Pferdehandel wie eh und je – reicht das wohl, um ins Weltkulturerbe aufgenommen zu werden?

Leonberg - Pferdewiehern und Hufeklappern auf dem Kopfsteinpflaster des Marktplatzes sind durch das offene Fenster des Alten Rathauses zu hören – zügig nehmen die Händler ihre Plätze ein, denn 99 Gäule sind für den Handel am 328. Leonberger Pferdemarkt angemeldet. Im Saal wird angeregt diskutiert. Hier treffen sich die Preisrichter. Sie nehmen in der Altstadt und im Reiterstadion die Händlerpferde, die Zuchtstuten, die Reitpferde und Gespanne in Augenschein und prämieren sie. Von Gerhard Ziegler, der als Präsident des baden-württembergischen Pferdesportverbandes seit mehr als 40 Jahren der Vorsitzende der Pferdemarkt-Juroren ist, gibt es letzte Anweisungen – und von der Stadt als Aufwärmer einen kleinen Obstler.

 

Die gut gelaunte Runde hat für Oberbürgermeister Martin Kaufmann, der Kraft seines Amtes bestes Pferdemarktswetter verspricht, einen interessanten Vorschlag. Halb im Scherz, aber durchaus auch ernst gemeint, regt der Renninger Frieder Breining an, den Leonberger Pferdemarkt ins Weltkulturerbe aufnehmen zu lassen. „Vom Programm so breit angelegt wie dieser, wo auch noch wirklich Pferdehandel stattfindet, gibt es landauf und landab keinen zweiten“, sagt Frieder Breining. Die Richter sind eine eingeschworene Gemeinschaft, es wird gescherzt, gewitzelt, man kennt sich seit Jahrzehnten.

Früher Dienstauftrag, heute Freude und Spaß

Doch wie wird man Richter? Helmut Kayser hatte gerade beim damaligen Landwirtschaftsamt Leonberg den Dienst in der Abteilung für Pflanzenbau angetreten, da wurde jemand mit „Pferdeverstand“ für das Traditionsfest gesucht. Als Sohn eines Böblinger Pferdezüchters fiel die Wahl auf ihn. „Was damals ein Dienstauftrag war, ist jetzt Freude und Spaß an der Sache“, sagt er heute nach 40 Jahren im Amt. „Das war am Anfang natürlich auch eine große Ehre, gemeinsam mit den honorigen Pferdekennern richten zu dürfen“, sagt der Fachmann, der am heutigen Mittwoch seinen 66. Geburtstag feiert.

Als aktiver Reiter und inzwischen selbst Pferdezüchter mit einer Reitanlage für 30 Pferde in Tailfingen genießt es Kayser, bei den Händlerpferden zu richten. „Da ist das Geschehen noch echt, da ist Leben drin und die Händler sind ein interessantes Völkchen“, sagt Kayser und macht sich mit Eberhard Geiger und Hans-Peter Philippin auf den Weg in die Klosterstraße.

In der Schlossstraße sind Wilhelm Gieck, Frieder Breining und Christian Ziegler am Werk. Die Richter machen sich einen Gesamteindruck der Pferde: Ganz wichtig sind die Augen, die viel über den Gemütszustand des Pferdes verraten. Ebenso das Ohrenspiel, weil es deutlich macht, wie aufmerksam das Pferd auf seine Umgebung reagiert. Im Schritt und dann im Trab zeigen die Tiere, ob sie gut vorankommen, und Reiter gut getragen werden.

Viele bekannte Gesichter

Viele bekannte Gesichter sind auf dem Markt zu sehen: Der Pforzheimer Pferdehändler Berthold Nonnenmann ist mit 25 Vierbeinern, darunter vier Esel, angereist. Hans-Erwin Bergold aus Wachenheim kommt angesichts des Aufwandes, den ein Tag auf dem Markt mit sich bringt, ins Grübeln: viele Auflagen, hohe Kosten für Personal und den Hufschmied. Robert Maier aus Riedlingen freut sich wieder über viel Lob von den Richtern für den guten Zustand seiner Tiere. Das findet auch eine Besucherin aus Tübingen, die verrät, dass sie vor drei Jahren ihre Stute auf dem Markt in Leonberg gesehen und dann gekauft hat.

Sehen und gesehen werden gehört auch zum Selbstverständnis des Pferdemarktes. An keinem Tag des Jahres sieht man so viele Hutträger in der Altstadt. „Da braucht es keinen Schirm“, ist sich eine Vierergruppe mit reich geschmückten Hüten sicher. „Wir waren gestern auf dem Pferdemarkt in Gaildorf, da haben die Hüte gute Dienste bei Regen erwiesen“, erzählen die Vier, die von Mutlangen mit dem Zug angereist sind. „Mit warmen Schuhen und einen gutem Hut lässt sich alles leichter ertragen“, lautet ihr Rezept.

Der Hut gehört einfach dazu

„Ein Hut gehört einfach dazu, und auf der Pferdekutsche ist er ein Muss“, sagt der Eltinger Pferdezüchter Günter Widmaier, der gerade zwei neue Halfter erstanden hat und auch sonst Hut trägt. „Ich will nichts von einem Hut wissen“, sträubt sich dagegen Bürgermeister a.D. Heinz Schultheiß. „Wie ich als Jugendlicher meinen ersten Hut bekam, meinte meine Mutter, immer schön höflich den Hut ziehen – das war ein einziges Hutlupfen, das hat mir gereicht.“

Da ist die 78-jährige Stefanie Schwarz, mit ihrer eleganten Kopfbedeckung, ganz anderer Meinung. „Ohne Hut fühle ich mich unvollkommen und das schon seit meinen 19. Geburtstag, als ich mir vom ersten eigenen Geld einen Hut auf dem Kurfürstendamm gekauft habe.“