Unvorstellbare 4 200 000 000 000 Mark (das sind 4,2 Billionen) musste ein Leonberger im Herbst vor 90 Jahren für einen Dollar bezahlen. Damit hätte die Amtskörperschaft Leonberg gerade mal 11,9 Dollar kaufen können, als sie Mitte September in der örtlichen Druckerei August Reichert eigenes Geld drucken ließ.

Leonberg - Unvorstellbare 4 200 000 000 000 Mark (das sind 4,2 Billionen) musste ein Leonberger im Herbst vor 90 Jahren für einen Dollar bezahlen. Damit hätte die Amtskörperschaft Leonberg gerade mal 11,9 Dollar kaufen können, als sie Mitte September in der örtlichen Druckerei August Reichert eigenes Geld drucken ließ. Bestellt waren 2000 Scheine zu je fünf Milliarden Mark und weitere 2000 Scheine zu je 20 Milliarden Mark.

 

Das Geld hatte das Oberamt Leonberg – vergleichbar mit dem heutigen Landratsamt – dringend notwendig, um die Gehälter auszuzahlen und um die Arbeitslosen und Bedürftigen zu unterstützen. Die Sparkasse hatte kaum noch Geld, da von der Reichsbank nichts zu bekommen war.

Doch zu der Zeit war das Geld das Papier nicht wert auf dem es gedruckt wurde, denn die Inflation hatte eine rasante Dynamik erreicht. „Da wurden die Leonberger 20-Milliarden-Scheine mit einem Überdruck einfach in 100-Milliarden-Scheine umgewandelt“, weiß Klaus Hilbert. Der Korntaler ist über seine Leidenschaft für Postkarten auch zum Sammler und Kenner von Notgeld geworden. „Die Stadt Korntal hat, wie viele andere Kommunen, aber auch Firmen, Banken und Behörden, am 12. September 1923 Geldscheine über eine, fünf und zehn Millionen Mark herausgebracht“, weiß er. Notgeld wurde sogar auf Stoff gedruckt. „Die Ludwigsburger haben Münzen aus Porzellan angefertigt“, sagte Hilbert.

Der Krieg hat 164 Milliarden gekostet

Der Auslöser dieser wirtschaftlichen Katastrophe waren der Erste Weltkrieg und seine Folgen. Das Kaiserreich hatte der Krieg etwa 164 Milliarden Mark gekostet. Den Betrag hatten die Bürger in Form von Kriegsanleihen aufgebracht. Diese Summe sollte nun die Weimarer Republik erstens weiter verzinsen und zweitens tilgen – aber womit? Die eingenommen Steuern deckten etwa 15 Prozent der staatlichen Ausgaben.

Weil die deutschen Reparationszahlungen ausblieben, besetzten am 11. Januar 1923 belgische und französische Truppen das Ruhrgebiet. Dessen Kohle, Stahl und Industriegüter fehlten der deutschen Wirtschaft. Dramatisch wurde es , als die Regierung zum passiven Widerstand aufrief – nicht nur die Reparationslieferungen, auch die Arbeit im Ruhrgebiet wurde eingestellt.

Um der finanzielle Misere zu entkommen, wurden die staatlichen Geldpressen angeworfen und die liefen immer schneller, ohne einen wirtschaftlichen Rückhalt war die Inflation nicht mehr zu bremsen. Profiteure waren die Besitzer von Sachwerten, Schuldner, Schieber, Schwarzhändler und vor allem der bei den Bürgern verschuldete Staat. Seine anfänglichen 164 Milliarden Mark Schulden hatten am 15. November 1923 noch einen Wert von 16,4 Pfennig.

Die Bevölkerung verarmte – Hunger und Entbehrung machten sich breit. Auch in Leonberg steigt die Zahl der Arbeitslosen drastisch. Im April 1923 werden 16 Vollerwerbslose und 240 Kurzarbeiter gezählt, arbeiten doch die beiden Schuhfabriken des Orts nur noch an drei Tagen pro Woche. Die Kommunen versuchen, mit staatlicher Subvention nach Kräften zu helfen. Leonberger Erwerbslose haben zusammen mit Arbeitslosen aus Gerlingen, Eltingen und Warmbronn die Mahdentalstraße vom Glemseck bis zum Schatten gebaut. Eltingen beschäftigte die Menschen mit Forstarbeiten und dem Bau von Waldwegen. Andere klopften in den Steinbrüchen Steine. In Gebersheim durften unentgeltlich im Wald Stumpen ausgraben werden. Die Stadt Leonberg richtete eine Wärmstube im Rathaus ein und im Krankenhaus wurde unentgeltlich Suppe an alte und arbeitsunfähige Menschen verteilt.

230 Milliarden Mark für ein Doppelzentner Kartoffeln

Mit dem Thema Inflation in Leonberg und Umland hat sich auch der ehemalige Geschichtslehrer am Johannes-Kepler-Gymnasium, Michael Geyer, beschäftigt. So hat er recherchiert, dass die Stadt Leonberg 1921 rund 1000 Doppelzentner (ein Doppelzentner hat 100 Kilogramm) Kartoffeln aufgekauft hatte, um Bedürftige im Winter versorgen zu können. Der Preis lag damals bei etwa 60 Mark pro Zentner. Zwei Jahre später werden bereits 5000 Doppelzentner gekauft – zum Preis von bis zu 230 Milliarden Mark pro Zentner. Damit die Stadt diese Kartoffeln bezahlen konnte, musste sie einen Kredit von 350 Billionen Mark aufnehmen.

Auch wurde 1920 Gefrierfleisch aufgekauft, das in der Gefrierhalle von Esslingen lagerte. Im Februar wurde das für neun Mark pro Pfund in der Freibank verkauft. Zur gleichen Zeit kostete ein Pfund frisches Rindfleisch 13,25 Mark beim Metzger. Mitte Februar 1921 senkte der Gemeinderat den Preis für das Gefrierfleisch auf acht, später sogar auf sechs Mark pro Pfund. Die Leonberger mögen dieses Gefrierrindfleisch aber nicht und so wird es für 6,50 pro Pfund nach Köln verkauft.

Das Vertrauen ins Geld ist Ende 1923 völlig verschwunden. Wer was hat, der tauscht: einen Ofen gegen Weizen, eine alte Nähmaschine gegen junge Hühner und Weizen oder einen Kittel gegen Stallhasen. Selbst das „Leonberger Tagblatt“ lässt sich den Bezug der Zeitung in Naturalien bezahlen – acht Pfund Weizen, zehn Eier oder ein Pfund Butter sind zu entrichten.

Am 16. November 1923 wird die Inflation mit der Einführung der Rentenmark beendet – für eine Billion Mark gibt es eine Rentenmark. Doch das Ersparte von Generationen und die Rücklagen fürs Alter waren vernichtet. Normalbürger, Sparer und Rentner hatten existenzielle Verluste erlitten, die Immobilien ihren Wert verloren. Die Mittelschicht war in wenigen Monaten ausgelöscht und der Boden für Hitlers Machtergreifung vorbereitet worden.