Im Sommergespräch fordert die Linken-Stadträtin Gitte Hutter mehr Druck auf Immobilieneigentümer, den Abschied vom Einzelhaus mit Garten sowie Quartiere mit mehr Nahversorgung und weniger Parkplätzen

Leonberg - Mit großem Nachdruck engagiert sich die Stadträtin Gitte Hutter (Linke) für bezahlbaren Wohnraum. Doch der, so sagt sie, sei nicht in allen Neubaugebieten gewährleistet.

 

Frau Hutter, Sie haben sich als Ort für das Sommergespräch das alte TSG-Gelände ausgesucht. Hier baut die Firma Pandion ein neues Wohnquartier.

Genau. Die einstigen Sportflächen sind planiert, und deshalb hat die Fläche einen wüstenähnlichen Charakter. Ein passendes Bild für die Situation auf dem Wohnungsmarkt: Beim bezahlbaren Wohnraum ist Leonberg tatsächlich Wüste. Das Thema wird im Gemeinderat nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt, sondern eher zu Tode diskutiert. Das mag daran liegen, dass die meisten Stadträte ein Eigenheim haben, was ich jedem einzelnen auch sehr gönne. Aber sie können sich vielleicht gar nicht in die Lage von vielen Familien hineinversetzen, die verzweifelt einen Platz zum Wohnen suchen.

Was müsste im Rat geschehen?

Man muss viel mehr Druck aufbauen, um leer stehende Wohnungen wieder dem Mietmarkt zuzuführen. In Köln gibt es eine Wohnraumschutzsatzung, mit der Wohnungen vor gewerblicher Nutzung oder Zweckentfremdung, zum Beispiel als Ferienwohnungen, geschützt werden. So etwas würde ich mir hier auch wünschen.

Leonberg ist aber nicht Köln.

Aber die Probleme sind ähnlich. Es geht ja nicht nur um leer stehende Wohnungen, sondern ganze Flächen. Nehmen Sie das Gelände gegenüber des Leo-Centers, auf dem im Moment die Container des Interims-Kindergartens aufgebaut sind. Da tut sich seit Jahren nichts. Oder die Villa an der Ecke Bismarckstraße/Poststraße, die fast von einem Urwald umgeben ist. Das sind doch keine Zustände! Die Frage ist, ob unser Gemeinderat bereit ist, in solchen Fällen Bußgelder zu verhängen.

Sie können doch niemanden zwingen, sein Grundstück zu verkaufen.

Wie heißt es im Grundgesetz? Eigentum verpflichtet. Wenn jemand sein Haus verkommen lässt, dann muss man es ihm wegnehmen, natürlich gegen Bezahlung des aktuellen Geldwertes.

Das klingt sehr sozialistisch.

Ich weiß, dass es knallhart ist. Aber man muss etwas machen. Wir haben die Flächen ja nur einmal.

Nur mit Enteignungen lösen Sie die Wohnungsnot aber nicht.

Natürlich nicht. Wir müssen unsere Bauweise ändern und uns vom Einfamilienhaus mit Garten verabschieden. Da wir nicht mehr ausreichend Fläche haben, müssen wir in die Höhe bauen.

Regelrechte Wohntürme?

Nein, wir sollten uns hüten, die Hochhäuser am Leo-Center zu kopieren. Aber gegenüber der alten Hauptpost in der Eltinger Straße gibt es ein mehrgeschossiges Haus, an dem sich niemand stört. Das kann als Vorbild dienen.

Hilft eine kommunale Baugesellschaft?

Grundsätzlich bin ich dafür. Ob wir eine eigene brauchen, müsste man prüfen. Wir haben ja schon einige vor der Haustür, mit denen man kooperieren könnte.

Nicht nur angesichts der Wohnungsnot, sondern auch wegen der Infrastruktur wird kritisch diskutiert, ob Leonberg überhaupt weiter wachsen soll.

Die Bevölkerung wächst, die Menschen werden älter. Da können wir doch nicht einfach die Tore schließen und sagen: Die anderen Städte sollen es richten.

Über die Amtsführung des Oberbürgermeisters

Für die Berliner Straße hat der Gemeinderat ein Quartier mit 25 Prozent bezahlbaren Wohnraum beschlossen. Jetzt hat der OB einen Investor an der Hand, der dort hochwertige Wohnungen bauen will.

Der Ratsbeschluss war ohnehin ein sehr schwer zustande gekommener Kompromiss. Es ist schon sehr erstaunlich, dass der OB nur wenige Monate später offenbar an spontaner Demenz leidet und nicht mehr weiß, was beschlossen wurde.

Ist das Kritik an seiner Amtsführung?

Herr Cohn prescht in vielen Gebieten vor. Dabei ist er nur ein Teil des Gemeinderates und ein Teil der Verwaltung. In Sachen Teamwork muss er noch einiges lernen. Seine Alleingänge bringen die Stadt nicht weiter, weil sie Kämpfe, aber keine Lösungen zur Folgen haben.

Dass er die Dezernate noch vor der Wahl der Bürgermeister im November neu strukturieren wollte, hat besonders harte, wie Sie sagen, Kämpfe ausgelöst.

Ich habe das im Vorfeld nur durch Zufall mitbekommen. Ich halte es für sinnvoll, dass Finanzen und Bauen die jeweiligen Schwerpunktressorts beider Stellen sind. Die Details kann man dann auf die tatsächlichen Amtsinhaber zuschneiden.

Wen wollen Sie wählen, die Stelleninhaber oder auswärtige Bewerber?

Mal schauen, wie viele Leute sich überhaupt bewerben. Auf solchen Positionen ist man ständig unter Beschuss und am Ende doch der Depp. Da muss man sich schon für berufen fühlen.

Das große Thema im Herbst wird die Finanzlage der Stadt sein.

Wir müssen sehr genau hinschauen, wofür wir künftig Geld ausgeben. Bei Vereinsprojekten muss es nicht immer die Goldrandlösung sein. So verstehe ich nicht, dass das neue Sportzentrum des SV Leonberg/Eltingen eine Sauna bekommt, obwohl wir eine öffentliche Sauna haben. Auch dass das Motorradtreffen Glemseck 101 öffentliche Gelder bekommt, lehne ich ab. Hier handelt es sich nicht einmal um einen Verein, sondern um eine private Gesellschaft.

Das Kürzen von Zuschüssen wird ohnehin nicht ausreichen.

Richtig. Ohne eine deutlich stärkere Unterstützung des Bundes wird keine Kommune künftig ihre Aufgaben bewältigen können.

Weniger Autos, mehr Grünflächen

Kann sich Leonberg einen Ausbau des Nahverkehrs leisten?

Wenn wir es nicht machen würden, wäre eine Zunahme des Autoverkehrs mit all seinen negativen Folgen die Konsequenz. Um einen guten Nahverkehr zu finanzieren, muss das Auto teurer werden. In Singapur zum Beispiel kostet die Zulassung eines Autos sehr viel Geld. Deshalb überlegen sich viele Familien, ob nicht ein Wagen reicht.

Jetzt ist Singapur nicht das Paradebeispiel eines freien Staates.

Die Menschen können doch frei entscheiden. Es ist nur eine Frage des Geldes. Aber mal ganz ehrlich: Bei uns haben viele Haushalte drei oder mehr Autos. Ist das wirklich nötig?

Viele Menschen brauchen einen Wagen, um die täglichen Einkäufe zu machen.

Wenn wir wieder direkt vor Ort einkaufen könnten, dann wären Fahrten zu den großen Supermärkten nicht nötig. Und dann könnte man die Parkplätze in den Wohnvierteln deutlich reduzieren. Das schafft mehr Lebensqualität.

Für viele ist es Lebensqualität, den Wagen vor der Haustür zu parken.

Natürlich ist ein Umdenken nötig. Und Quartiersarbeit ist nötig, damit eine wohnortnahe Versorgung auch klappt.

Ein Schritt zur Nahversorgung wäre der Bau des Postareals.

Damit müssen wir definitiv beginnen. Aber mit viel Grün und Wasser und so wenig versiegelter Fläche wie möglich. Das ist gut fürs Stadtklima, weil es Abkühlung verschafft. Eine offene Bebauung eröffnet zudem neue Möglichkeiten für Festivitäten: Wir könnten mehr im Freien feiern, was in den Corona-Zeiten unumgänglich sein wird. Der Veranstaltungsmanager Nils Straßburg hat mit dem Leonpalooza-Festival vor der Stadthalle bewiesen, wie man einen komischen Platz beleben kann.

Die Diskussion um die Zukunft des Krankenhauses hat sich beruhigt.

Nicht zuletzt Corona hat bewiesen, dass wir Krankenhäuser in der Fläche brauchen. Gesundheitsminister Spahn liegt mit seinem Zentralisierungskurs falsch.

Die Station für den Rettungshubschrauber soll vom Krankenhaus wegkommen.

Das ist völlig unverständlich. Gerade wegen des Autobahndreiecks haben wir hier einen hohen Bedarf. Warum muss man immer das Bestehende in Frage stellen?

Das Gespräch führte Thomas K. Slotwinski