Die politische Schlacht ist erst einmal geschlagen: Der Kreistag hat einstimmig das alte Müllsystem mit Wertstoffhöfen bestätigt. Doch das wird die älteren Herrschaften der Bürgergemeinschaft Neue Stadtmitte (BNL) nicht schrecken. Sie kämpfen seit 15 Jahren gegen das Bringsystem.

Leonberg – Die politische Schlacht ist erst einmal geschlagen: Der Kreistag hat einstimmig das alte Müllsystem mit Wertstoffhöfen bestätigt. Doch das wird die älteren Herrschaften der Bürgergemeinschaft Neue Stadtmitte (BNL) nicht schrecken. Sie kämpfen seit 15 Jahren gegen das Bringsystem – und haben so ihre ganz eigenen Vorstellungen, wie denn das ideale Müllsystem aussehen könnte.

 

Um das zu verstehen, muss man sich die ganz eigene Sozialstruktur der drei Hochhäuser Leo I bis III anschauen. Die mögen zwar von außen hässlich, oder sagen wir: betoniert aussehen. Aber in ihrem Inneren schlummert ein höchst lebendiges Gemeinwesen. „Außen pfui, innen hui“, sagt Karl Marquardt, 73 Jahre. Er ist der Vizechef der BNL und sitzt im 18. Stock in der Wohnung von Frank Wilhelm, dem Vorsitzenden. Der Besucher versteht schnell, was er damit meint: unten der einschüchternde Blick auf den Betonturm, oben der atemberaubende Blick auf die Stadt, bis hin zum Leonberger Autobahndreieck. Die Wohnung hat Rüschenvorhänge, Frank Wilhelm serviert Kekse mit einer verschnörkelten Kuchenschaufel. Hier hat alles seine Ordnung.

Und das gilt auch für die Hochhäuser im Ganzen. Es gibt ein eigenes Sozialleben: eine Kegelgruppe, einen regelmäßigen Spieleabend, Hundesportler treffen sich, die Hausgemeinschaft funktioniert. Anders als viele Hochhäuser der 70er Jahre bleibt die Eigentümerstruktur hochwertig. Auch ausländische Mitbürger werden integriert. „Wir hatten kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein multikulturelles Fest“, erzählt Frank Wilhelm ein wenig stolz. Man sieht: auch das soziale Zusammenleben funktioniert bestens. Wie ein kleines, leicht in die Jahre gekommenes Dorf – die meisten Bewohner sind im oder nähern sich dem Rentenalter.

Warum also eine Bürgerinitiative? Ein großes Problem ist der Verkehr gewesen, als die B 295 noch ohne Umleitungen ungefiltert durch die Stadt ging. „Deswegen hat sich die BNL auch gegründet“, sagt er. Der Engelbergtunnel und die vielen Umgehungen haben das Problem etwas entschärft. Aber für die Bewohner der drei Hochhäuser ist es immer noch zu viel. „Vor allem der viele Verkehr zum Wertstoffhof ist uns ein Dorn im Auge“, erklärt Frank Wilhelm.

Und das ist aus seiner Sicht völlig unnötig – zumal das Müll-Bringsystem im Kreis Böblingen für die Hochhausbewohner weiteren Unbill mit sich bringt. „Ich bin vor 25 Jahren aus Stuttgart hergezogen“, erzählt Wilhelm. Wer ihn besuche oder ebenfalls aus der Landeshauptstadt nach Leonberg ziehe, schlage die Hände über dem Kopf zusammen. „Und der Kreistag segnet das alles ab, niemand will dem Vize-Landrat Wolf Eisenmann widersprechen“, ärgert sich Wilhelm, der bis vor kurzem jede Kreistagssitzung persönlich verfolgt hat. Dabei hat man sich in den drei Hochhäusern redlich bemüht, mit dem System zu leben. Es gibt jeweils einen „Müllraum“, in dem die vielen verschiedenen Verpackungen und Wertstoffe vorsortiert werden. Der Hausmeister bringt dann einmal die Woche alles zum Wertstoffhof. Ein aufwendiges System, das Geld kostet, und vor allem viel Zeit – obwohl es komfortabler ist, als es die meisten Kreisbürger haben. Bei einem Stammtisch der BNL kurz vor der Wahl ist der Ärger hochgekocht. „Wir wollten das Thema eigentlich nur kurz anreißen, doch dann wurde es abendfüllend“, berichtet Karl Marquardt.

So geht es also fast täglich in den Müllraum für die 180 Parteien im Leo I. Dienstag bis Samstag ist er jeweils zwischen 11 und 12 Uhr offen, sonst von 18 bis 19 Uhr, in jedem der drei Häuser jeweils 20 Minuten. Dann heißt es: Schlange stehen mit den Mülltüten und alles abgeben. Ja, die von den Kreispolitikern für den Wertstoffhof erkannte Geselligkeit gibt es hier auch, ein Hauch von sozialistischer Warteschlangen-Romantik. Aber für Wilhelm und Marquardt ist das eigentlich nur nervig und kostet natürlich auch viel Geld. Allerdings unterscheidet sich ihr Konzept auch noch vom Weil der Städter Ralf Boppel, der mit seiner Petition für den Gelben Sack 6000 Online-Unterschriften gesammelt hat.

„Der Gelbe Sack ist auch nicht die Lösung“, sagt Wilhelm, der nebenher in Stuttgart noch ein Zehn-Parteien-Haus verwaltet und das dortige Müllsystem also hautnah erlebt. Zumal das Duale System Deutschland derzeit finanzielle Probleme habe. Sie wollen zurück zum guten alten „Kuttereimer“, in den alles reinkommt außer Papier und Glas. „Es gibt viele Untersuchungen, dass moderne Sortieranlagen das besser trennen und verwerten können“, erklärt Wilhelm. Der Verkehr würde weniger, das irrwitzige System in den Hochhäusern entfiele und mehr Müll würde verwertet – so zumindest die Rechnung. „Umfassendes Holsystem“ nennt die BNL das Konzept. Kostenneutral soll es sein, die Gebühren sollen nur um so viel angehoben werden, was die Bürger an Benzin sparen. Nicht zuletzt gibt es damit maximal drei Mülltonnen pro Haushalt, die Wertstoffhöfe sollen weiterhin Sperrmüll oder Elektroschrott und Gewerbemüll aufnehmen.

Ob das jemals so kommen wird? Frank Wilhelm, 83 Jahre alt, setzt auf die Zukunft. „Die Dienstzeit von Wolf Eisenmann endet bald, und ein neuer Kreistag wird gewählt“, sagt er, und schenkt noch etwas Kaffee aus der verzierten Porzellankanne nach. Er schaut aus dem Fenster, und erklärt: „Vielleicht ändert sich dann ja endlich die Einstellung in der Kreispolitik.“