Sie gehören sowohl dem Kreistag als auch dem Gemeinderat an. Wo sind die Unterschiede?

 

Im Kreistag wird sehr stark nach Mehrheiten gegangen. Sprechen dürfen in aller Regel nur die Fraktionsvorsitzenden. Außerdem ist der Kreistag sehr beamtenorientiert. 

Wie meinen Sie das?

Die Sitzungen finden immer tagsüber statt. Ein normaler Arbeitnehmer muss sich für sein Ehrenamt immer Urlaub nehmen.

In Leonberg sind die Sitzung zumeist abends.

Aber Ihr großes Anliegen ist doch, dass überhaupt neuer bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird.

Das ist richtig. Aber dafür müssen wir erst einmal definieren, was unter bezahlbaren Wohnraum zu verstehen ist.

Was verstehen Sie darunter?

Bestimmt nicht die 2500 Euro pro Monat, die ein Penthouse kostet. Man muss sich die tatsächlichen Einkommen der Mehrheit anschauen. Um sich bei uns Wohnraum zu leisten, reichen nicht einmal die 13 Euro Mindestlohn, die meine Partei, die Linke, fordert. In der Realität ist es doch eher so, dass viele mit neun Euro Stundenlohn nach Hause gehen, also über 3600 Euro brutto im Monat verfügen. Das reicht doch hinten und vorne nicht.

Die Stadt hat keinen Einfluss auf Löhne...

.. aber sie kann dazu beitragen, dass es mehr Wohnraum gibt, der wirklich bezahlbar ist. Damit das gelingt, müssen wir stärker in die Höhe bauen. Das muss schon im künftigen Quartier in der Berliner Straße umgesetzt werden. Dort müssen die Häuser mindestens so hoch werden wie in der Lobensteiner Straße. Auch um nicht zu viel Fläche zu versiegeln, müssen wir in die Höhe bauen.

 Sie setzen also voll auf Nachverdichtung und Höhe?

Nicht nur. Wir werden auch in den Außenbereichen, in den Teilorten, neue Wohnflächen ausweisen müssen, um den Bedarf einigermaßen zu decken. Das gilt übrigens nicht nur fürs Wohnen. Wir brauchen auch zusätzliche Gewerbeflächen. Das ist eine der wenigen Einnahmequellen, die die Stadt noch hat.

Das wird Ihre Partei aber nicht so gerne hören, die sich ja gerne einen ökologischen Anstrich gibt.

Man muss natürlich die Ausweisung neuer Flächen mit Augenmaß angehen, aber man kann sich nicht davor verschließen. Wir brauchen einfach mehr Platz: Die Menschen werden älter. Und den Jüngeren können wir, salopp gesagt, ja schlecht verbieten, dass sie sich vermehren. Deshalb brauchen wir eine Strategie, wie Wachstum organisiert werden kann. Wir müssen uns darüber im Klaren werden, was wichtig ist.

Dafür hatte die Stadt im vergangenen Jahr eigens einen Workshop mit Experten organisiert.

Genau. Das Ziel war, Prioritäten für einen bestimmten Zeitraum zu setzen, diese dann aber auch umzusetzen. Das scheinen einige im Gemeinderat wieder vergessen zuhaben.

Wie kann eine schnelle Umsetzung gelingen?

Auf keinen Fall so wie es beim Postareal zu beobachten war. Wir können es uns nicht erlauben, monatelang oder noch länger herumzudiskutieren, ob nun hier oder da zwei Bäumchen hinkommen. Unsere Bürokratie ist doch ohnehin langwierig genug.

Das Profil einer lebenswerten Stadt

Was ist denn Ihre Vision einer lebenswerten Stadt?

Eine Stadt, in der man leben, arbeiten und seine Grundbedürfnisse befriedigen kann, einkaufen etwa.

Ist das Einkaufsangebot ein Qualitätsmerkmal?

Aber ja! Und es bedient ja nicht nur die eigenen Bürger, sondern stärkt auch den Wirtschaftsstandort, wenn etwa viele Kunden aus anderen Kommunen kommen. Deshalb ist es gut, dass die Citymanagerin so viele Aktionen macht, um unseren Handel und die Gastronomie zu stärken.

Gehört Kultur zu den Grundbedürfnissen?

Definitiv! Und da haben wir noch Nachholbedarf. Wir haben viele Jahre sehr viel für den Sport gemacht und die Kultur vernachlässigt. Dabei überleben Kunst und Kultur Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende.

Bei der alten Schuhfabrik haben wir den klassischen Konflikt Kultur versus Wohnraum. Wofür sind Sie?

Als Wohnstandort halte ich die Schuhfabrik für nicht geeignet. Dort ist es zu klein und zu eng. Ich könnte mir hier sehr gut eine Begegnungsstätte für das Stadtviertel vorstellen.

Also keine Kultur?

Eine Kombination von Begegnung und Kultur, aber im kleineren Rahmen. So erreichen wir Menschen, die sonst zu Kunst und Kultur keinen Zugang hätten.

Wie wichtig ist für Sie die Altstadt?

Sehr wichtig. Und deshalb bin ich dafür, dass sie autofrei ist, nicht nur der Marktplatz, sondern die ganze Altstadt.

Da werden Ihnen die dortigen Gewerbetreibenden, Anwohner, aber auch parkplatzsuchende Kunden etwas anderes erzählen.

Wir haben mit dem Parkhaus ein fantastisches Angebot. Es ist extrem preisgünstig, räumlich sehr viel großzügiger als die meisten anderen, und mit dem Aufzug ist man direkt am Marktplatz. Andere Städte beneiden uns darum, hier reden es einige schlecht.

Mehr Qualität durch weniger Autos?

Autoärmer soll auch die Eltinger Straße werden.

Richtigerweise. Die Eltinger Straße wie auch die Brennerstraße sind mit ihren vier Spuren völlig überzogen. Metropolen wie Paris bauen ihre Einfallstraßen zurück, wir nicht.

Ein Rückbau ist teuer. Und Experten sagen, dass die Straßen in einem guten Zustand sind.

Es reicht, wenn wir die Straßen umorganisieren, sodass beispielsweise Platz für Pendelbusse da ist, die die Menschen von Parkplätzen an der Peripherie ins Zentrum bringen.

Der oft angesprochene autonome Shuttlebus?

Autonom muss er nicht sein, weil das kostet wieder einen Busfahrer seinen Arbeitsplatz. Aber es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Homeoffice auch nach Corona bleiben wird. Zudem gibt es Firmen, die ihre zentral gelegenen Büroflächen an externe Nutzer vermieten. Es wird also weniger Fahrten geben.

Bedeutet das im Umkehrschluss nicht auch, dass der Bedarf am öffentlichen Nahverkehr sinken wird?

Das ist eine spannende Frage, die ich spontan nicht fundiert beantworten kann.

Sprechen wir über die Stadthalle: Sanierung oder Neubau?

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, bin ich für einen Neubau, und zwar neben der jetzigen Halle auf dem heutigen Parkplatz. Dann könnte während des Baus der Betrieb in der Stadthalle selbst, aber auch im Restaurant, weiterlaufen.

Ist der Parkplatz nicht zu eng? Der Hallenmanager sagt, dass erst ab 1000 Plätzen eine Wirtschaftlichkeit möglich ist. Und was ist dann mit den Autos der Besucher?

Man kann die neue Halle nach oben bauen, ähnlich eines Amphitheaters. Für Besucher kann das Parkhaus im benachbarten Leo-Center genutzt werden. Das steht abends leer.

Das Leonberger Krankenhaus wird gerade für 77 Millionen Euro saniert. Ist damit die Zukunft gesichert?

Ich werde in meiner politischen Arbeit alles dafür tun, dass die Klinik nicht nur erhalten, sondern ausgebaut wird. Dazu können zusätzliche Angebote, etwa in der Kurzzeitpflege, gehören. Auch in die Ausbildung auf dem Gesundheitssektor sollten wir investieren. Und natürlich ist der Rettungshubschrauber Christoph 41 extrem wichtig für den Klinikstandort Leonberg.

Der beamtenorientierte Kreistag

Sie gehören sowohl dem Kreistag als auch dem Gemeinderat an. Wo sind die Unterschiede?

Im Kreistag wird sehr stark nach Mehrheiten gegangen. Sprechen dürfen in aller Regel nur die Fraktionsvorsitzenden. Außerdem ist der Kreistag sehr beamtenorientiert. 

Wie meinen Sie das?

Die Sitzungen finden immer tagsüber statt. Ein normaler Arbeitnehmer muss sich für sein Ehrenamt immer Urlaub nehmen.

In Leonberg sind die Sitzung zumeist abends.

Das ist richtig. Allerdings habe ich seit Beginn der Pandemie den Eindruck, dass jeder nur noch seine eigene Suppe kocht. Das finde ich sehr enttäuschend. Wir wohnen doch alle in Leonberg und sollten gemeinsam das Beste für die Stadt erreichen wollen.

Ist das eine aktuelle Situationsbeschreibung?

Natürlich macht Corona etwas mit einem. Auch wird immer wieder auf die schwierige Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister verwiesen. Aber man darf sich doch von einem einzigen Menschen nicht so beeinflussen lassen. Es heißt zwar immer, wir sitzen in einem Boot. Doch wenn alle in einem Boot sitzen, dann muss sich der einzelne auch zurücknehmen können.

Sommergespräche

Gitte Hutter
 wurde vor 45 Jahren in Leonberg geboren. Die Geschichte des römischen Senats erweckte ihr Interesse an Politik. 2014 trat sie den Linken bei und wurde gleich in den Gemeinderat gewählt. Auch fünf Jahre später gelang ihr der Einzug ins Stadtparlament. Dort ist sie eine Einzelkämpferin, hat durch ihre offene Art gute Kontakte zu den anderen Fraktionen. 2019 wurde Hutter überdies in den Kreistag gewählt. Beruflich ist sie bei Wüstenrot tätig, zuvor bei der Leonberger Bausparkasse.

Serie
 In den Ferien bitten wir die Fraktionen zum Interview. Den Ort bestimmen sie. Die Salz-Liste hat ein Gespräch abgelehnt.