Vor 400 Jahren wurde Katharina Hummel geboren. Ihr ist in der Stadtkirche eine Wunderheilung widerfahren.

Leonberg - Zwei kleine, zierliche Handkrücken aus Holz, die vom vielen Benutzen blank gescheuert sind, werden in der Sakristei der evangelischen Stadtkirche aufbewahrt. Sie haben bis zum 15. September 1644 Katharina Hummel gehört.

 

Damit hatte sich die damals 26-Jährige wegen ihrer verkrüppelten Beine neun Jahre lang durch die Gassen von Leonberg geschleppt. Bis sie am besagten 13. Sonntag nach Trinitatis in der Leonberger Stadtkirche auf wundersame Weise geheilt wurde und sie wieder ohne Hilfe gehen konnte.

Ein schweres Schicksal

1618, im Jahr des Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges, in Ohmden, einem kleinen Ort bei Kirchheim/Teck geboren, hat Katharina Hummel das Elend und die Not erlebt, die dieser Konflikt über Millionen Menschen gebracht hat. Ihre Mutter, Maria Hummel, hatte zwölf Kinder mit ihrem Ehemann Jakob Hummel. Nach dessen Tod kam aber ein dreizehntes, uneheliches Kind zur Welt: die Tochter Katharina.

Wie Nicole Bauer und Renate Dürr in ihrem Beitrag „Die Wunderheilung der Katharina Hummel“ in dem Buch mit Beiträgen zur Stadtgeschichte „Nonne, Magd oder Ratsfrau“ vermuten, war das Mädchen etwa zehn Jahre alt, als die Mutter aus Ohmden wegzog und Katharina und ihre Geschwister ihrem Schicksal überließ. Sie kam für zwei Jahre zu einem ihrer Pfleger, dem Maurer Hans Fischer, dann zog sie zu Michael Dettinger. Doch weil ihre Rücklagen aus dem Verkauf des mütterlichen Hauses und des Krautgartens aufgebraucht waren, konnte sie auch bei dem verarmten Fleckenschütz nicht bleiben.

Katharina musste betteln gehen

Für das Mädchen hieß das, sich den Bettelsack um den Hals zu hängen und den Heimatort zu verlassen. Nach der vernichtenden Niederlage der protestantischen Seite bei Nördlingen, wo auch fast 150 Männer aus Leonberg getötet wurden, war Württemberg der Willkür der kaiserlichen Truppen ausgeliefert. Die Ernten wurden vernichtet und überall wurde gebrandschatzt, sodass die Nahrung knapp wurde und Seuchen ausbrachen. Allein der Pest fielen im Jahr 1635 in Leonberg 635 Menschen zum Opfer. In dieser Zeit großer Bedrängnis kam die damals 17-jährige Katharina nach Höfingen, wo sie erkrankte. Sie schleppte sich nach Leonberg und lag „allda auf die vierzehn Wochen lang in der Vorstadt in einem alten, sonst unbewohnten Häuslein bei großer Winterkälte ziemlich pfleglos, bis sie letztlich an beiden Schenkeln viel offene Schäden bekommen und die Füße endlich in diese Kontrakur und Zusammenkrümmung geraten sind“, beschrieb später der Leonberger Spezial, also der Dekan Philipp Raumeyer, ihr Leiden.

Dieser arme, geschundene Mensch schleppte sich auf kleinen Handkrücken acht Jahre lang durch die Gassen der Stadt und Sonntag für Sonntag zur Kirche. Ein bescheidenes Leben ermöglichte Katharina Hummel die Aufsicht kranker Kinder und gelegentliche Spinnarbeiten.

Predigt des barmherzigen Samariters

Dann geschah am 13. Sonntag nach Trinitatis im Jahr 1644 etwas Ungewöhnliches, als auch Herzog Eberhard zur Jagd im Kammerforst nach Leonberg gekommen war. Katharina Hummel, die wie gewöhnlich auf ihren Krücklein mit den Händen an ihren angestammten Platz unter der Kanzel zur Predigt gekrochen gekommen war, hörte sich auch die Predigt vom barmherzigen Samariter an.

Nach dem Gebet und während des Gesangs begann sie, wie Raumeyer es aufzeichnete, „ihre neun Jahre lang verdorbenen und zusammengebogen Füße auszurecken, auf dieselbe zu treten und ohne männigliches Behelf wieder aufrecht zu wandeln. Weil besagte Tochter wegen niederträchtigen Einhergehens sehr abgekürzte Röcklein gebrauchen müssen, als hat sie der nächstumgestandenen Weibsperson zugerufen, von denselben ein Unterröcklein und weißen Schurz erhalten, damit sie ihre ausgereckte und wiederum auf die Geradigkeit gestellte Füße gedecket.“

Nach dem Gottesdienst hat die Geheilte ziemlich verwirrt die Kirche verlassen, aber sie ist dann zurückgekehrt und hat ihre Krücklein am angestammten Platz niedergelegt, als Zeugnis für die erfahrene göttliche Hilfe. Die 26-Jährige hatte anfangs zwar ziemliche Mühe auf den Beinen zu stehen, aber sie erholte sich schnell, denn nur wenige Monate nach der Heilung machte sie eine längere Reise nach Calw.

Die Nachricht verbreitete sich schnell

Der wundersame Vorfall verbreitete sich rasch, zumal er vor einem so illustren Publikum geschah. Der Herzog befahl dem Dekan eine Dankespredigt zu halten, die zusammen mit seinem Bericht gedruckt werden sollte. Der Stuttgarter Verleger Matthias Kautten wollte auf eigene Kosten 200 Exemplare drucken – doch die Drucklegung unterblieb. Es ist nicht geklärt wieso, denn es gab keine Zweifel an dem Wunder. Auch Nachforschungen in ihrem Heimatort ergaben , dass sich Katharina Hummel „still und unverdächtig gehalten hat.“

Vermutet wird, dass der Leonberger Spezial aus Bescheidenheit darum gebeten habe, die Veröffentlichung nicht vorzunehmen. Auch weil er ein Spießrutenlaufen in der „spitzfindigen und angeeckten Welt“ befürchtete. Andere begründeten die unterbliebene Veröffentlichung mit dem Benehmen Katharina Hummels selbst.

Das Kreuz mit dem Wunder

Wieso hat man sich mit dem wundersamen Vorfall bereits schon kurze Zeit danach so schwer getan? Die wundersame Heilung der Katharina Hummel ist eine der wenigen Wundergeschichten im protestantischen Württemberg und gehörte also nicht zum landläufigen Bild des Luthertums.

Trotzdem gab es keine Zweifel an der Echtheit des beschriebenen Vorfalls. Von vielen wurde er als Zeichen der Hoffnung und als Symbol für das heiß ersehnte Ende des kriegsbedingten Elends empfunden.

Aber es lag auch am Leben und selbstbewussten Wesen der Katharina Hummel, das offensichtlich nicht dem Bild demütiger Frömmigkeit und Dankbarkeit entsprach, wie sie einer durch ein Wunder Geheilten aus der Perspektive der Zeit wohl gut angestanden hätten. Die Autorinnen Nicole Bender und Renate Dürr haben auch herausgefunden, dass Katharina Hummel nicht gut auf den Leonberger Vogt und seine Frau und den Spezial Philipp Raumeyer zu sprechen war.

Das wurde sehr deutlich als sie vier Jahre nach ihrer Heilung als Anhängerin des Gerlinger Propheten vor Gericht stand.

Die Theologen taten sich schwer

Hans Keyl hatte 1648 durch ein selbst inszeniertes Wunder blutender Reben und nach angeblichen Engelsvisionen in seinen Predigten und Flugschriften scharfe Gesellschaftskritik und kirchliche Bußforderungen vermengt, wofür er ins Gefängnis kam. Auch seine Anhänger wurden inhaftiert. Da bejahte Katharina die Frage, ob sie ein Halleluja singen werde, wenn man sie der Stadt verweise. Auch schilderte sie, dass ihr viel Hohn und Spott von den Leonbergern entgegenbracht und von Unzucht sowie Hexenwerk gemunkelt werde.

Wie schwer sich die evangelischen Theologen in den folgenden Jahrhunderten mit dem Vorfall taten und nach einer Erklärung suchten, wieso das Wunder nie in reinem Glanze erstrahlte, veranschaulicht die Tatsache, dass man der Geheilten ein Fehlverhalten andichtete, das nicht bewiesen war. Die „geheilte Weibsperson“ habe sich am Hof in Stuttgart sehen lassen müssen, was zu zahlreichen Bekanntschaften geführt habe, mit dem fatalen Ausgang, dass sie unehelich schwanger geworden sei. „Sonst weiß man nichts von ihr“, schrieb 1792 der Leonberg Diakon Gottlieb Heinrich Rieger in einem Brief.