Norbert Eilts liest von und über den Tropenarzt, Musiker, Prediger und Philosophen Albert Schweitzer – und mancher entdeckt ihn neu.

Leonberg - Was macht ein Klavier im Urwald? Wenn es Albert Schweitzer gehört, macht es das, was man von einem Klavier erwartet: Musik! Dass ein Klavier zu dem etwas anderen Umzug in den Urwald, nämlich nach Äquatorialafrika gehört, hat samt umfangreichen Utensilien für den Klinikalltag im Busch, wie Verbandszeug, OP-Besteck und Spritzen, hat das überaus zahlreiche Publikum im intimen Rahmen des Alten Rathauses erfahren. „Ein Klavier im Urwald“ heißt das Programm von Norbert Eilts von „Dein Theater“, der im schwarzen Gehrock sehr ausdrucksstark und fein artikuliert liest.

 

Das Elsass, politisch schwer gebeutelte Region, die mal zu Deutschland, dann zu Frankreich und umgekehrt gehört hat, ist die Heimat des großen Humanisten Albert Schweitzer, der in eine Reihe gehört mit Mahatma Gandhi, Nelson Mandela oder Martin Luther King. „Der Spiegel“ hat einmal geschrieben: „Er sieht aus wie ein naher Verwandter des lieben Gottes. Und er benimmt sich auch so.“ 1875 wird er in Kaysersberg bei Colmar geboren, nach eigenen Aussagen von den Eltern „zur Freiheit“ erzogen und kann mit gerade mal neun Jahren den Organisten vertreten. Seine Einschulung erlebt er als Katastrophe, weil er den Begriff des „reifen Menschen“ mit Verkümmerung und Verarmung gleichsetzt.

1913 beginnt Albert Schweitzers Reise

Amüsiert hört das Publikum – darunter auch Ehemalige des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Leonberg –, wie Albert Schweitzer die erste Begegnung mit einem Hochrad („ein erwachsener Mann in kurzen Hosen!“) oder den ersten Tomaten schildert. Er studiert Theologie, Philosophie und Musik in Straßburg, verbringt Nächte über den Büchern im Hunger nach Wissen, Kunst und Leben. Früh schon ist er sensibilisiert für das „Weh, das um uns herum existiert“ und vertritt die Maxime „Wer verschont ist von Leid, muss das Leid der anderen lindern!“ Er beschließt, Arzt zu werden, um in Afrika Kranke behandeln zu können und studiert neben theologischen Vorlesungen, Predigen und Orgelspiel auch noch Medizin.

Am Karfreitag 1913 beginnt die Reise – aber schon vorher heißt es, „nach Katalogen Bestellungen ausarbeiten, tagelang Besorgungen zu machen, in den Geschäften herumstehen und Waren aussuchen, Lieferungen und Rechnungen prüfen, Kisten packen, genaue Listen für die Verzollung aufstellen und dergleichen mehr. Was hatte ich an Zeit und Mühe aufzuwenden, bis ich die Instrumente, die Medikamente, den Verbandsstoff und allesamt was zur Ausstattung eines Spitals gehörte, zusammen hatte, von den mit meiner Frau zusammen erledigten Beschaffungen für den Haushalt im Urwald nicht zu reden.“

Im zweiten Teil des Abends kommt Norbert Eilts mit Tropenhelm: Es gibt Urwald-Impressionen mit Wurzeln, Lianen, riesigen Bäumen und Papyrus-Stauden. Dazu ist es 35 Grad heiß mit großer Luftfeuchtigkeit. Als Ergebnis seines ethischen Ringens formuliert Schweitzer als Aufgabe des Menschen die „Ehrfurcht vor dem Leben“ – übrigens damit Christian Wagner sehr nah.

Das Leben im Urwald ist eine Herausforderung

Das Leben im Urwald erweist sich als große Herausforderung: nicht nur das drückende Klima, sondern auch das Getier, wie Skorpione, Spinnen oder Wanderameisen machen die Arbeit im Hospital manchmal zur Qual. Einmal beobachtet Schweitzer ein „Defilee“ der Ameisen, das 36 Stunden anhält, und außerdem sind die Biester auch noch bissig. In seinen wenigen Mußestunden schöpft er Kraft an seinem Klavier mit Johann Sebastian Bach oder Beethoven.

Albert Schweitzer befindet sich nach eigenen Aussagen „in vollständigem Widerspruch“ zum Geist seiner Zeit, und Winston Churchill taufte ihn „Genie der Menschlichkeit“. Dass Schweitzers frühe Warnungen vor dem heraufziehenden Nationalsozialismus und sein Engagement gegen Aufrüstung und Atombewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Lesung nicht erwähnt werden, ist schade. Im Albert Schweitzer Lesebuch oder auch in „Frieden statt Krieg“ von P. S. Gill lässt sich dazu viel finden.

Jean-Paul Sartre hat an Albert Schweitzer geschrieben: „Ich bin auch sehr glücklich, dass Du Deine große Autorität in den Dienst für den Frieden gestellt hast. Jedes mal, wenn Dein Name zwischen denen erscheint, die gegen den Atomkrieg kämpfen, fühle ich mich Dir nahe.“