Steigende Rohstoffpreise und knappes Material stellen die Branche vor große Herausforderungen – auch die Leonberger Orgelbau-Werkstatt Mühleisen.

Leonberg - Sie haben sich ein sehr traditionelles Handwerk ausgesucht“, begrüßte Karl-Martin Haap, der Orgelbaumeister bei der Werkstätte für Orgelbau Mühleisen, den frisch gewählten Bundestagsabgeordneten Tobias B. Bacherle (Grüne) aus Sindelfingen. Zusammen mit Reiner Knittel führt Karl-Martin Haap die Geschäfte des 1986 von Konrad Mühleisen gegründeten Betriebs in der Ostertagstraße.

 

Die Orgel, die als die „Königin der Instrumente“ gilt, sei aufwendig in der Herstellung, stets individuell zu fertigen und teuer, beschrieb der Orgelbaumeister die Produkte seines Handwerks. Das Instrument sei sehr langlebig und könne bei guter Wartung 100 oder 200 Jahre gespielt werden.

Eine der zehn größten deutschen Orgelwerkstätten

„Ich bin selbst kein Handwerker“, sagte der 27-jährige Abgeordnete, der Student der Politik- und Medienwissenschaften ist. Deswegen wolle er jetzt viele unterschiedliche Firmen im Kreis Böblingen kennenlernen und dabei auch ganz besondere Handwerksbetriebe besuchen.

Mit dem Leonberger Orgelbau-Betrieb hat sich Tobias B. Bacherle den einzigen dieser Art im Landkreis und einen der zehn größten in Deutschland ausgesucht. Karl-Martin Haap schilderte, dass die Firma mit 18 Beschäftigten in einem hart umkämpften Markt europaweit unterwegs sei. Kirchenneubauten gebe es so gut wie gar nicht mehr, aber 95 Prozent der Orgeln werden in Kirchen eingebaut.

Preise für Zinn um 120 Prozent gestiegen

Trotzdem habe der Betrieb gut zu tun. Für das Jahr 2022 sei man voll belegt und auch für 2023 gebe es schon einige Aufträge. „Wir machen alle Holz-, Leder- und Filzarbeiten sowie die klanglichen Arbeiten selbst“, erzählte er. Dazugekauft würden nur mechanische Kleinteile, die Klaviaturen sowie die Metallpfeifen als Rohlinge.

Karl-Martin Haap zeigte dem Abgeordneten in der Werkstatt eine neue Orgel, die derzeit für die Schlosskirche in Pforzheim gebaut wird. „Wir verwenden 80 Prozent der Pfeifen wieder“, erläuterte er. Das sei auch von Bedeutung angesichts stark steigender Rohstoffpreise. So seien die Preise für Zinn um 120 Prozent gestiegen. Die Preissteigerungen beim Holz seien dagegen noch ein Klacks.

Materialknappheit an allen Ecken und Enden

Der gesamte Orgelbau brauche weniger als ein Prozent der weltweit geförderten Zinnmenge. „Ich bin jetzt 35 Jahre im Orgelbau, aber so eine Rohstoff- und Materialsituation habe ich noch nie erlebt“, klagte Karl-Martin Haap.

„Die Materialknappheit schlägt an allen Ecken und Enden auf, weil wir hier in Deutschland keine Resilienz dagegen haben“, sagte Tobias B. Bacherle. Eigentlich sollte das Handwerk weniger anfällig für solche Krisen sein als die großen Industrieunternehmen, die auf Zulieferungen aus dem Ausland angewiesen sind.

Diskussion über Kurzarbeitergeld

Man müsse überlegen, wo Rohstoffe recycelt werden können, denn die habe man hier in Europa, sagte er. „Wir recyceln alles“, entgegnete Karl-Martin Haap. „Da fliegen nicht zehn Gramm Zinn in den Mülleimer. Und wir verwenden fast nur einheimisches Holz.“

Handwerksbetriebe seien krisensicherer als Großunternehmen, weil sie kleiner und meistens inhabergeführt seien. „Wir tragen das komplette Risiko und haften mit unserem Vermögen“, erklärte der Geschäftsführer. Deswegen müsse das Handwerk gestärkt werden. „Wenn große Firmen in Schieflage geraten, dann müssen wir auch mit unseren Steuern das Kurzarbeitergeld mitbezahlen.“ Nach der Pandemie müsse man eine Diskussion über das künftige Kurzarbeitergeld führen, bestätigte Tobias B. Bacherle.

Fehlender Nachwuchs

Auch in Sachen Bürokratieabbau erhofft sich der Orgelbaumeister einen Schritt nach vorn. Digitale Lösungen könnten vieles erleichtern, beispielsweise bei der Dokumentation der Corona-Kontrollen, sagte der Abgeordnete, der sich die Digitalisierung ins Aufgabenheft geschrieben hat.

Aufgewertet sehen möchte Karl-Martin Haap die Ausbildung im Handwerk. Sein Betrieb habe stets drei Auszubildende, aber es werde zunehmend schwieriger, Nachwuchs zu finden. „Die Wertigkeit des Handwerks ist nicht mehr so gegeben wie früher, dabei sind die Aufstiegschancen noch nie so gut gewesen.“

Ausbildung und Studium gleichberechtigt

Die Ausbildung müsse mehr einem Studium gleichgestellt, die Ausbildungsstätten und Schulen entsprechend ausgestattet werden. Auch Ausbildungs-Bafög und günstige Wohnheim-Plätze für Azubis in Ballungsräumen gehörten dazu.

„Wir möchten, dass die Leute auch im ländlichen Raume eine gute Ausbildung bekommen, damit sie dort bleiben und nicht abwandern“, antwortete der Bundestagsabgeordnete. Er nehme die Frage mit, wie man Ausbildungs- und kleine Handwerksbetriebe unterstützen kann, sagte er zu.