Erst nach einem beispiellosen Tauziehen wird Josefa Schmid in Leonberg zur neuen Ersten Bürgermeisterin gewählt. Doch das Verhältnis zu OB Cohn gilt als angespannt.

Leonberg - Es ist die letzte Zusammenkunft des Jahres. Im Leonberger Gemeinderat sitzen Martin Georg Cohn (SPD) und Josefa Schmid (FDP) protokollarisch korrekt auf der Dezernentenbank nebeneinander. Doch zu sagen haben sich der Oberbürgermeister und seine Stellvertreterin nicht viel. Das offenkundig angespannte Verhältnis zwischen dem Chef und der zweiten Frau im Rathaus ist förmlich greifbar.

 

Die Hoffnung nicht weniger Aktiver in der Kommunalpolitik, die beiden würden im Lauf eines halben Jahres zumindest soweit zueinanderfinden, um professionell zusammenzuarbeiten, hat sich bisher kaum erfüllt. An der Stadtspitze herrscht eine emotionale Eiszeit: das Ergebnis eines beispiellosen Tauziehens um die Wahl der Ersten Bürgermeisterin.

Vonderheid war dem OB zu eigensinnig

Rückblick: Genau ein Jahr zuvor, im Dezember 2020, scheint die Spitzenpersonalie im Sinne des Oberbürgermeisters gelaufen zu sein. Der von ihm ungeliebte Ulrich Vonderheid hat seine Wiederwahl hauchdünn verpasst. Im Gemeinderat fehlt dem Christdemokraten genau eine Stimme, um weitere acht Jahre die Dezernate Finanzen, Soziales und Ordnung mit dem Amtstitel Erster Bürgermeister führen zu können.

Martin Georg Cohn ist das nicht unrecht. Dem machtbewussten Oberbürgermeister war sein Stellvertreter zu eigensinnig. Das Verhältnis der beiden war beschädigt, noch bevor es hätte konstruktiv werden können. Cohn setzt jetzt auf Maic Schillack aus Niedersachsen, der in ähnlicher Position in der Kleinstadt Neustadt am Rübenberge gearbeitet hat. Für den OB ist auch klar, dass Schillack sein Stellvertreter werden soll.

Maic Schillack zieht zurück

Doch die Adventszeit 2020 verläuft im politischen Leonberg alles andere als friedlich. Bei der Wahl zur Position des Ersten Bürgermeisters versagt der Gemeinderat jenem Mann, den das Gremium wenige Woche zuvor zum Dezernenten gemacht hatte, die Mehrheit. Da auch Baubürgermeister Klaus Brenner abwinkt, bleibt die Position des OB-Stellvertreters vakant.

Mehr noch: Unmittelbar vor Weihnachten informiert Schillack den Leonberger Verwaltungschef, dass er sein Amt als Finanz- und Sozialdezernent nicht antreten werde. Ein Rückzug aus Verärgerung über die Nichtwahl zum Ersten Bürgermeister? Über die Gründe des Niedersachsens herrscht bis heute keine wirkliche Klarheit.

Josefa Schmid bleibt übrig

Überhaupt nicht die Rede ist in diesen bewegten Tagen von Josefa Schmid. Dabei hatte die 47-Jährige, die sich ebenfalls beworben hatte, die Stichwahl um nur eine Stimme verpasst. Zwar hatte die Vize-Chefin des Migrations-Bundesamtes für Niederbayern danach ihre Leonberg-Ambitionen ad acta gelegt. Doch angesichts der unerwarteten Entwicklung wirft sie ihren Hut erneut in den Ring.

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Im Frühjahr 2021 gehen 22 Bewerbungen im Leonberger Rathaus ein. Fünf Aspiranten schauen sich die Stadträte persönlich an, drei bleiben in der engeren Wahl, darunter die blonde Frau aus Niederbayern. Dann ziehen der von der CDU favorisierte Bewerber und die Grünen-Kandidatin zurück: Josefa Schmid, einst CSU, jetzt bei der FDP, bleibt übrig.

Wirbel um eine Klage

Die Grünen beklagen eine nicht vorhandene Auswahl und fordern, unterstützt von der SPD, eine erneute Ausschreibung. Freie Wähler, CDU und FDP halten dagegen und setzen einen Wahltermin für die verbliebene Kandidatin durch. „Chaos um die Neubesetzung der Bürgermeister-Stelle“ titelt unsere Zeitung.

Unmittelbar vor der geplanten Wahl nach Ostern dann der nächste Paukenschlag: Der Oberbürgermeister setzt die Wahl kurzfristig ab. Der Grund: Eine Bürgerin habe geklagt. Da die Position nicht im städtischen Amtsblatt ausgeschrieben war, sei die Chancengleichheit nicht gewährleistet. Die Aufregung im politischen Umfeld ist groß. Die CDU spricht von einem „Skandal“ und mutmaßt, dass so „eine Neuausschreibung durch die Hintertür durchgesetzt werden soll.“

Knappe Mehrheit für die Bayerin

Martin Georg Cohn beschwichtigt: Das Verwaltungsgericht prüfe die Klage. Sollte sie abgewiesen werden, könne die Wahl in der nächsten Ratssitzung am 4. Mai stattfinden. Und tatsächlich lehnt das Stuttgarter Verwaltungsgericht die Klage ab. Die Stadt habe rechtmäßig gehandelt, da die Ausschreibung in dem Fachorgan „Staatsanzeiger“ erschienen wäre. Das sei bei solchen Positionen ausschlaggebend.

Am 4. Mai wird Josefa Schmid vom Gemeinderat zur neuen Ersten Bürgermeisterin mit den Ressorts Finanzen, Soziales und Ordnung gewählt. Wieder ist die Mehrheit denkbar knapp: Die Bayerin erhielt 17 Ja- und 16 Nein-Stimmen. Ob das Votum des Oberbürgermeisters bei den letzteren zu finden ist, darüber wird reichlich spekuliert.

Redeverbot für die Bürgermeisterin?

Seither ist es ruhig um die neue Vize-Chefin im Rathaus geworden. Für einige zu ruhig. „Ich werde immer öfter nach unserer Ersten Bürgermeisterin gefragt“, berichtet die CDU-Fraktionsvorsitzende Elke Staubach bei der Hauptversammlung der Leonberger CDU Anfang Oktober: „Ist die überhaupt da?“ Diese Frage, so sagt Staubach, könne sie bejahen. „Frau Schmid könnte gewiss zu ihren Fachbereichen auch viel sagen, aber wir haben das Gefühl, sie darf es nicht.

Tatsächlich ist die neue Ressortchefin in ihren ersten Amtsmonaten in der Öffentlichkeit nicht sonderlich präsent. Gewiss: Wegen Corona fallen zahlreiche öffentliche Termine aus. Doch nicht wenige Insider munkeln, dass der OB seine Stellvertreterin bewusst klein hält, um in der Öffentlichkeit sein Macher-Image nicht zu schmälern – durchaus mit Blick auf die Oberbürgermeister-Wahl in vier Jahren.

OB betont Chef-Rolle

Martin Georg Cohn selbst verhehlt nicht, dass der Oberbürgermeister der Chef ist: „Der Oberbürgermeister ist der Leiter Verwaltung und trägt die Verantwortung, wenn was schiefläuft. Er ist der oberste Repräsentant der Stadt“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Gleichwohl seien die Dezernenten „in alle Themen eingebunden“.

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Und tatsächlich präsentiert Josefa Schmid entgegen anderslautender Unkenrufe Mitte Oktober im Gemeinderat den Haushaltsentwurf persönlich. Während der darauffolgenden Etatberatungen ist sie aber erkrankt und erst bei der Verabschiedung des Haushalts kurz vor Weihnachten wieder an Bord. In eben jener Sitzung wird die Kämmerei-Leiterin Elke Gräter vom OB und von den Fraktionen demonstrativ gelobt. Die Ressortchefin spendet höflichen Beifall.

Zwei Alphatiere

Wie es nun weitergeht, das ist zum Jahreswechsel keineswegs absehbar. Ein Dauerzwist an der Verwaltungsspitze, das hat schon das Beispiel Cohn – Vonderheid gezeigt, ist für das Vorwärtskommen einer Stadt lähmend. Doch der OB und seine Vize-Chefin sind beide auf ihre Art Alphatiere, die kaum klein beigeben werden. Die kommenden zwölf Monate dürften nicht minder spannend wie die vergangenen werden.