Nach intensiver Diskussion bestätigt der Gemeinderat den Widerspruch des Oberbürgermeisters gegen das Votum des Planungsausschusses zum KSK-Neubau. Die Chronologie einer turbulenten und mental schwierigen Woche.

Leonberg - Ist ein Stadtrat befangen, wenn sein Grundstück womöglich von einem anstehenden Bebauungsplanverfahren tangiert ist? Diese formale Frage hat am Dienstagabend den Leonberger Gemeinderat lange beschäftigt. Hat doch die Frage der Befangenheit unmittelbare Außenwirkungen auf einen Beschluss des städtischen Planungsausschusses. Der hatte vor einer Woche die Pläne für ein Neubauprojekt der Kreissparkasse abgelehnt.

 

Doch diesem Beschluss hat der Oberbürgermeister Martin Georg Cohn widersprochen, weil einer der abstimmenden Stadträte in seinen Augen befangen ist. Diese Rechtsauffassung hat der Gemeinderat jetzt mehrheitlich bestätigt. Und damit den Weg frei gemacht, dass das Bauprojekt erneut in den kommunalen Gremien beraten wird.

Die Ausgangslage: Die Kreissparkasse will auf ihrem Gelände an der Stuttgarter Straße/Grabenstraße auf 7100 Quadratmetern ein neues Direktionsgebäude und vier Häuser mit 70 Wohnungen errichten, ein Viertel davon sozial gefördert.

Donnerstag, 23. Januar: Im Planungsausschuss sprechen sich die Grünen gegen eine fünfgeschossige Bebauung aus. Die Freien Wähler pochen auf einem Parkplatzschlüssel von 1,5 pro Wohnung. Für die bezahlbaren Wohnungen hatte die Sparkasse nur je einen Stellplatz geplant. Mit ihrer hauchdünnen Ausschussmehrheit lehnen beide Fraktionen die Pläne ab.

Freitag, 24. Januar: Die Kreissparkasse zieht das gesamte Vorhaben zurück. Ohne ausreichenden politischen Rückhalt, so argumentiert der Vorstandschef Detlev Schmidt, habe das Projekt keine Zukunft.

Sonntag, 26. Januar: Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD), so wird er es später darstellen, erhält von einem Ratsmitglied den Hinweis, dass der Stadtrat Johannes Frey womöglich befangen ist. Der Freie Wähler wohnt in der Hinteren Burghalde, die im Geltungsbereich jenes Bebauungsplanes liege, der für den Sparkassen-Bau geändert werden müsse.

Montag, 27. Januar: Der OB lässt den Hinweis im Rathaus überprüfen und wendet sich auch an das Regierungspräsidium als Kommunalaufsichtsbehörde. Ergebnis: Das Grundstück des Stadtrats liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „Untere Burghalde“. Johannes Frey sei damit befangen, der unter seiner Mitwirkung getroffene Beschluss im Planungsausschuss also rechtswidrig. Cohn widerspricht qua Amt dem Beschluss. Seine Rechtsauffassung muss der Gemeinderat bestätigen. Dies soll direkt am Folgetag geschehen.

Die Diskussion

Dienstag, 28. Januar: Im Gemeinderat erklärt der OB seine Vorgehensweise anhand des Paragrafen 18 IV der Gemeindeordnung: Die Befangenheit liege dann vor, „wenn die Entscheidung einer Angelegenheit einem ehrenamtlichen Tätigen selbst oder einer mit ihm in einem besonderen Verhältnis stehenden Person einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann.“ Dies hält Cohn für gegeben, auch weil Freys Grundstück eine Sichtachse zum Sparkassengelände habe.

Der Oberbürgermeister versichert, dass er nicht aus eigenem Antrieb handele: „Es macht keine Freude, einen Beschluss in die Gesetzeswidrigkeit zu bringen. Aber ich habe einen Hinweis aus der Mitte des Gemeinderates bekommen und dem muss ich nachgehen. Ich habe nicht die Wahl zu sagen, ich mache es oder nicht.“ Diese Auffassung habe das Regierungspräsidium „im Grunde“ bestätigt.

Bernd Murschel, der Fraktionschef der Grünen, erklärt sich daraufhin für befangen, da er Miteigentümer eines Hauses in der Unteren Burghalde ist. Und auch Wolfgang Schaal von den Freien Wählern verlässt seinen Ratssessel: Verwandte dritten Grades von ihm hätten Grundstücke in dieser Straße.

Axel Röckle übernimmt die inhaltliche Gegenrede: „Allein schon im Lageplan des Gebietes“, so argumentiert der Fraktionschef der Freien Wähler, „sieht man deutlich, dass Häuser und Parkplätze dazwischen liegen.“ Auch die von Cohn angesprochene Blickbeziehung hält der hauptberufliche Rechtsanwalt für nicht stichhaltig: „Auch vom Engelbergturm sieht man ganz viele Häuser. Auf diese Art und Weise kann man sehr viele Menschen zu Befangenen machen.“

Blick von der KSK Richtung Burghalde. Foto: factum
Christa Weiß (SPD) ermahnt ihre Kollegen, schnell abzustimmen, ohne einen Ratskollegen zu beschädigen: „Wir wollen uns alle nachher noch in die Augen schauen.“ Dieter Maurmaier, der seit 20 Jahren dem Gemeinderat angehört, kann sich nicht erinnern, „jemals eine solche Diskussion geführt zu haben, obwohl wir solche Fälle hatten.“ Der FDP-Fraktionschef würde lieber „über das wirklich wichtige Thema diskutieren, nämlich das Bauvorhaben der Kreissparkasse.“

Die CDU-Fraktionschefin Elke Staubach empfiehlt, „auf Sicherheit zu setzen“. Bei einer anderen Bebauung vor mehreren Jahren hätten sich gleich vier Stadträte für befangen erklärt, um das Projekt nicht zu gefährden, darunter sie selbst. Birgit Widmaier (Grüne) geht davon aus, dass „höchstwahrscheinlich keine Befangenheit vorliegt“, will aber das Regierungspräsidium den Fall überprüfen lassen. Susanne Kogel (CDU) hält die Bestätigung der Befangenheit für besser: „Da machen wir nichts falsch.“ Ronald Ziegler (Grüne) hält den Gemeinderat für das falsche Gremium: „Bei Mitgliedern von Ausschüssen entscheidet der Ausschuss.“

So geht es hin und her, bis Kurt Kindermann (FDP) eine Sitzungsunterbrechung fordert. Fast eine Viertelstunde diskutieren die Fraktionen untereinander und miteinander. Johannes Frey, so wird erwogen, könne sich selbst befangen erklären, um damit eine Kampfabstimmung zu vermeiden. Auf Cohns entsprechende Frage hält sich der hauptberufliche Architekt „ganz eindeutig“ für nicht befangen.

Die Entscheidung

Nach einer mehr als einer Stunde langen Aussprache, die allen Beteiligten erkennbar an den Nerven zerrt, beantragt Christa Weiß von der SPD geheime Abstimmung. Stimmzettel werden verteilt, dann das Ergebnis: 16 Ja-Stimmen und zwölf Nein stimmen. Der Widerspruch des Oberbürgermeisters gegen den Beschluss des Planungsausschusses vom 23. Januar ist damit mehrheitlich bestätigt.

„Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung ist damit nicht mehr gegeben“, stellt Martin Georg Cohn in sachlichem Ton fest und setzt den Punkt „Neuordnung des Kreissparkassenareals“ auf die Tagesordnung des kommenden Planungsausschusses am 13. Februar. Es geht also weiter.

Der Tag danach

Mittwoch, 29. Januar: „Das Regierungspräsidium Stuttgart teilt die Auffassung der Stadtverwaltung Leonberg, dass hinsichtlich der Angelegenheit ,Neuordnung des Kreissparkassenareals (Grabenstraße)’ Befangenheit bei Gemeinderatsmitgliedern vorliegt, die Eigentümer von Grundstücken im betroffenen Planbereich sind“, erklärt die kommunale Aufsichtsbehörde auf Anfrage unserer Zeitung.

„Im Bebauungsplanverfahren sind Grundstückseigentümer stets befangen, dasselbe gilt, wenn ein Ehegatte des Gemeinderats Grundstückseigentümer im Plangebiet ist“, sagt eine Behördensprecherin. „Hiervon ist ebenso auszugehen, wenn es – wie vorliegend – um Änderungen eines Bebauungsplans geht, auch wenn sich die Änderungen nicht auf das betreffende Grundstück auswirken.“

Die SPD hat unterdessen die politische Diskussion im Vorfeld der Ratsentscheidung noch nicht verdaut: „Dass Grüne und Freie Wähler bei ihrem Nein bleiben und dies mit fadenscheinigen Argumenten begründen, ärgert nicht nur uns“, erklärt die die SPD-Fraktionsvize Christa Weiß.

„So stimmt die Aussage vom Fraktionschef der Freien Wähler einfach nicht, dass bei allen Bauvorhaben 1,5 Stellplätze pro Einheit gefordert werden“, sagt Weiß. „100 Meter weiter auf dem TSG-Areal hat der Bauträger die Zusage für die preisgebundenen Wohnungen nur einen Stellplatz bereitstellen zu müssen. Warum wird einem auswärtigen Investor dies ermöglicht, einem regionalen, als seriös geltenden, wie der KSK, aber nicht?“

„Ein Bauprojekt, das ohne städtische Subventionen zu einem Viertel preiswerten Wohnraum ermöglicht, benötigt weitere attraktive Wohnungen mit marktüblichen Mieten, um rentabel zu sein“ argumentiert die SPD-Stadträtin.

„Grünen-Fraktionschef Murschel sagt, sie wären nur gegen das fünfte Geschoß. Eigentlich sollten auch die Grünen so weit in der Lebenswirklichkeit angekommen sein, dass sie wissen, dass gerade dort die attraktiven Wohnungen entstehen, mit denen die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens steht und fällt.“

„Die Diskussion um Befangenheiten einzelner Mitglieder war keine Sternstunde für den Leonberger Gemeinderat“, kommentiert Christa Weiß die turbulente Sitzung. Doch nachdem der Sparkassen-Chef Detlev Schmidt in unserer Zeitung weitere Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, „erwarten wir spätestens jetzt von allen Beteiligten, dass der Blick nach vorne gerichtet wird.“