Die lange Nacht der offenen Kirchen in der Stadt mit vielfältiger Kunst hat die Besucher angezogen.

Der Turm der Stadtkirche, der schnörkellose Bau von St. Johannes dem Täufer oder die gedrungene Gestalt der Michaelskirche, die sich harmonisch in die historischen Straßenzüge von Eltingen schmiegt, prägen das Stadtbild. Häufig bleiben die Räume den Vorbeieilenden aber außerhalb der Gottesdienste verschlossen. Nicht so am Samstagabend, als neun Leonberger Kirchen ihre Türen zu einem vielfältigen geistlichen und künstlerischen Programm öffneten. Und wenn man den Erfolg einer solchen Initiative vor dem Hintergrund der immer schwächer besuchten Gottesdienste misst, war sie ein großer Erfolg. Bis in den späten Abend verharrten die Besucher auch in der Pauluskirche, der Blosenbergkirche, in der Versöhnungskirche Ramtel, in der neuapostolischen Kirche sowie im Gartenstadt-Gemeindehaus und der Krankenhauskapelle.,

 

„Wir möchten auch mal was anderes machen“, erläuterte Dekan Wolfgang Vögele die ungewöhnliche Präsentation von Kirchenräumen. Bis 2008 sei der Ökumenische Kirchentag in Leonberg Tradition gewesen. Vor drei Jahren habe man dann die erste Nacht der offenen Kirche angeboten. In diesem Jahr hat die Versöhnungskirche im Ramtel erstmals ein Programm für Jugendliche aufgelegt. Mit frischer Rockmusik hat die Kirchengemeinde das Vorurteil ausgeräumt, Kirche und Glaube bestünden nur aus kalten Holzbänken und altbackenen Chorälen. „Ich war auf drei Stationen und habe Menschen getroffen, die sicher nur aus Neugier gekommen sind“, berichtet der evangelische Dekan. „Aber sicher erreicht man auch den Kern“, ist er sich sicher.

Im schummrig warmen Licht der Stadtkirche spricht die Kulturamtsleiterin Christina Ossowski derweil mit dem Leonberger Bildhauer Matthias Eder über seine im Chorraum ausgestellten Plastiken. „Nur ein Hauch sind die Menschen, so fest sie stehen“, ist der Titel der Präsentation nach Psalm 39. Die fragilen Bronzeplastiken verkörpern diesen starken Satz der Bibel. Die Bronze verleiht den dargestellten Menschen Stabilität. Die außergewöhnliche Textur der erhaltenen Gusshaut auf den Arbeiten zeigt die Verletzlichkeit und Sensibilität der Grenze zwischen dem Innen und Außen des Menschen. „Es ist sehr spannend, das anzunehmen, was der Kirchenraum mir anbietet. Es passt zu dieser nächtlichen Stimmung“, beschreibt Eder die zurückhaltende Inszenierung seiner Skulpturen ohne Beleuchtung. Die Besucher müssten sich bemühen, die Skulpturen zu entdecken. Die Kraft der Psalmen, die die existenziellen Fragen des Menschen tief berühren, ist der Schwerpunkt in den historischen Gemäuern der Stadtkirchen.

Ein Kontrast dazu ist die Performance der katholi-schen Kirchengemeinde St. Johannes. Die künstlerische Gestaltung der umfangreichen Renovierungsarbeiten, die 2004 begannen, trägt ebenfalls die Handschrift von Matthias Eder. Der weite Kirchenraum und wenige klare Linien bieten den Rahmen für die außergewöhnliche Gemeinschaftsausstellung zum Thema „Was ist der Mensch“ mit sieben Künstlern. Birgit Feil, Ferro Freymark, Andreas Geisselhardt, Walter Hörnstein, Micheal Lange, Daniel Seiler und Christina Schwarz haben das Thema in Bildern, Skulpturen und Installationen sehr persönlich interpretiert. Die Erläuterungen der künstlerischen Intention von Ferro Freymark und Andreas Geisselhardt wurden musikalisch vom St. Johannes-Chor eingerahmt. Dieser trug in der Uraufführung die Interpretation von Psalm 8 mit Vokalimprovisationen und ungewöhnlich modernen Kompositionen unter Leitung von Tobias Hermanutz zusammen mit dem Ensemble für neue Musik vor. Der Chorraum erstrahlte in tiefem Azurblau, während die Sänger die Besucher in ein gewaltiges Stimmengeflecht aus vokalen Wortfetzen aus Psalm 8 hüllten.

„Das Geheimnis der Versöhnung ist die Erinnerung“, lautete die Botschaft von Ferro Freymark, der sich vertreten ließ, an die Besucher. Mit seiner Bild-„Topographie des Terrors Lageplan Lager Auschwitz“ bot der Künstler dem Publikum schwere Kost. Seit seinem ersten Besuch im Konzentrationslager Dachau im Jahr 1966 beschäftigt sich Freymark mit dem unvorstellbaren Grauen des Dritten Reiches und hat den in den Himmel aufsteigenden Seelen in seiner Zeichnung des Schreckensortes ein Gesicht gegeben. Die moderne Kommunikation im Internet war es, die den Menschen aus Sicht von Andreas Geisselhardt ausmacht. In seiner Installation eines Bühnenbildes hat der Künstler einen sogenannten Quick Response Code für Smartphones in einem Ölbild integriert, mit dem die Besucher in die unendliche Weite des Internets abtauchen konnten. Dabei überließ der Künstler die Interpretation seines Werkes den Besuchern. Der Höfinger Holzbildhauer Walter Hörnstein setzte mit einer Figurengruppe den Tanz ums Goldene Kalb in Szene. Der Leonberger Bild-hauer Daniel Sailer widmet sein Wandrelief mit dem Titel „für Jerg Ratgeb“ dem gleichnamigen Maler des Herrenberger Altars und verarbeitet dessen zentrales Motiv mit eigenen Gedanken in einem Steinrelief.

Kontrastreich zur Moderne war das Programm in der Eltinger Michaelskirche. Die spätgotische Dorfkirche bot den Rahmen für bekannte Klänge von Orgel und Trompete. Lilly Back an der Orgel und Rudi Scheck mit der Trompete begleiteten mit Sphärenklängen die Bildmeditation von Pfarrerin Claudia Trauthig zu Kunstobjekten der Leonberger Steinbildhauer Andreas und Katja Geisselhardt. „Uns war wichtig, hier keine Solonummer zu schieben, sondern die Kirche als meditativen Raum zu erfahren“, resümierte Andreas Geisselhardt nach seiner abendlichen Tour durch die Kirchen und zeigte sich überrascht, dass so viele Menschen gekommen waren. Den Abschluss in der St. Michaelkirche machte noch zu später Stunde die Musikerin Andrea Lukacs mit dem E-Klavier und Gesang, während die Eltinger Kirchengemeinderätin Andrea Kauderer Gedanken zur Nacht formulierte.

„Von einem Superkonzept“ sprach Ute Mevec, die aus Rechberghausen gekommen war und mit ihrem Bruder bereits seit dem frühen Abend die verschie-enen Leonberger Kirchen aufgesucht hatte und bis zum Schluss in Eltingen verweilte.