Welcher junge Mediziner wird heute noch Landarzt? Alexander Berner übernimmt die Praxis in Schafhausen.

Weil der Stadt - In nur einem Monat hat er sich vom Angestellten zum Klein-Unternehmer verwandelt, mit zwei Angestellten, mit eigener Buchhaltung, mit Räumen und einer eigenen IT-Infrastruktur. „Das war alles Neuland für mich“, sagt Alexander Berner und sieht dabei aber gar nicht demotiviert aus. Abrechnungsziffern, das Praxisverwaltungssystem und nebenbei auch ein neues Diagnose- und ein Ultraschallgerät – all das musste Berner im September planen und in mehreren Fortbildungen lernen.

 

Jetzt ist er der neue Hausarzt in Schafhausen, und das Aufatmen im Ort ist deutlich hörbar. Denn ob die Praxis dort überhaupt eine Zukunft hat, war lange ungewiss. Ulrich Wahl, der bisherige Schafhausener Arzt, war schon seit vielen Jahren auf der Suche nach einem Nachfolger. Junge Mediziner stehen aber nicht Schlange, wenn es darum geht, als Einzelkämpfer eine Landarzt-Praxis zu übernehmen.

Viele Mediziner wollen nicht in Einzelpraxis

5100 Allgemeinärzte hat es Ende 2018 laut Statistischem Landesamt in Baden-Württemberg gegeben, vor 25 Jahren waren es noch 1200 Ärzte mehr. „Besonders schwer wiegt, dass mehr Ärzte in den Ruhestand gehen als junge Mediziner nachfolgen“, sagt ein Sprecher des Sozialministeriums. Dort stellt man zudem fest, dass junge Berufseinsteiger anders arbeiten wollen als ihre älteren Kollegen, eben nicht in der Einzelpraxis. „Neben dem Streben nach einem Beruf, der mehr Zeit für das Familienleben lässt, gibt es auch den Wunsch, mehr im Team zu arbeiten“, sagt der Sprecher von Sozialminister Manne Lucha (Grüne). Der Nachbar-Landkreis Calw unterstützt Medizinstudenten mit bis zu 30 000 Euro, wenn sie sich verpflichten, mindestens vier Jahre im Landkreis Calw als Hausarzt tätig zu sein. Bis 2022 brauchen dort 57 Hausärzte – mehr als die Hälfte – einen Nachfolger, heißt es aus dem Calwer Landratsamt.

Schafhausen muss nicht weitersuchen. Wer ist also Alexander Berner, der darin seinen Traumberuf sieht? „Ja, als Landarzt zu arbeiten, das war seit dem Studium mein Wunsch“, sagt der 39-Jährige. Deshalb hat er zum Beispiel auch keinen Doktor-Titel. „Ich brauche das nicht, weder formal, um die Praxis zu betreiben, noch für mein Ego.“ In Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) ist Alexander Berner aufgewachsen, der Vater war Polizist, und die Mutter hat in einer Filmfabrik gearbeitet. Polizist war deshalb erst sein Berufswunsch, später Jurist. „Ich wollte Menschen helfen, deshalb kam ich auf die Medizin“, sagt er.

In Leipzig hat er von 2000 bis 2006 studiert, war nebenbei Rettungssanitäter, um Geld zu verdienen. Das praktische Jahr während des Studiums hat er in einem kleinen Krankenhaus in der Nähe von Bern (Schweiz) absolviert – spätestens dort wurde seine Liebe zur direkten, individuellen und persönlichen Medizin geweckt. Später als Assistenzarzt war er wieder dort. „Ich durfte alles machen und fühlte mich in der familiären Atmosphäre super aufgehoben“, erinnert er sich.

Nach Schafhausen kam er privat

Seine zweite Liebe gilt der Notfallmedizin. 2010 eröffnete das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart ein neues Notaufnahme-Zentrum und suchte nach speziellen Notfallmedizinern. Vorher hatten Ärzte aus verschiedenen Abteilungen in der Notfallaufnahme Dienst geschoben. „Ich wusste gleich: Das ist meine Stelle“, erinnert er sich. Mehr als zehn Jahre hat er jetzt am Bosch-Krankenhaus gearbeitet, zwischenzeitlich den Facharzt für Innere Medizin erlangt. „Es war für mich immer klar, dass ich irgendwann in die Praxis will“, sagt er aber.

Nach Schafhausen fand Alexander Berner privat, und so kam das eine zum anderen. Im Frühjahr 2019 hat er mit seiner Frau und den Kindern ein Haus in dem Weiler Ortsteil bezogen. Vor etwa einem Jahr hat er erfahren, dass der Schafhausener Arzt Ulrich Wahl einen Nachfolger sucht. „Das muss ich machen“, habe er sich da gedacht, weiß Berner noch. „Ich habe hier die Chance, eine Praxis ganz nach meiner Vorstellung zu gestalten.“ Denn der Merklinger Bauunternehmer Waidelich bebaut zurzeit in Schafhausen die Ortsmitte neu, eine Arztpraxis war dort schon immer vorgesehen. Allein die Frage, ob sich ein Mediziner findet, war offen – aber das ist ja jetzt geklärt.

Alexander Berner arbeitet damit nicht nur in Schafhausen, er wohnt hier mit seiner Familie, hat die Kinder im örtlichen Kindergarten und der Grundschule. Kann er da überhaupt beruflich abschalten? „Ich glaube, wenn man Medizin studiert hat, wird man sowieso ständig angesprochen“, sagt er. Die Vorteile, als niedergelassener Arzt zu arbeiten, überwiegen jedenfalls, findet er: „Das Pendeln fällt weg, und ich kann schnell meine Kinder im Kindergarten oder aus der Schule abholen.“ Er kenne niemand, der von der Klinik in die Praxis gewechselt ist, und der das bereut hat, berichtet er.

Wie also könnte die Politik noch mehr solche Wechsel unterstützen? Im Januar erst hat der Sozialminister Manne Lucha das vier Millionen Euro schwere Förderprogramms „Landärzte“ gestartet. Mediziner bekommen dabei ein wenig finanzielle Unterstützung, wenn sie in ländlichen Gebieten eine Praxis aufmachen.

Alexander Berner geht es da gar nicht so sehr ums Geld. „Etwas abschreckend ist der ganze Berg, den man zu erledigen hat, wenn man ins Unternehmer-Sein wechselt“, sagt er. Dabei hätte er sich mehr Unterstützung und Struktur gewünscht, ein Komplettpaket der Kassenärztlichen Vereinigung. Berner aber hat es hinbekommen, mit viel Eigeninitiative und der Unterstützung einer befreundeten niedergelassenen Ärztin in Reutlingen und seines Vorgängers Ulrich Wahl. Und dann fällt ihm noch ein Vorteil ein. „Ich werde an Weihnachten und Silvester frei haben“, sagt er, schmunzelt und freut sich schon. „Das hatte ich seit 15 Jahren nicht mehr.“