Der ehemalige Amtsgerichtsdirektor Gerhard Binder ist auch nach seiner Pensionierung auf vielen Feldern aktiv. Unter anderem arbeitet er mit Flüchtlingen zusammen.

Leonberg - Gerhard Binder entspricht so gar nicht dem Bild eines Ruhestandsbeamten, das in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrscht. Dabei hätte er nach fast vier Jahrzehnten in der Justiz des Landes jedes Recht, es nunmehr ruhig angehen zu lassen. Immerhin hat er vier Enkel zwischen drei und sechs Jahren, um die er sich zusammen mit seiner Frau mehrere Tage in der Woche kümmert. Doch der 66-Jährige tickt anders: „Ich wollte mit meiner Pensionierung nicht aufhören, den Kopf weiter zu trainieren“, sagt er.

 

Zwei Tage pro Woche arbeitet er als selbstständiger Mitarbeiter bei zwei freien Notaren in Ditzingen, wo er überwiegend Eheverträge, Testamente, Scheidungsfolgenvereinbarungen und Adoptionsanträge aufsetzt. „Als Richter war ich immer reaktiv tätig. Jetzt genieße ich es, auch einmal gestaltend und kreativ arbeiten zu können“, erklärt Gerhard Binder.

Welche Rechte, welche Pflichten?

Darüber hinaus gibt er Flüchtlingen Rechtskunde-Unterricht, der von der Justiz in Absprache mit den örtlichen Volkshochschulen organisiert wird. Seine Erfahrungen sind durchweg positiv: „Wir haben kulturelle rechtliche Gespräche geführt, bei denen es hauptsächlich um die deutschen Grundrechte und die Demokratie geht“, erzählt Binder. Außer ihm sind in der Regel auch eine Richterin, ein Vertreter der Volkshochschule und Dolmetscher dabei. Die Unterhaltung wird auf Deutsch geführt, teilweise auch auf Englisch. „Wenn Missverständnisse drohen, übersetzen die Dolmetscher“, erklärt Binder.

Teilweise seien die Gruppen sehr gemischt, er habe meist Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Nordafrika. „Manche Flüchtlinge sind erst seit einem halben Jahr in Deutschland, aber ein paar Syrer, mit denen ich zu tun hatte, haben hohe Begabungen“, zollt der ehemalige Richter Respekt. Er räumt aber auch ein, dass sich manche Flüchtlinge beispielsweise beim Thema Gleichberechtigung sehr schwer tun. Dafür hat er Verständnis: „Wir verlangen von den Flüchtlingen, dass sie innerhalb von Monaten verstehen, wofür wir Jahrzehnte gebraucht haben“, sagt Binder. Es gibt aber auch sehr positive Erfahrungen. „In Gerlingen waren überdurchschnittlich viele Frauen dabei, die haben durch das Thema Gleichberechtigung viel Selbstvertrauen gewonnen und sich anschließend heftige Dialoge mit ihren Partnern geliefert“, kann Binder berichten.

„Richter mit Herz für die soziale Arbeit“

Soziales Engagement hat Gerhard Binder auch in seinen fast 40 Berufsjahren in hohem Maß an den Tag gelegt. Als „Richter mit Herz für die soziale Arbeit“ wurde er einmal in der Zeitung beschrieben. Er selbst würde seinen Schwerpunkt anders definieren: „Mir lag immer der Schutz von Kindern am Herzen, die in Gefahr sind“, erklärt der langjährige Familienrichter. Dabei geht es ihm gar nicht um so spektakuläre Fälle wie den Staufen-Prozess, die nach seiner Ansicht sogar das Bild in der Öffentlichkeit verzerren. „Sexuelle Gewalt macht nur zwei Prozent der gesamten Gewalt gegen Kinder aus“, weiß er. Neben der physischen und psychischen Gewalt gehe es vielmehr um Fälle, in denen die Hygiene der Kinder oder der Wohnumgebung fehlen oder diese nicht die notwendige Förderung erhalten, um sich zu entwickeln.

Daher war für ihn als Richter der Kontakt zu Polizei und Jugendamt immer sehr wichtig. Zudem hat er einen runden Tisch ins Leben gerufen, an dem Richter, Anwälte und alle anderen an Familiensachen Beteiligten die Strukturen ihrer Zusammenarbeit optimiert haben. Dass Familienrichter inzwischen verbindliche Termine bei der psychologischen Beratungsstelle des Landratsamtes haben, geht ebenfalls auf Binders Initiative zurück. Zusammen mit Vertretern aus der pädagogischen und medizinischen Fakultät hat er darüber hinaus an der Fachhochschule für Sozialwesen in Esslingen die Ausbildung zum Verfahrenspfleger ins Leben gerufen. „Der Verfahrenspfleger ist der Vertreter des Kindes in Familiengerichtsverfahren“, erklärt Gerhard Binder.

Spannende Technik

Weil er zeit seines Lebens neugierig auf Neues war, hat der Jurist sechs Jahre lang in einer IT-Abteilung der Justiz an der Entwicklung von Software im Familien-, Vollstreckungs- und Insolvenzrecht mitgearbeitet. „Ich bin alles andere als ein IT-Freak, aber die Justiz muss sich den neuzeitlichen Entwicklungen stellen. Dafür braucht es Leute aus der Praxis“, erklärt er. Seine Aufgabe bestand darin, das Anforderungsprofil für die Software zu definieren. „Dann haben IT-Experten der Firma Siemens diese programmiert, und ich habe sie in der Praxis getestet“, beschreibt Binder seine Arbeit. Es sei sehr interessant für ihn gewesen, sich mit der Denkweise und Sprache von Programmierern auseinanderzusetzen.

Als Gerhard Binder im vergangenen Jahr verabschiedet worden ist, war von allen Seiten nur Lob zu hören. Neben seinem sozialen Engagement wurden vor allem sein kollegialer Führungsstil und sein stets offenes Ohr für seine Mitarbeiter gelobt. „Ich habe fast 40 Jahre lang in einem Konfliktberuf gearbeitet, da lernt man, wie man mit Menschen umgehen muss“, sagt Binder über seinen kollegialen Führungsstil. Er gehört mit seinem Engagement neben und nun nach dem Berufsleben zu den Menschen, die eine Gesellschaft unendlich reicher machen.