Die Start-up-Firma Syrvive hat sich auf die Vermittlung gut ausgebildeter syrischer Fachkräfte spezialisiert. Nach einem Jahr zieht der Geschäftsführer Bilanz.

Leonberg -

 

Es ist ein knappes Jahr her, als sich drei engagierte Leonberger zusammensetzten und Gedanken machten, wie man den Flüchtlingszustrom mit dem hiesigen Fachkräftemangel in Einklang bringen könnte. Am Ende entstand der Personaldienstleister Syrvive, eine Wortmischung aus Syrien und survive (Deutsch: überleben), der sich inzwischen den Beinamen „The Syrian Expat Experts“ gab. Das Start-up-Unternehmen hat sich auf die Vermittlung syrischer Fachkräfte und Akademiker spezialisiert und ist mit diesem Geschäftsmodell bundesweit wohl einmalig. Der Geschäftsführer Alexander Röckle zieht ein Zwischenfazit.

Herr Röckle, wie läuft das Geschäft?
Ziemlich gut. Wir haben aktuell mehr als 1800 Arbeitsuchende aus ganz Deutschland in unserer Datenbank, darunter promovierte Ingenieure, Informatiker und Ärzte. Fünf Prozent könnten sofort und ohne jegliche Sondermaßnahmen vermittelt werden. Davon sind wir selbst ein wenig überrascht. Wir haben zwar im Vorfeld ordentlich Werbung in den einschlägigen Gruppen der sozialen Medien gemacht und waren auch an Flüchtlingsinitiativen herangetreten, aber mit dieser Zahl an Bewerbern haben wir nicht gerechnet.
Was ist in vergangenen Monaten passiert?
Unser Team an Ehrenamtlichen ist größer geworden. Wir haben einen regen Austausch mit der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart sowie der privaten Hochschule „School of International Business and Entrepreneurship“ in Herrenberg, die ebenfalls geflüchtete Akademiker vermittelt. Inzwischen sind wir auch Mitglied bei der Integrationsinitiative der deutschen Wirtschaft „Wir zusammen“ und neulich referierten wir bei der Fachkräfteallianz im Landeswirtschaftsministerium. Außerdem wurden wir im vergangenen Jahr für den Unternehmerpreis im Kreis Böblingen nominiert. Derzeit bauen wir mit dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) einen Stammtisch für syrische Ingenieure auf.
Und dann gibt es ja noch die Bewerbungstrainings.
Genau. Gemeinsam mit Kommunen haben wir mehrere kostenlose Bewerbungstrainings in arabischer Sprache durchgeführt, darunter in Schorndorf, Winterbach und Sindelfingen. Dabei bekamen die Geflüchteten einen Einblick in das deutsche Schulsystem, und wir erklärten ihnen, wie ein gelungenes Anschreiben und ein korrekter Lebenslauf mit Bewerbungsfoto auszusehen hat. Zwei unserer Firmengründer stammen aus Syrien, was die Verständigung erleichtert.
Warum syrische Fachkräfte?
Syrische Flüchtlinge sind im Durchschnitt besser gebildet als andere Flüchtlingsgruppen. Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs galt Syrien in Sachen Bildung als
Musterland in der arabischen Welt. Das dortige Bildungssystem in Schulen und Universitäten ist an das alte französische angelehnt. Es besteht Schulpflicht, Englisch
und Französisch sind Pflichtfächer. Die Analphabetenrate liegt bei nur fünf Prozent. Bei der möglichen Vermittlung in den Hochlohnmarkt rechnen wir mit etwa 30 000 derzeit in Deutschland lebenden Syrern. Diese können sich wie auch die interessierten Firmen direkt auf unserer Internetseite registrieren. Für die Bewerber ist das Angebot kostenlos, die Arbeitgeber zahlen bei erfolgreicher Vermittlung eine Provision.
Wo drückt der Schuh?
Die Vermittlung der Fachkräfte ist kein Selbstläufer, auch wenn mit der Aussetzung der Vorrangprüfung die größte bürokratische Hürde für die Arbeitgeber weggefallen ist, was auch uns die Arbeit erleichtert. Die Agentur für Arbeit muss jetzt nämlich nicht mehr prüfen, ob für einen Arbeitsplatz anstelle eines Asylbewerbers ein geeigneter deutscher oder ein EU-Bürger zur Verfügung steht.
Was nehmen Sie sich für die Zukunft vor?
Aus Syrvive soll eine gemeinnützige Gesellschaft werden. Zum einen bringt die Gemeinnützigkeit steuerrechtliche Vorteile für die Firmen mit sich. Aber diese Geschäftsform passt auch viel besser zu unseren Absichten. Denn für uns geht es nicht ums Geld verdienen, ganz oben steht die Verantwortung. Der Staat ist ausgelastet, weshalb die Vermittlung der Fachkräfte der Privatwirtschaft obliegt. Deutschland betreibt einen enormen finanziellen Aufwand. Es wäre ein Riesenverlust, wenn die hochqualifizierten Geflüchteten am Ende im Ausland anheuern. Wir möchten das Geld reinvestieren, um zu expandieren, und Mitarbeiter einstellen. Dafür suchen wir finanzstarke Partner mit dem nötigen Know-how. Zudem möchten wir ein zertifizierter Bildungsträger werden, was uns auch die Zusammenarbeit mit Jobcentern ermöglicht. Und dann spielen wir mit dem Gedanken, unsere Klientel auszubauen.
Das heißt?
Neben Akademikern werden wir möglicherweise künftig auch syrische Pflegekräfte vermitteln. Doch da ist noch alles in der Schwebe. Klar ist aber, dass bei uns der Bedarf in diesem Bereich nach wie vor sehr groß ist. Auch dafür suchen wir Kooperationspartner.