Der Religionspädagoge und Pfarrer a. D. Eberhard Röhm wird am Dienstag 90 Jahre alt.

Leonberg - Ich war einer der letzten, die mit dem Auto durch den alten Engelbergtunnel gefahren sind, bevor er zu dem Ort des Leidens wurde, der nun seit vielen Jahren mein Wirken prägt“, sagt Eberhard Röhm. Der Leonberger Religionspädagoge wird am Dienstag 90 und ist so rege und voller Elan wie schon immer. Als 16-Jähriger hatte der in Zuffenhausen als zweitältester von sechs Geschwistern seinen um ein Jahr älteren Bruder Hellmut bei einer Probefahrt eines so genannten „Volkswagens“ begleitet.

 

Ein nachdenklicher Blick von Eberhard Röhm wandert durch das Wohnzimmer voller Bücher. „Die gehörten alle meiner außergewöhnlich belesenen Frau Dorothee, die vor drei Jahren verstorben ist“, sagt der Vater von vier Kindern. Und er fügt hinzu: „Leider habe ich viel zu wenig Anteil an dem genommen, was sie gelesen hat, weil ich mit den eigenen Themen zu beschäftigt war.“

Eberhard Röhm schöpft sein Wirken aus seiner eigenen Biografie: „Ich gehörte zu den Verführten“. Seinen Lehrern, vor allem Hermann List, im Korntaler Gymnasium habe er es zu verdanken, dass ihm nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes eine neue Welt eröffnet wurde. Dies und die Möglichkeit ein Stipendium zu erhalten, haben ihn auch zum Theologiestudium motiviert hat. In Korntal hat er 1948 sein Abitur gemacht, in Tübingen und Göttingen Theologie studiert.

Auf das Examen folgt die Hochzeit

Gleich nach dem Examen hat er seine Kommilitonin Dorothee Schwarz geheiratet. „Die Ehe bedeutete für meine Frau, dass sie ihren Beruf nicht ausüben konnte.“ Stattdessen wurde Dorothee Röhm als Mutter von vier Kindern Familienfrau. Aber das hat sie nicht davon abgehalten sich vielfach ehrenamtlich zu engagieren, etwa als Mitbegründerin des Eine-Welt-Ladens, oder in einem alternativen Ganztagskindergarten. Den haben politisch ähnlich Gesinnte, denen Elternmitarbeit im Kindergarten wichtig war, von 1970 an, zuerst in der Feuerbacher Straße und dann in der Stuttgarter Straße für etwa 20 Kinder über einen Zeitraum von vier Jahren betrieben und mitfinanziert. „Aus diesem Elternkreis sind dann auch große Teile der im Leonberg politisch aktiven Grünen Alternativen Bürgerliste (Gabl) hervorgegangen“, sagt Röhm im Rückblick.

Die berufliche Karriere begann für Eberhard Röhm als Vikar in Ebersbach/Fils, es ging weiter nach Ditzingen. 1960 kam er als Religionslehrer an das Leonberger Albert-Schweitzer-Gymnasium, das damals zum Vollgymnasium wurde, wo er bis 1972 tätig war. „In dieser Zeit bin ich hängen geblieben in Leonberg“, sagt Röhm, der sich auch in der Ramtel-Kolonie engagierte. Es ist die Zeit, in der sich in Leonberg das Konzept der offenen Jugendarbeit etabliert hat. 1972 wurde Röhm an das pädagogisch-theologische Zentrum der Württembergischen Landeskirche berufen, von wo er 1993 in Rente ging. Dort war er für die Fortbildung der Pädagogen sowie für die Lehrplanentwicklung zuständig. In dieser Zeit entstanden auch Schulbücher und er gab die Fachzeitschrift „Entwurf“ heraus.

Viele bedeutende Bücher

Die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus und die Erforschung des christlich-jüdischen Verhältnisses ziehen sich wie ein roter Faden durch das berufliche Wirken von Eberhard Röhm, aber auch danach. Das hat sich in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen. „Mein für mich bedeutendstes Buch ist Sterben für den Frieden über Hermann Stöhr, einer der wenigen evangelischen Christen, die den Kriegsdienst verweigert haben und 1940 hingerichtet wurde“, sagt der ehemalige Berater für Kriegsdienstverweigerer. So war es nur konsequent, dass Röhm 1999 aus der Grünen-Partei ausgetreten ist, als Außenminister Joschka Fischer den deutschen Kriegseinsatz im Kosovo legitimierte.

Das zweite Themenfeld hat Röhm zusammen mit Jörg Thierfleder unter dem Titel „ Juden – Christen – Deutsche“ in sieben Teilbänden von 1990 bis 2007 aufgearbeitet. Weil er die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus so tiefschürfend ausgeleuchtet hat, wurde Eberhard Röhm 2003 die Ehrendoktorwürde der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln verliehen.

Der langjährige Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative hat 2011 zwar sein Amt aus gesundheitlichen Gründen abgegeben, doch das schmälert sein Engagement und seinen Elan nicht. In Kürze wird der Kunstband „Moshe Neufeld – Bilder“ erscheinen. Den bringt er zusammen mit der ehemaligen Kulturamtsleiterin Christina Ossowski heraus. Er enthält 2003 in Leonberg gezeigte Malereien, mit denen der ehemalige KZ-Häftling als Künstler seine Traumatisierung verarbeitet hat.

Kämpfer gegen das Vergessen

Leonberg - Als am 11. September 1998 Oberbürgermeister Bernhard Schuler im Vorfeld der feierlichen Eröffnung des neuen Engelbergtunnels Eberhard Röhm anlässlich seines 70. Geburtstages besuchte, hatte der Jubilar eine Bitte: Am alten Tunnel eine Gedenktafel an das ehemalige KZ Leonberg anbringen zu lassen.

Das war die Geburtsstunde des Vereins KZ-Gedenkstätteninitiative, die in den vergangenen 20 Jahren nicht nur in Leonberg eine beispielhafte Arbeit für die Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Geschichte und gegen das Vergessen geleistet hat.

Als im Juni 1998 Röhm einen Vortrag „Erinnerung an die Vergangenheit“ anlässlich von 50 Jahre Samariterstift in Leonberg hielt, basierte der auf Erkenntnissen einer 1980 erschienen Dokumentation „KZ in Leonberg“. Nachdem im Hof des Samariterstifts ein Gedenkstein aufgestellt wurde, diskutierten die Teilnehmer des Festaktes im Dr. Vöhringer -Saal weiter.

„Mein Einwand war, dass dieses dünne Vorträgle doch nicht alles sein kann, an diesem düsteren Kapitel der Geschichte müssen wir dranbleiben“, erinnert sich Eberhard Röhm. Der ehemalige Richter Klaus Beer hatte die Idee einen Verein zu gründen, der damalige Leiter des Samariterstifts, Harald Reinhard, versprach Räume zur Verfügung zu stellen. „Das Stück Papier auf dem die Gründungsmitglieder sich eintrugen, habe ich noch immer“, sagt Röhm.

Die anlässlich von 750-Jahre-Stadt- Leonberg aufgestellte Geschichtswerkstatt nahm sich des Themas an und so erschien 2001 als Band 8 der Beiträge zur Stadtgeschichte „Konzentrationslager und Zwangsarbeit in Leonberg“. Der neue Verein – „jemand musste auch den Vorsitz übernehmen“, sagt Röhm bescheiden – hat durch akribische Forschungen tausenden Häftlingen einen Namen gegeben, er pflegt Kontakte zu Überlebenden, eine Gedenkstätte in einer Tunnelröhre eingerichtet.

Aus gesundheitlichen Gründen hat Eberhard Röhm 2011 den Vorsitz an Marei Drasdo abgegeben und ist ihr Stellvertreter geworden. „Eine Hilfe kann ich noch sein, aber den Berg hinaufschnaufen bei Führungen geht nicht mehr“, sagt er.