Der Leonberger FDP-Fraktionschef Dieter Maurmaier über die Dauer städtischer Projekte, einen autofreien Marktplatz als Chance, das Für und Wider eines Stadthallen-Neubaus und das Verhältnis zwischen OB und Stadtrat.

Leonberg - Fußgängerüberwege liegen Dieter Maurmaier besonders am Herzen. Dass es von ihnen zu wenige gibt, ist für den FDP-Fraktionschef symptomatisch für etliche kommunale Bauvorhaben, die sich in seinen Augen viel zu lange hinziehen.

 

Herr Professor Maurmaier, wir stehen hier an dem stark frequentierten Kreisverkehr zwischen Ditzinger Straße, Haydnstraße und Röntgenstraße, direkt am Höfinger Gewerbegebiet…

Hier ist nicht nur das Gewerbegebiet, sondern zudem ein Kindergarten, zwei große Lebensmittelmärkte und der Wertstoffhof in der Nähe. Es gibt also eine sehr hohe Frequenz. Doch einen Fußgängerüberweg gibt es an dieser neuralgischen Stelle nicht. Das erhöht die Unfallgefahr ganz beträchtlich.

Muss denn an einem Kreisverkehr ein Zebrastreifen vorhanden sein?

Es gibt bundeseinheitliche Richtlinien, die das dringend empfehlen. Außerdem wurden die Fußgängerüberwege bereits vor fast einem Jahr im Gemeinderat beschlossen, übrigens nicht nur hier, sondern beispielsweise auch im August-Lämmle-Weg und am Obi-Kreisel in der Innenstadt. Zumindest letzterer ist in dieser Woche in Betrieb gegangen.

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Woran liegen die lange Zeiten bis zur Umsetzung? Am Geld?

Konkret hier in Höfingen heißt es, dass die Situation für die Radfahrer noch nicht geklärt wäre. Dabei würde ein ganz normaler Schutzstreifen für Radler genügen, ähnlich jenem in der Grabenstraße. Und die Kosten für Zebrastreifen sind vergleichsweise überschaubar: je nach Ausstattung zwischen etwa 10 000 und 30 000 Euro. Dieses vermeintlich kleine Thema ist symptomatisch für viele Dinge: Es passiert einfach nichts, und wenn dann sehr spät.

Zum Beispiel?

Der Radweg an der alten B 295 zwischen Ditzingen und Leonberg ist immer noch nicht fertig. Der Spielplatz in der Schillerstraße ist zwar jetzt vollendet und auch gelungen, aber es hat Ewigkeiten gedauert.

Ähnlich wie beim Postareal?

Grundsätzlich braucht solch ein großes Projekt seine Zeit. Dass es sich immer mehr hinausgezögert hat, liegt auch am Investor Strabag. Die Kritik an der Lieferzufahrt auf Höhe der alten Schuhfabrik gab es von Anfang an. Erst als zu befürchten war, dass das ganze Vorhaben den Bach heruntergeht, hat sich Strabag bewegt. Die jetzige Lösung ist aber in Ordnung.

Die Grünen beklagen die Betonlastigkeit des neuen Quartiers und befürchten, dass die dann entstehenden Geschäfte der Altstadt Kunden wegnehmen.

Das Gebiet ist wuchtig, einverstanden. Aber wir sprechen ja auch über eine Art neuer Stadtmitte. Und was die Altstadt betrifft: Entscheidend wird die Qualität des Brückenschlags sein. Da muss man gerne drüber gehen. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, dass die Brücke Atmosphäre und idealerweise Geschäfte an den beiden Enden und auch auf dem Brückenschlag selbst hat. Dann wird der Übergang das neue Quartier und die Altstadt optimal verbinden.

Mehr Atmosphäre durch autofreien Marktplatz

In diesem Zusammenhang wird über einen autofreien Marktplatz diskutiert. Sie fordern das schon seit vielen Jahren.

Und ich bleibe dabei. Nur dadurch kann der Marktplatz mehr Atmosphäre bekommen. Natürlich muss es Zeitfenster geben, in denen die Betriebe und die Anwohner beliefert werden können.

CDU und SPD können sich allenfalls eine abendliche Sperrung des Marktplatzes für Autos vorstellen.

Das ist zu wenig. Nur wenn der Bereich komplett autofrei ist, kann er entsprechend gestaltet werden. Und damit hätten wir auch das Problem mit jenen Zeitgenossen gelöst, die meinen, dort ihre Autos lautstark präsentieren zu müssen.

Autos soll es auch auf der Eltinger Straße weniger geben.

Wenn es auf den Autobahnen läuft, haben wir in der Innenstadt nicht so schlimme Verhältnisse. Die zweite Spur in der Eltinger Straße zwischen Neuköllner Platz und Lindenstraße kann daher meines Erachtens wegfallen. Sie dient momentan eher als Parkplatz bei innerstädtischen Staus. Wie wir eine autoärmere Stadtmitte aber genau gestalten, darüber wird noch viel zu reden sein.

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Die geplanten Pförtnerampeln sollen Staus im Zentrum verhindern.

Solch ein Steuerungssystem haben wir schon vor fünf Jahren vorgeschlagen. Dabei war es immer das Anliegen der FDP und auch von mir persönlich, nicht grundsätzlich die Autos aus der Stadt herauszuhalten. Es geht um eine sinnvolle Steuerung, wenn die Autobahnen kollabieren.

Könnte die von den Freien Wählern vorgeschlagene Umgehungsstraße die Innenstadt entlasten?

Davon halte ich nichts: Die Autobahn ist unsere Umgehungsstraße, dafür brauchen wir keine Ersatztrasse. Außerdem wäre es ein gewaltiger Eingriff in die Landschaft.

Ist eine neue Stadthalle die bessere Lösung?

Bleiben wir in der Stadtmitte: Über die Zukunft der alten Schuhfabrik wurde jahrelang diskutiert. Jetzt ist zumindest ein Teilabriss beschlossen.

Wir waren früher für eine Sanierung, aber es hat sich herausgestellt, dass das Gebäude nicht sanierungsfähig ist. Jetzt müssen wir sehen, was dort machbar ist. Wir brauchen ein Nutzungskonzept, das am Markt durchsetzbar ist.

Schließt das Künstler mit ein?

Durchaus, aber nicht zu den heutigen günstigen finanziellen Bedingungen. Das werden wir nicht hinbekommen. Eine Kombination aus Wohnungen und Ateliers könnte ein gangbarer Weg sein.

Mithilfe eines Investors?

Warum nicht? Aber klar ist auch: Ein Investor ist kein Allheilmittel. Doch bevor wir uns an der Schuhfabrik festbeißen, sollten wir erst einmal die Projekte vollenden, die jetzt dringend anstehen: fünf Kindertagesstätten, die Sanierung des Alten Rathauses und die Stadthalle.

Die Stadthalle ist ein gutes Stichwort: Neubau oder Sanierung?

Der Hallenmanager Nils Strassburg hat ja gesagt, was erforderlich ist, und er ist ja ein Fachmann.

Also einen Neubau?

Dass wir eine Halle benötigen, ist unumstritten. Wenn sich herausstellt, dass ein Neubau mittel- und langfristig sinnvoll ist, sollten wir diesen Weg beschreiten.

Die jetzige Halle hat gleichwohl einen drängenden Sanierungsbedarf.

Um die Funktionsfähigkeit zu erhalten, müssen die nötigsten Arbeiten ausgeführt werden. Aber wir müssen nun schnell eine Grundsatzentscheidung treffen, damit wir am Ende nicht zu viel in den Erhalt des Bestandes stecken.

Im Zusammenhang mit der Stadthalle ist häufig von einem „grünen Band“ die Rede, das sich über das Reiterstadion und die Steinstraße bis zur Altstadt erstrecken soll.

Tja, der Platz in der Steinstraße: Schön ist er ja nicht. Auch die Nutzung des Reiterstadions ausschließlich am Pferdemarkt ist zu wenig. Aber noch einmal: Zunächst sollten wir uns drauf konzentrieren, die beschlossenen Projekte umzusetzen.

Wohnraum ist immer noch ein großes Thema

Umgesetzt sind bisher nicht die beschlossenen Wohnviertel in der Berliner Straße und am Unteren Schützenrain…

… das Verfahren läuft aber. Mit Ergebnissen ist im Herbst zu rechnen. Wohnraum ist immer noch ein großes Thema, und da geht es um ein insgesamt ausreichendes und am Bedarf orientiertes Angebot unter anderem auch für jüngere Leute, die über ein ordentliches Einkommen verfügen. Es ist doch kein Zustand, dass sich für eine Wohnung bis zu 100 Interessenten melden.

Reicht dafür die im Moment stark praktizierte Verdichtung in der Kernstadt?

Die reicht nicht. Wir werden noch einige Gebiete in den Außenbereichen ausweisen müssen. Dass das ein zäher Prozess ist, liegt übrigens nicht vornehmlich an der Stadt. Vielmehr tut sich der Regionalverband schwer, neue Flächen zu genehmigen.

Gewerbegebiete sind in Leonberg ebenfalls Mangelware.

Ein gutes Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen Privatwirtschaft und Kommune ist die Erweiterung des Bosch-Entwicklungszentrums für autonomes Fahren, in dessen Zusammenhang das ganze Gewerbegebiet zwischen Bosch und Geze erweitert wird. So funktioniert Stadtentwicklung.

Was ist mit dem alten Sümak-Gelände in Höfingen?

Da tut sich was. Es ist allerdings zu befürchten, dass dort ein Auslieferungszentrum hinkommt, was viele Lkw-Fahrten bedeuten würde. Das geht in meinen Augen gar nicht. Dass dort grundsätzlich wieder Gewerbe hinkommt, ist aber richtig.

Im Gemeinderat nicht ja und Amen sagen

Der Oberbürgermeister hat am 1. Dezember Halbzeit. Wie ist das Verhältnis zu Martin Georg Cohn?

Er scheint langsam in Leonberg angekommen zu sein. Herr Cohn nimmt den Gemeinderat stärker mit als in seiner Anfangszeit und geht auf dessen Anregungen ein. Allerdings liebt er mehr die Vision als das konkrete Handeln.

Liegt das nicht auch am Gemeinderat selbst, der zu viel zerredet?

Das kann ich nur in wenigen Fällen feststellen. Unsere Aufgabe ist es nicht, allem sofort zuzustimmen, sondern die Dinge kritisch zu hinterfragen. Wenn ich zu allem ja und Amen sage, brauche ich nicht in den Gemeinderat zu gehen. Wichtig ist, dass die Dinge, die beschlossen sind, zeitnah umgesetzt werden.

Als Grund für Verzögerungen wird oft die angespannte Personalsituation im Rathaus angeführt.

Die ist in der Tat vorhanden. Die in den vergangenen Monaten zu beobachtenden Personalrochaden geben einem zu denken.

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Dieter Maurmaier
 gehört dem Gemeinderat seit 22 Jahren an. Seit 2009 sitzt er zudem im Kreistag. Als Bauingenieur mit dem Schwerpunkt Verkehrswesen hat der Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart gelehrt. Mittlerweile ist er emeritiert. In der Kommunalpolitik ist er auf Bau- und Verkehrsfragen spezialisiert. Der 72-Jährige führt die dreiköpfige FDP-Fraktion.

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