Die Linken-Stadträtin Gitte Hutter plädiert für einen Boulevard von der Altstadt bis Eltingen und einen autofreien Marktplatz. Shisha-Bars will sie Orte der Kultur und Kommunikation entgegensetzen.

Leonberg - Mehr Raum für Fußgänger liegt Gitte Hutter besonders am Herzen. Deshalb bittet sie zum Sommergespräch an den Neuköllner Platz. Da gibt es zwar mittlerweile einige Straßencafés, aber für die Passanten wird es eng. Ein bisschen großzügiger müsste es schon sein, meint die Stadträtin der Linken.

 

Frau Hutter, gehört der Neuköllner Platz zu Ihren bevorzugten Orten?

Dazu könnte er zählen, wenn man daraus einen richtigen Boulevard machen würde, mit viel Aufenthaltsqualität für Fußgänger. Die Außengastronomie hier macht zwar was her und ist im Sommer gut besucht, aber es braucht Platz für Passanten.

Woher wollen Sie den Platz nehmen?

Es genügt, wenn die Autos nur eine Spur in jede Richtung haben, und zwar nicht nur hier. Wir brauchen eine lange Flaniermeile vom Marktplatz bis nach Eltingen, damit die Stadtviertel zusammenwachsen.

Damit machen Sie sich bei den Autofahrern keine Freunde...

Es gibt genügend Städte, in denen die Autos komplett draußen sind.

Wenn der Engelbergtunnel gesperrt wird, ist die Kernstadt die offizielle Umleitung.

Genau das ist nicht akzeptabel. Wir hatten das ja schon zwei mal, das war das reinste Chaos. Deshalb fordere ich von der Stadt und dem für die Tunnelsanierung zuständigen Regierungspräsidium, dass eine andere Lösung für jene Phasen erarbeitet wird, in denen der Tunnel gesperrt ist. Wenn die Innenstadt aus einem einzigen Stau besteht, kommen ja auch keine Rettungswagen und Busse mehr durch.

Für viele ist der Bus keine Alternative. Stattdessen wird auf die Möglichkeiten des autonomen Fahrens verwiesen.

Auch das ist Individualverkehr, der die Städte verstopft. Wir brauchen das stadtweite Ein-Euro-Ticket als Einstieg in einen kostenfreien Nahverkehr.

Da hat bestimmt der VVS was dagegen.

In den Aufsichtsgremien sitzen doch die meisten Bürgermeister und Landräte. Wenn die das wollen, ist es machbar.

Das Geld für einen Nulltarif muss irgendwo herkommen.

Wir können mit dem Sparen hier direkt anfangen. Die Stadt ist vollgepackt mit Ampeln. Wenn die durch Kreisverkehre ersetzt werden, sparen wir Strom und Wartung. Außerdem haben wir einen wahnwitzigen Schilderwald. Zwischen dem Hallenbad und der Stadtausfahrt am TSG-Gelände steht alle paar Meter ein Tempo-30-Schild. Viel besser wäre es doch, man würde die komplette Kernstadt zur Tempo-40-Zone erklären. Das würde uns dieses teure Schilder-Chaos buchstäblich ersparen.

„Ich bin definitiv für einen autofreien Marktplatz“

Heiß diskutiert wird die Gestaltung des Postareals und die Bäume vor der Post.

Wir brauchen insgesamt viel mehr Bäume, deshalb unterstütze ich die Freien Wähler mit ihrer Forderung, die Kastanien zu erhalten. Sie geben Schatten und Sauerstoff. Auf dem Rathaus-Vorplatz sieht man ja, wie es ist, wenn kaum Bäume da sind.

Umstritten ist, ob der Brückenschlag vom Postareal zum Marktplatz nur den Fußgängern vorbehalten werden soll.

Da bin ich unbedingt dafür. Es gibt leider sehr viele Radler, die sehr abenteuerlich fahren, sich nicht um rote Ampeln scheren und ständig die Spur wechseln. Vor denen müssen die Fußgänger geschützt werden. Dann lieber einen extra Radweg zum Marktplatz bauen.

Und die Autos dort?

Ich bin definitiv für einen autofreien Marktplatz, alles andere bringt nur Lärm und Gestank. Im Parkhaus ist genug Platz. Wenn die Ausgänge besser beschildert sind, ist es auch Kurzparkern zumutbar, nach unten zu fahren. Man ist schnell wieder oben.

Und die Anwohner, die schwere Sachen in die Wohnung bringen müssen?

Für die braucht es Sondergenehmigungen.

Ein Ärgerthema in der Altstadt ist die Außengastronomie. Punkt 22 Uhr müssen die Gäste ruckzuck weg.

Ich bin dafür, dass die Leute eine Stunde länger draußen sitzen dürfen, so wie es in anderen Städten auch der Fall ist. Die Menschen unterhalten sich ja nur.

„Der Wohlfühlfaktor in der Stadt ist gesunken“

Frau Hutter, Sie als gebürtige Leonbergerin: Fühlen Sie sich in Ihrer Stadt wohl?

Der Wohlfühlfaktor ist durch die vielen Spielhallen, Shisha-Bars und Barbershops gesunken. Es gibt Plätze, an denen eine Grundaggressivität herrscht und man oft angemacht wird. Jugendliche machen nachts auf der Eltinger Straße Rennen mit unbeleuchteten BMX-Rädern. All das zieht eine gewisse Klientel an, die nicht gerade gut für das Gesellschaftsklima ist.

Was setzen Sie dagegen?

Orte der Kommunikation und Kultur. Ich hatte schon vor einem Jahr im Sommergespräch vorgeschlagen, das Reiterstadion zu einem Amphitheater zum machen. So könnten wir eine Art Perlenkette durch die Stadt ziehen: Vom Marktplatz, den ich auch als Kulturstätte sehe, übers Reiterstadion, bis hin zur Stadthalle.

Die Stadthalle steht nicht zur Disposition?

Auf keinen Fall, da brauche ich gar nicht groß zu diskutieren.

Die Grünen sehen in der Stadthalle vor allem einen Kostenfaktor und bringen nach wie vor einen Abriss ins Gespräch.

Dann frage ich den Dr. Murschel mal, ob Kultur künftig in seinem Garten steigt.

Dass in der Stadthalle etwas passieren muss, ist im Gemeinderat unstrittig.

Das ist ja richtig. Wir müssen sie aufhübschen und mit dem benachbarten Amber-Hotel zusammenarbeiten. Und wenn ein Hallenmanager, der ja kommen soll, gut vernetzt ist, holt er vielleicht auch den einen oder anderen großen Namen.

„Die Wohnungsnot hat längst die Mittelschicht erfasst“

Eines der größten Probleme ist der angespannte Wohnungsmarkt. Sie hatten schon im Sommergespräch vor zwei Jahren für hohe Wohnhäuser plädiert...

... und jetzt kommen auch andere langsam auf die Idee, dass dies der richtige Weg ist. Es gibt ja viele Beispiele, dass mehrgeschossiger Wohnbau architektonisch ansprechend sein kann. Das gilt übrigens nicht nur für Wohnhäuser. Auch Betriebe müssen verstärkt in die Höhe und nicht in die Fläche bauen.

Einen Vorgeschmack liefert die Nachverdichtung, die gerade sehr intensiv in vielen Quartieren umgesetzt wird. Es gibt kaum noch Lücken, die nicht zugebaut werden, was nicht nur auf Freude stößt.

Es ist doch aber besser als freie Fläche zuzubauen. Wir haben als eine der wenigen größeren Städte die Natur und damit die Naherholung direkt vor der Haustür. Diesen Vorzug müssen wir erhalten. Da profitieren alle von.

An der Berliner Straße sollen aber Flächen des Stadtparks bebaut werden.

Das ist ein Randstreifen, ungenutzte Rasenfläche. Und was die vermeintliche Gefahr eines zweiten sozialen Brennpunkts neben der Lobensteiner Straße betrifft: Die Wohnungsnot hat längst die Mittelschicht erfasst. An der Berliner Straße wird kein problematisches Viertel entstehen.

„Ich bin sehr dankbar“

Sie haben jetzt Ihre zweite Legislaturperiode im Gemeinderat begonnen. Was ist Ihr Zwischenresümee nach fünf Jahren?

Dass ich wiedergewählt wurde, darüber bin ich sehr dankbar und sehe es als Anerkennung für meine Arbeit. Ich bin ja auch in den Kreistag gekommen, die Menschen trauen mir offenbar etwas zu. Nach der Wahl war ich richtig happy. Und jetzt versuche ich natürlich, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.

Wie ist der Umgang im Gemeinderat?

Der Umgang untereinander ist sehr respektvoll, und ich komme mit vielen Stadträten sehr gut klar. Ich höre mir die anderen Standpunkte an und versuche sie mit meinen sozialen Aspekten zu ergänzen. Die Entscheidungsprozesse sind allerdings oft sehr schwerfällig. Immer wieder werden neue Gutachten angefordert, anstatt einfach mal was zu wagen und keine Angst vor einer Entscheidung zu haben.

Das ist doch genau die Linie des Oberbürgermeisters. Wie finden Sie ihn?

Herr Cohn ist sehr forsch unterwegs und hat teilweise die Stadtverwaltung umgekrempelt. Wenn das nicht zu Lasten der Mitarbeiter geht, kann das gute Ergebnisse bringen. Man muss abwarten.

Und im Umgang mit dem Gemeinderat?

Manchmal will er uns mit ins Boot holen, manchmal auch nicht. Die Diskussion um das Zaubertheater ist ein Beispiel für die zweite Variante. Da hatte ich den Eindruck, dass alles im Vorfeld schon ausgemacht war, obwohl es ja interessante Vorschläge gegeben hat, wo ein Zaubertheater noch hätte gebaut werden sollen. Insgesamt finde ich es gut, dass der OB Neues wagt, aber er muss seine Linie finden.

Das Ländle ist nicht gerade ein Stammland der Linken. Haben Sie es besonders schwer?

Nein, kommunal kommt es ja mehr auf die Person und weniger auf die Partei an.

Und inhaltlich?

Man muss die Dinge realistisch sehen. In einer Region, die vom Auto lebt, kann ich das Auto nicht verteufeln und nur noch auf Elektromobilität setzen. Alles spricht dafür, dass das Auto mit Verbrennungsmotor keine dauerhafte Zukunft hat. Aber man muss die Übergänge sozial verträglich gestalten und die Mitarbeiter für die neuen Aufgaben qualifizieren.

Das hätte jetzt auch ein Politiker von SPD oder CDU sagen können.

Ich bin nicht der Prototyp einer verbissenen Linken. Ich möchte zeigen, dass die Linke auch anders kann.