Die einen sind geimpft, die anderen warten auf einen Termin, weil der Impfstoff knapp ist. Derweil kündigt die Politik Erleichterungen für Geimpfte an. Und der Leonberger Hausarzt Rainer Merk warnt.

Ditzingen/Leonberg - Der Himmel ist blau, die Sonne scheint und Berlin beschließt Lockerungen für Geimpfte. So sehr das wohl die meisten Menschen nach langen Monaten der Pandemie aufatmen lässt, so sehr bereitet das Rainer Merk Sorgen. „Man muss wachbleiben, dranbleiben, kontrollieren“, fordert er.

 

Der Allgemeinmediziner, langjährige Vorsitzende des Leonberger DRK-Ortsverbands und Notarzt wäre vermutlich der Letzte, der den Menschen nicht ein unbeschwertes Leben gönnen würde. Aber der Mediziner verweist auf das Geschehen in Seniorenheimen in Nordrhein-Westfalen und Nürnberg.

In einer Einrichtung in Remscheid etwa waren zwölf der 60 vollständig geimpften Bewohner positiv getestet. Der Krankheitsverlauf war zwar milde. Aber was ein unbeschwertes Verhalten der Geimpften für jene bedeute, die nicht geimpft sind, mag sich der Arzt kaum vorstellen. Denn die Geimpften würden auf diese Weise zu Superspreadern, sie könnten viele anstecken.

Der Bedarf ist groß, das Angebot klein

Eine Impfung bietet nach bisherigen Erkenntnissen größtmöglichen Schutz für alle. Doch die Nachfrage ist bisweilen höher als das Angebot. Der Heimerdinger Hausarzt Horst Ludewig etwa hat zuletzt deutlich weniger Impfstoff über die Apotheke erhalten als gewünscht. „Wir haben 36 Impfdosen bestellt und 24 bekommen.“ Er bestellte Biontech. Astrazeneca hat er noch vorrätig.

Angesichts der Impfstoffknappheit muss auch er priorisieren. Die mindestens 80-Jährigen, Krebspatienten und pflegende Angehörige sind geimpft. Inzwischen seien die 70-Jährigen dran, so Ludewig. Für sie alle sei die Zweitdosis in wenigen Wochen zwar sichergestellt, berichtet Ludewig von den Gesprächen in der örtlichen Apotheke. „Aber für die erste Impfung bekomme ich dann weniger.“

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Die Kooperation mit der Apotheke funktioniere sehr gut, aber sie könne auch nur weitergeben, was ihr vom Großhandel geliefert werde. „Die Verteilung vom Bund her ist insuffizient und widerspricht dem, was von der Politik versprochen wird“, berichtet der Arzt. Er macht für die Liberalen im Kreistag und im Gemeinderat Politik. Er sagt: „Bei uns kommt nichts an.“

Ludewig impft nach eigenem Bekunden selbstverständlich jede Dosis, die er bekommen kann. Inzwischen bietet der Arzt mittwochs keine Sprechstunde mehr an, er impft stattdessen. „Die Impfbereitschaft ist riesengroß“, sagt Ludewig. Diese Erfahrung macht dieser Tage auch sein Kollege Rainer Merk. Er spricht inzwischen von einem Zeitproblem, das sich in der Praxis stelle. Ganz abgesehen von dem organisatorischen Mehraufwand, der irgendwie geleistet werden will. Das Telefon stünde nicht mehr still. „Wer ein Notfall ist, hat ein großes Problem“, sagt Merk. In der Warteschleife wird dem Anrufer deshalb geraten, in diesem Fall gleich den Notruf zu wählen.

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Ende vergangener Woche impfte Merk an einem Tag 48 Personen. „Damit macht man einem eine Freude“, sagt Merk. Aber wenn er statt 96 bestellten Impfdosen nur 80 bekomme und deshalb 16 Personen absagen müsse, sei das für den Mediziner eben nicht nur ein bürokratischer Aufwand. Er muss erklären und kann nicht in dem Maße helfen, wie er es für notwendig erachtet. „Das macht alles echt keinen Spaß“, bricht es aus dem erfahrenen Mediziner heraus.

Umso schwieriger sei diese Situation, weil ohnehin „jetzt ganz vorne dran sind, die sich impfen lassen wollen“. Die Impfbereitschaft werde nachlassen, ist Merk überzeugt. „Das wird kommen.“ Umso wichtiger sei es deshalb, am Thema dranzubleiben. Von den laut werdenden Überlegungen, die Kreisimpfzentren zu schließen, hält er deshalb gar nichts.

Ludwigsburger Impfzentrum bleibt offen

Das Ludwigsburger Kreisimpfzentrum etwa sollte ursprünglich Ende Juni schließen. Der Landrat Dietmar Allgaier (CDU) kündigte jedoch bereits vor wenigen Wochen an, das Impfzentrum mindestens bis September weiterzubetreiben. Er begründete das mit der Verzögerung der Impfstofflieferungen und dem zwischenzeitlichen Astrazeneca-Stopp. Vorvergangene Woche waren es 1400 Impfungen täglich, vergangene Woche waren nur 800 täglich möglich. Das, so Allgaier, „müssen wir aufholen, das können wir nicht alleine den Hausärzten aufbürden“. Das Land finanziert die Impfzentren, der Landkreis betreibt es.

Da der vorhandene Impfstoff laut dem Ludwigsburger Landratsamt an alle Impfzentren im Land gleich verteilt werde und nicht entsprechend der Einwohnerzahl des jeweiligen Kreises, gibt es keinen weiteren Impfstoff und der Kreis kann keine freien Termine in die Terminvergabe einstellen, so Fritz. Wer über die Internetseite einen Termin suche, sehe daher seit Tagen für Ludwigsburg nur den Satz: „Keine freien Termine gefunden“.

Deutliche Worte der Kassenärztlichen Vereinigung

Vor diesem Hintergrund wandte sich Andy Dorroch, der organisatorische Leiter des Ludwigsburger Kreisimpfzentrums, vor einigen Tagen gemeinsam mit Landrat Dietmar Allgaier an den Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). Sie fordern eine gerechtere Impfstoffverteilung. Die Task-Force im Sozialministerium sagte daraufhin Unterstützung zu, um zumindest die Absage bereits bestehender Impftermine zu verhindern.

Laut Dorroch bekomme der Kreis Ludwigsburg mit 540 000 Einwohnern derzeit ebenso viel Impfstoff wie kleinere Kreise. Stuttgart indes bekäme mit 634 000 Einwohnern für ihre beiden zentralen Impfzentren mehr als viermal so viel.

Unterstützung bekommt Kreisbrandmeister Dorroch von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. „Wir hangeln uns aktuell von Woche zu Woche. Es ist in der Summe einfach zu wenig Impfstoff da, auch wenn die Ärzte mehr Astrazeneca bestellen könnten“, sagt deren Sprecher Kai Sonntag.