Redakteur Henning Maak begleitet zwei Polizisten, die eine Todesnachricht überbringen und erlebt emotionale Momente.

Leonberg - Man kennt es aus zahlreichen Tatort-Folgen: Keiner der Kommissare reißt sich darum, einem Hinterbliebenen die Nachricht vom Tod eines Angehörigen zu überbringen. Dass dies einer der wenigen Aspekte ist, die sich mit der polizeilichen Wirklichkeit decken, erfahre ich, als ich Beamte des Kriminaldauerdienstes bei so einer Aufgabe begleite.

 

Die Tote ist eine 58-jährige Frau, die am frühen Nachmittag von Spaziergängern in Gerlingen gefunden wurde. Nachdem ihre Reanimationsversuche erfolglos geblieben waren, hatten sie den Notarzt alarmiert, der auch nur ihren Tod feststellen konnte. Der kontaktierte Hausarzt hatte erklärt, dass die 58-Jährige zahlreiche Vorerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes hatte und sich häufig geweigert hatte, ihre Medikamente zu nehmen.

Am Nachmittag fahre ich mit Kriminaloberkommissar Ralf Gröndahl und Kriminalkommissar Marco Scheer zum Fundort der Leiche. Ich sehe noch, wie die Frau vom Krankenwagen in einen Leichenwagen umgebettet wird. Da der Sohn, der mit der Toten in einem Haus lebt, noch bei der Arbeit ist, fahren wir zunächst noch einmal zurück nach Leonberg.

Der Sohn sackt erschöpft zusammen

Zwei Kollegen haben eine Visitenkarte mit Telefonnummer hinterlassen mit der Bitte, dass dieser sich melden solle, wenn er heimkomme. Kurz nach 19 Uhr am Abend ist es soweit: Der Sohn hat beim KDD angerufen, ich darf mit den Kriminaloberkommissaren Judith Quiskamp und Alexander Bäuerle zum Haus der Toten fahren.

Der Sohn steht schon am Fenster und erwartet uns. „Sie waren schon am Nachmittag da?“, fragt er, als er auf unser Klingeln die Tür öffnet. Alexander Bäuerle bejaht und fragt, ob wir hereinkommen und uns zusammen an den Tisch setzen dürfen. Genau wie im Tatort, denke ich.

Dann kommt Bäuerle gleich zur Sache: Er erzählt mit ruhiger und fester Stimme, dass die Mutter am Nachmittag tot aufgefunden wurde und alle Wiederbelebungsversuche erfolglos geblieben sind. In diesem Augenblick sackt der Sohn zusammen, er legt den Kopf auf den Tisch. „Geben Sie mir mehr Infos“, bittet er dann mit zittriger Stimme. Bäuerle erklärt, dass der Leichen beschauende Arzt sie von Amts wegen verständigt hat und fragt, ob er sich vorstellen könne, warum die Frau an genau dieser Stelle gefunden wurde. „Dort steigt sie aus dem Bus, sie kam wahrscheinlich von der Arbeit“, sagt der Sohn.

Dann tritt eine Stille ein, die ich nur schwer aushalten kann. Ich finde, dass ich in diesem Augenblick nicht mit in diesem Raum sein dürfte. Ich klicke vor Nervosität immer wieder unbewusst mit meinem Kugelschreiber, das Geräusch kommt mir in der Stille unheimlich laut vor. Judith Quiskamp fragt, wenn der Sohn seine Mutter zum letzten Mal gesehen hat. „Am Morgen“, sagt dieser, „da war alles in Ordnung“.

Das Leben auf den Kopf gestellt

Die Kommissarin fragt, ob es Angehörige in der Nähe gebe und erklärt, dass es einen so genannten Notfall-Nachsorgedienst gebe. „Das ist alles so unwirklich“, entgegnet der Sohn, der die Hilfsangebote ablehnt. Er habe zwei Brüder in der Nähe, auch die Mutter der Verstorbenen lebe noch. „Meine Mutter war doch erst 58“, sagt der Sohn ungläubig und sinkt noch einmal vornüber. „Vor fünf Jahren ist mein Vater gestorben, das ist alles ein bisschen viel auf einmal“, sagt er dann.

Als das Telefon läutet, lässt der Sohn es klingeln, er will jetzt nicht gestört werden. „Ich fahre jetzt zu meinen Brüdern“, sagt er. Die Frage, ob er in seinem Zustand fahren könne, bejaht er.

„Falls Sie noch Fragen haben, wir wären ab 6 Uhr morgen früh wieder erreichbar“, sagt Bäuerle im Hinausgehen. „Ich habe Fragen ohne Ende“, antwortet der Sohn, der hinter uns die Tür schließt. Im Auto atme ich erst einmal durch. „Es ist wichtig, dass man gegenüber dem Hinterbliebenen ausspricht, dass jemand verstorben ist“, erklärt mir Bäuerle und schiebt dann nach: „Uns ist bewusst, dass wir mit unserem Auftauchen in so einer Situation das Leben einer Person völlig auf den Kopf stellen.“