Die steile Felswand im Osten des Stadtparksees gewährt einzigartige Einblicke in den Untergrund. Deshalb ist sie ein Naturdenkmal. Nun wird sie untersucht.

Leonberg - Die Stadt hat eine Seilbahn! Das ist weder ein Testlauf für die Vision des Oberbürgermeisters Martin Kaufmann von einer Drahtseilbahn, die das Vorankommen in der Stadt erleichtern soll, noch gondeln damit Touristen über den zugefrorenen See im Stadtpark. Die Vorrichtung dient einem ganz profanen Zweck: Damit werden nämlich dicke Reisigbündel aus Hartriegel, Weißdorn und gelegentlich junge Birken- und Ahornstämme in luftiger Höhe über den See befördert.

 

Doch wozu dieser Aufwand? Die steile Felswand im Stadtpark, die parallel zur Berliner Straße verläuft, soll geologisch untersucht werden. Doch das ist leichter gesagt als getan. Die steilen Wände fallen nicht nur bis zu 40 Meter ab. In den fast 40 Jahren, seit der Stadtpark auf dem Gelände des ehemaligen Gipswerkes Eppinger, das 1977 den Betrieb eingestellt hatte, gestaltet wurde, haben sich Bäumchen und auch vielfältiges Gestrüpp angesiedelt. „Das sind sogenannte Pioniere, die jede günstige Gelegenheit nutzen, die sich ihnen bietet“, sagt Holger Pullwitt. Er ist bei der Stadt für mehr als 10 000 Bäume im öffentlichen Bereich zuständig.

Doch nun muss dieser Bewuchs auf großen Teilen der Ostwand weg. Gut gesichert und angeseilt turnen nun seit Tagen zwei Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin der Tübinger Firma „Die Baumläufer“ mit Motorsägen an Hang entlang und kämpfen sich durch das Dickicht. Was sie gefällt haben, kurbelt Firmenchef Christian Kruck in anstrengender Handarbeit aus dem Hang heraus, um es dann über die 120 Meter lange Seilbahn, die sich über einen Teil des Sees spannt, zu einem weiteren Mitarbeiter hinab in den Stadtpark zu lassen. Hier werden die ersten Landungen dann am heutigen Freitag gehäckselt.

„Dieser Auftrag ist schon etwas Besonderes, denn wir bauen nicht jeden Tag eine Seilbahn von einer steilen Wand über einen See“, sagt Christian Kruck. Seine Mitarbeiter sind spezialisierte Industriekletterer und Baumpfleger. „Das kommt uns in diesem Falle beides zugute“, sagt Pullwitt. Er kennt die Truppe unter anderem von aufwendigen Baumpflegearbeiten, die die Stadt gelegentlich an besonders prominenten Bäumen im Stadtbild vornehmen muss.

Der Auslöser für die gegenwärtige Aktion sind kleine Risse im Belag des Fußgängerweges, der von der Stadthalle parallel zur Berliner Straße verläuft. „Die lassen vermuten, dass sich der Hang vielleicht bewegt“, sagt Michael Kübler, der im Planungsamt auch für Naturdenkmale zuständig ist – und die Steilwand ist ein solches. Auswaschungen im Gestein könnten die Ursache sein, deshalb muss der Fußweg auf Stabilität geprüft werden. „Gefahr besteht nicht, es ist lediglich eine Präventivmaßname“, sagt der städtische Pressesprecher Tom Kleinfeld. Doch das letzte Wort haben die Geotechniker des Tübinger Fachbüros Menzel.

Und damit diese freien Zugang zu der Felswand haben, muss als erstes der Bewuchs weg, was gerade über die Bühne geht. „Die Fachleute prüfen dann, wenn die Witterung es zulässt, ob sich Spalten in der Felswand gebildet haben, oder ob Gesteinsablösungen erfolgt sind – letztendlich also, ob Gefahr in Verzug ist und gehandelt werden muss“, sagt der Büroleiter Andreas Menzel. Der Fachmann widerspricht auch der Auffassung, dass der Bewuchs eines Hanges diesen auch dauerhaft sichert. „Solange sich das in Maßen hält, ist das schon hilfreich, doch nimmt er überhand, kann gerade zu starker Bewuchs das Gestein abspalten und lockern“, weiß der Ingenieur.

Tiere und Pflanzen sollen geschützt werden

Mit der Rodung des Steilhanges wird dieser auch wieder zu dem, was ihn schützenwert macht und warum er 1991 definitiv zum Naturdenkmal erklärt wurde. „Durch den immer tiefer in den Untergrund vordringenden Abbau im Gipswerk wird mit der Steilwand ein einzigartiger Blick in die geologische Schichtenfolge vor Ort ermöglicht“, erläutert Manfred Kübler. Er ist auch Mitarbeiter der bei der Stadt angesiedelten Unteren Naturschutzbehörde, die für Naturdenkmale vor Ort zuständig ist.

Da sich eben um ein solches handelt, wurden die Arbeiten im Vorfeld mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises abgestimmt. Die ist nämlich für den Artenschutz, also schützenwerte Tiere und Pflanzen, zuständig. Vor allem musste im Vorfeld geklärt werden, ob sich in dem Bereich nichts befindet, das durch die Rodung des Hanges beeinträchtigt werden könnte. „Es wurde keine Art festgestellt, die in dem Zeitfenster von Anfang Oktober bis Ende Februar, in dem Gebüsche gerodet und Bäume geschnitten werden können, beeinträchtigt werden könnte“, sagt Naturschutzexperte Kübler erleichtert.

Fachlich hinzugezogen zu den Arbeiten wurden auch die örtlichen Umweltschützer von BUND und Nabu. Wobei vor allem mit dem BUND-Vorstandsmitglied, dem Paläontologen und Geologen Max Urlichs, ein besonderer Kenner der Materie zu Rate gezogen wurde. Der Professor leitet nämlich die Abteilung Geologie-Mineralogie-Paläontologie am Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart.

Für die Rodung der Steilwand und die anschließende geologische Untersuchung gibt die Stadt rund 30 000 Euro aus. Je nachdem, wie diese ausgeht, muss gehandelt werden. Oder alles bleibt, wie es ist.