Menschen mit und ohne Behinderung treffen sich jeden zweiten Mittwoch, um zusammen zu singen.

Leonberg - Schon ein ganz kleines Lied kann viel Dunkel erhellen.“ Das wusste schon Franz von Assisi. Nun ist im Treff 37 in der Ulmer Straße, dem neuen Haus der Leonberger Lebenshilfe, von Dunkelheit nicht viel zu spüren. Von der hellen, reinen Freude am Singen dafür umso mehr. Denn hier treffen sich jeden zweiten Mittwoch um 18 Uhr Menschen mit und ohne Behinderung, um gemeinsam zu singen.

 

Und das mit professioneller Unterstützung, denn mit Angelika Puritscher hat der inklusive Chor eine erfahrene und engagierte Chorleitung. Nach der ersten Hälfte der Probe signalisiert sie eine kurze Pause und erklärt: „Ihr müsst fest auf den Beinen stehen.“ Sie steht fest auf beiden Beinen legt die Hand auf ihren Bauch, „je höher die Töne, desto mehr müsst ihr die Hacken in den Boden stemmen. Das muss aus dem Bauch heraus kommen!“ Die Chorleiterin gibt das Zeichen, und die Gruppe stimmt das Lied an, das extra für die Eröffnung des Treffs 37 neu auf eine bekannte Melodie getextet wurde: „Wir haben ein Haus, ein wunderschönes Haus, …“ Das leichte Liedchen dürfte vielen bekannt vorkommen, denn jeder, der Pippi Langstrumpf kennt, kennt auch diese Melodie.

Zusammenkommen und Spaß haben

Elisabeth Kolofon, Informatikerin und seit vier Jahren hauptberuflich in der Öffentlichkeitsarbeit der Leonberger Lebenshilfe tätig, hat den Text geschrieben. Sie ist selbst eine begeisterte Sängerin, spielt seit ihrer Kindheit Akkordeon und hatte auch die Idee zu diesem bunt gemischten Chor, der 2018 gegründet wurde. „Zusammenkommen und Spaß haben ist das Ziel“, sagt sie, „aber wir wollen mit dem Chor auch den Gedanken der Inklusion nach außen tragen.“

Dabei drohte dem Chor fast das Aus, denn die ursprüngliche Chorleiterin konnte die Aufgabe nicht weiter übernehmen. Angelika Puritscher ist die Präsidentin des Chorverbands Johannes Kepler, der rund 30 Chöre aus der ganzen Region unter seinem Dach vereint. „Ich hatte von dem inklusiven Chor in der Zeitung gelesen“, erzählt sie, „und dachte, das schau ich mir mal an.“ Keinesfalls wollte sie die Chorleitung übernehmen, sie habe ohnehin schon genug zu tun. Doch dann hat sie die besondere Atmosphäre und die Begeisterung der Sänger überzeugt: „Diesen Chor dürfen wir nicht sterben lassen.“ Das ist ihr bei ihrem Besuch klar geworden, und so hat die Rutesheimerin schlussendlich doch die Leitung übernommen.

„Damit wird der gemischte Chor wachsen“, sagt Elisabeth Kolofon erfreut. Denn Angelika Puritscher möchte ihn aufbauen. „Mein Anliegen auch als Präsidentin der Kepler-Chorgemeinschaft ist es, Verbindungen zwischen den Chören der Region zu schaffen und die unterschiedlichen Chöre gemeinsam auftreten zu lassen“, erklärt sie. Das Niveau dazu zu erreichen, daran arbeitet der Chor mit viel Freude und sehr ambitioniert.

Singen verbindet Menschen mit und ohne Behinderung

„Singen, das ist mein Leben“, sagt Nicole. Die Augen der jungen Frau glänzen. Sie ist an diesem Tag zum ersten Mal im Chor dabei, doch die langjährige Sängerin der Brenz-Band, einer inklusiven Band aus Ludwigsburg, bringt jede Menge Erfahrung mit. Bis nach China haben sie die Auftritte mit der Band geführt.

Matthew, der neben ihr sitzt, genießt sichtlich die Musik, die um ihn ist. „Obwohl Matthew nicht mitsingt, zumindest nicht für uns hörbar, kann er alle Liedtexte auswendig“ erzählt Elisabeth Kolofon, „und er singt auf Aufforderung die Lieder auch mit einer sehr schönen Stimme, allerdings in seinem eigenen, langsameren Tempo. Seine Betreuerin“, fährt sie fort, „hat mir erzählt, dass er oft sagt: ‚Am Mittwoch gehe ich in die Lebenshilfe zum Singen‘, und dabei strahlt.“

Auch Sozialarbeiter Patrick Birke, seit September 2018 bei der Lebenshilfe, singt regelmäßig mit. Ihn begeistert die Freude, mit der hier gesungen wird, und auch der Wille, gemeinsam etwas zu erreichen. „Das Singen verbindet Menschen mit und ohne Behinderung“, sagt er. „Und dadurch, dass man gemeinsam etwas Schönes erlebt, können ganz schnell Berührungsängste abgebaut werden.“

Jeder darf Vorschläge machen

In diesem gemischten Chor, der übrigens mit Absicht keinen anderen, klangvollen Namen trägt, gibt es keine Altersbegrenzung. Hier singen Menschen jeden Alters, wobei sich das Angebot in erster Linie an Erwachsene richtet. Jeder darf Vorschläge machen, was gesungen werden soll, doch neue Lieder, die einstudiert werden müssen, werden von der Chorleitung ausgesucht.

„Wir wollen es schaffen, zweistimmig zu singen“, nennt Angelika Puritscher das Ziel, und sie weiß, dass hier noch viel Arbeit vor dem Chor liegt. Doch die scheuen die Sänger nicht, dazu singen sie zu gerne. Eine Kostprobe seines Könnens gibt der Chor beim Ramtel Straßenfest der Lebenshilfe am 29. Juni in der Böblinger Straße.