Zum Abschluss der Sommergespräche nimmt der Leonberger Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) zur Kritik aus dem Gemeinderat Stellung.

Leonberg - Seit dem Erfolgsfestival Leonpalooza hat der Bürgerplatz vor der Stadthalle ein völlig neues Image. Ein idealer Ort für das Sommergespräch mit Oberbürgermeister Martin Georg Cohn.

 

Herr Oberbürgermeister, in den Sommergesprächen unserer Zeitung haben verschiedene Fraktionsvertreter Kritik an Ihnen geübt. Jetzt können Sie Stellung nehmen. Fangen wir mit der Berliner Straße an. Es heißt, Sie wollten dort ein Luxusquartier durchsetzen und keinen bezahlbaren Wohnraum.

Es trifft absolut nicht zu, dass ich gegen bezahlbaren Wohnraum bin. Im Gegenteil. Sowohl der Baubürgermeister als auch ich waren schon vor mehr als einem Jahr der Meinung, dass wir dort sehr schnell Wohnraum schaffen sollten. Dann kam ein Investor mit einem interessanten Modell für gehobenes Wohnen auf uns zu.

Das Sie sofort überzeugt hat...

...das wir im bereits vergangenen November dem Gemeinderat in einer nichtöffentlichen Sitzung vorgestellt hatten. Kritische Nachfragen bezüglich einer möglichen Direktvergabe an einen Investor hatte es zu dem Zeitpunkt nicht gegeben.

Aber auch keine spontane Begeisterung. Schließlich hatte der Gemeinderat ja zuvor nach einer langwierigen Diskussion beschlossen, dass dort ein Viertel mit 25 Prozent bezahlbarem Wohnraum gebaut werden soll.

Was möglich gewesen wäre. Man hätte die Fläche aufteilen können: der größere Bereich für das Projekt des Investors, der kleinere für bezahlbaren Wohnraum. Die zweite Variante wäre gewesen, dass der Investor das komplette Gebiet an der Berliner Straße bekommt und wir als Stadt am Unteren Schützenrain, dem anderen vom Rat beschlossen Baugebiet, ausschließlich günstige Wohnungen bauen.

Beide Varianten will der Gemeinderat offenbar nicht. Wie geht es nun weiter?

Das vom Rat geforderte Investoren-Auswahlverfahren wird kommen. Mal schauen, wie lange es dauert. Hätte der Gemeinderat bereits im November seine Bedenken geäußert, wären wir wohl weiter.

Leonberg hat ein Ausgabenproblem

Geknirscht hat es zwischen Ihnen und der CDU wegen des Zeitpunkts einer Klausur zur Finanzlage. Die hätten Sie immer wieder hinausgezögert.

Auch hier ist das Gegenteil der Fall: Ich wollte an einem anderen Ort tagen und die Klausur zum Anlass nehmen, auch das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und hatte ein ganzes Wochenende mit Abendprogramm vorgeschlagen. Das wurde abgelehnt.

Jetzt wird an zwei unterschiedlichen Tagen diskutiert. Wie groß ist die Not?

Wir haben in erster Linie ein Ausgabenproblem: Die Gemeindeprüfungsanstalt hat vor wenigen Wochen die Finanzentwicklung der Jahre 2008 bis 2018 unserer Stadt geprüft und festgestellt, dass sich in Leonberg überproportional die Ausgaben zu unseren Einnahmen erhöht haben.

Leonberg hatte auch gute Einnahmen.

Ja, aber die Ausgaben sind überproportional gestiegen. In diesem gravierenden Punkt ist mir nicht bekannt, dass die notwendigen finanzpolitischen Warnsignale aus dem eigenen Haus gekommen sind.

Sie meinen den Finanzbürgermeister Ulrich Vonderheid, dem Sie ja ohnehin am liebsten die Verantwortung für die Kämmerei abnehmen möchten?

Ich sage es mal so: Es ist für mich eine Frage der finanzpolitischen Führung, vor einer problematischen Entwicklung offensiv zu warnen. Damit meine ich nicht, dass jede einzelne Buchung erläutert wird. Aber der Gemeinderat braucht eine kontinuierliche Übersicht, wie sich Einnahmen und Ausgaben im jeweiligen Verhältnis entwickeln.

Die vom Gemeinderat ja auch immer wieder eingefordert wurde. Hätten Sie als Oberbürgermeister nicht über die Erkenntnisse der Gemeindeprüfungsanstalt informieren müssen?

Der Bericht ist noch nicht im Hause. Es gab zunächst eine Abschlussbesprechung vor den Ferien. Wir werden die strukturellen Ausgabenprobleme während der Klausur transparent machen.

Welche Bereiche sind gravierend?

Wir haben hohe Sozialkosten, insbesondere bei der Kinderbetreuung. Denken Sie an die vielen Kitas, die in den vergangenen Jahren entstanden sind und noch entstehen. Die Personalkosten sind gestiegen, und das Defizit der Stadthalle schlägt jährlich mit bis zu einer Million Euro zu Buche.

Stadthallen-Neubau, Schuhfabrik und Postareal

Sie sehen in einem Neubau der Stadthalle die Zukunft. Einige Fraktionen aber tendieren zu einer Sanierung. In der so gewonnenen Zeit könnte in Ruhe ein Zukunftsmodell erarbeitet werden.

Das könnte fast zu spät sein. Wobei ich nicht grundsätzlich gegen eine Sanierung bin. Aber wir müssen eine Stadthalle haben, in der ein größeres Programm möglich ist. Dass das Publikum kommt, wenn das Angebot stimmt, hat nun das Sommerfestival Leonpalooza mehr als deutlich gezeigt. Auf diesem Erfolg müssen wir aufbauen und uns weiterentwickeln. Dabei dürfen wir unsere Vereine aber auch nicht vergessen.

Was heißt das konkret?

Wir brauchen zwei unabhängige Gutachten zu einer Sanierung und zu einem Neubau. Wir haben kurz vor den Ferien eine Arbeitsgruppe mit Ratsmitgliedern unter der Leitung des Veranstaltungsmanagers Nils Strassburg und Birgit Albrecht (Leiterin Gebäudemanagement) gebildet. Die Gruppe muss das jetzt in die Hand nehmen.

Ungeklärt ist auch die Zukunft der alten Schuhfabrik.

Hier gibt es drei Faktoren: das Interesse der Künstler an den Arbeitsstätten, der Zustand des Hauses und das Entwicklungspotenzial des Standortes. Unter diesen Rahmenbedingungen wird im Herbst eine Diskussion geführt. Dabei muss die Politik die Interessen der Künstler verstehen, sie aber auch unsere. Kompromisse sind hier nötig.

Ebenfalls ungeklärt die Weiterentwicklung des Postareals.

Der Investor hatte uns am Jahresanfang eine Konzeption vorgelegt, in der die Anregungen des Gemeinderates eingearbeitet waren. Dann kam Corona. Ich gehe davon aus, dass wir noch in diesem Jahr bei der Entwicklung weiterkommen.

Die Verkehrsdiskussion

Unter Einbeziehung einer womöglich verkleinerten Eltinger Straße?

Klar ist, dass wir das Auto nicht komplett verdrängen können. Aber wir brauchen einen urbanen Raum, in dem wir uns wohlfühlen. Dafür wäre es einfacher, wenn sich der Gemeinderat vorstellen könnte, die Eltinger Straße bis zum Neuköllner Platz umzugestalten. Damit hätten wir ein verbindendes Element zur Altstadt mit hoher Aufenthaltsqualität. Das kostet einiges, das sollte es uns aber wert sein.

Nicht wenige befürchten, dass bei einem Rückbau der Straßen im Zentrum das Verkehrschaos größer wird.

Dazu gibt es Überlegungen. Es ist ja nicht so, dass das Thema Verkehr im Rathaus nicht bearbeitet wurde.

Sie meinen die Mobilitätsbeauftragte Bärbel Sauer, die nach Heidelberg geht?

Es ist in der Tat soviel bearbeitet worden, dass buchstäblich ein Stau entstanden ist. Ich will mich da nicht aus der Verantwortung ziehen: Wir haben viel an uns gezogen, aber keine Prioritäten gesetzt.

Setzen Sie jetzt Prioritäten?

Als erstes werden wir in einem mit dem Gemeinderat abgestimmten Verfahren die Zahlen der Verkehrserhebung mit den Perspektiven für eine Umgehungsstraße abgleichen. Damit verbunden ist eine Straßenkonzeption, die Bus- und Radspuren und Pförtnerampeln beinhaltet.

Jene Ampeln, die an den Ortseingängen stehen, etwa in Höfingen, und nur Autos in die Innenstadt lassen, wenn der Verkehr auch fließt?

Genau die. Allerdings dürfen dadurch unsere Nachbarstädte, zum Beispiel Ditzingen, nicht benachteiligt werden.

Ihr erster Beitrag zur Verkehrsdiskussion war die Seilbahn-Idee. War das im Nachhinein eine Schnapsidee?

So würde ich es nicht nennen. Immerhin hat das Verkehrsthema dadurch an Dynamik gewonnen. Dadurch arbeiten wir inzwischen sehr intensiv und gut mit der Firma Bosch zusammen. Davon werden wir langfristig profitieren.

All diese Aufgaben können Sie nur stemmen, wenn Sie eine gute Arbeitsbasis mit dem Gemeinderat haben.

Ich bin an einer harmonischen Zusammenarbeit interessiert. Das bedeutet nicht, das man immer einer Meinung sein muss. Kontroverse belebt die Demokratie. Dabei sollte aber die Sache im Vordergrund stehen. In den vergangenen Wochen hatte ich nicht immer den Eindruck, dass dies der Fall war.