben mit diesem Modellprojekt einen neuen Weg beschritten“, sagt Daniel Dreßen. „Die Förderung greift jetzt nicht mehr kind-, sondern einrichtungsspezifisch.“ Die Förderung fließt ohne individuelle Bewilligungsprozesse deutlich schneller und mit einem geringeren bürokratischen Aufwand. Und die so gefürchtete Stigmatisierung einzelner Kinder fällt weg. Damit können Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in ihrem gewohnten Umfeld betreut werden und müssen nicht in andere Einrichtungen wechseln. Warum das für alle so wichtig ist? Um es mit den Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu sagen: „Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird, muss hinterher auch nicht eingegliedert werden.“

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Doch es gibt noch einen anderen, wesentlichen Vorteil. „Die Erzieher können bei allen Kindern genauer hinschauen und Expertenrat einholen. So kann ein Kind gegebenenfalls schon sehr bald in die richtigen Bahnen geleitet werden und bekommt ganz früh Hilfe“, erklärt Dreßen. Dazu wird der Sachverstand der Spezialisten im Kindergarten weitergegeben, und damit profitieren nicht nur die Kinder, sondern auch alle Erzieher vom Fachwissen der speziell ausgebildeten Betreuer.

Für das Modellprojekt werden zusätzliche heil- beziehungsweise sozialpädagogische Fachkräfte eingestellt, die Personalkosten werden zu zwei Dritteln vom Landkreis Böblingen übernommen. Im Kindergarten Schnallenäcker haben die Erzieherinnen und Erzieher schon Erfahrung mit Kindern mit erhöhtem Förderbedarf, seit Februar werden sie durch eine zusätzliche Integrationskraft unterstützt. Aber das ist nicht alles: „Wir haben in Renningen ein großes Team ganz unterschiedlicher Fachkräfte, die ihr Wissen mit den Erziehern teilen und jederzeit ansprechbar sind. Heilpädagogen, Heilerzieher, Logopäden, Sonderpädagogen oder Ergotherapeuten – unsere Stärke liegt in der Vielfalt, und das ist ein Wert, den wir leben“, erklärt Dreßen.

Leuchtturmprojekt in Renningen

Auch Renningens Bürgermeister Wolfgang Faißt ist von dem Konzept überzeugt. „Eine Kita für alle betont die Einzigartigkeit jedes Menschen. Wir freuen uns, damit ein Leuchtturmprojekt für eine inklusive und diversifizierte Gesellschaft nach Renningen geholt zu haben.“ Nach den kommenden drei Jahren wird ein Resümee gezogen und entschieden, wie es im Landkreis weitergeht.