Der Klinikverbund meldet die Vollbelegung einer Corona-Intensivstation – und einen Personalnotstand. Jetzt werden Notfallpläne erarbeitet.

Kreis Böblingen - Der Landkreis Böblingen schaltet wieder in den Krisenmodus: Nach Monaten der Pause lud Landrat Roland Bernhard am Freitag wieder zur Pressekonferenz über die aktuelle Coronalage. Und die gibt allen Grund zur Sorge. Die Beschreibungen reichen von „dramatisch“ bis „verheerend“. Die Sieben-Tage-Inzidenz im Kreis ist am Freitag auf ein neues Allzeit-Hoch gestiegen und lag bei 347,4. Das Gesundheitsamt bekomme zwischen 500 und 600 Meldungen über Corona-Positive – pro Tag.

 

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Landesweit liege der Kreis Böblingen damit im Mittelfeld. Doch vor allem Schulkinder treffe die vierte Welle nun mit ungebremster Wucht, warnt Gesundheitsamtsleiterin Anna Leher. An den Grundschulen liege die Inzidenz sogar bei 500. „Die vierte Welle zehrt an uns, die Nerven liegen blank“, sagt der Landrat, der Corona jetzt wieder zur Chefsache gemacht hat.

Die vierte Welle schwappt längst auch in die Krankenhäuser, was vor allem die Klinik in Böblingen spürt: Dort arbeitet die Corona-Isolationsstation am Anschlag.

Alle 14 Corona-Intensivbetten sind voll

„Seit Freitag sind alle 14 Corona-Intensivbetten belegt“, sagt der Klinikverbund-Geschäftsführer Martin Loydl. Elf Patienten müssten beatmet werden. Wenig überraschend: Von den derzeit 14 Intensivpatienten seien zehn nicht gegen das Virus geimpft, sagt Loydl.

Für alle, die an der Beatmungsmaschine hängen, hat der Klinik-Chef allerdings nur eine sehr durchwachsene Prognose: „Die Sterblichkeit bei den Beatmungspatienten liegt circa bei 50 Prozent.“ Und wer es überlebt, habe mit großer Wahrscheinlichkeit danach mit den Langzeitfolgen der Krankheit zu kämpfen.

Klinik-Chef ruft zur Impfung auf

Über die mangelnde Impfbereitschaft bei manchen in der Bevölkerung kann der Klinik-Chef nur den Kopf schütteln. „Die Ungeimpften sterben wegen Corona, die Geimpften nur mit Corona“, bringt er die Dramatik auf eine einfache Formel. Sprich: Die Todesursache bei Corona-Geimpften sei häufig eine andere, da die Patienten hohen Alters seien oder andere Vorerkrankungen haben.

Er richtete daher noch einmal einen klaren Appell an alle Skeptiker: „Mit einer Impfung schützen sie nicht nur sich selbst, sondern die ganze Gesellschaft und vor allem die Krankenhäuser. Auf die hat auch jeder Anspruch, der nicht an Corona erkrankt ist.“

Vier Mal so viele Krankmeldungen wie im Oktober

Durch die vierte Welle spitzt sich die Lage in den Kliniken auch deshalb so zu, weil ein dramatischer Notstand an Personal herrscht. „Wir haben in diesem November einen vier Mal höheren Krankenstand als noch im Oktober.“ Und das dringend benötigte Intensivpersonal lasse sich nicht so einfach aus anderen Abteilungen rekrutieren, da eine spezielle Ausbildung nötig sei. Für den Fall, dass sich die Lage weiter verschlimmert, trifft der Klinikverbund jetzt erste Vorkehrungen.

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Loydl: „Wir haben allen Standorten den Auftrag gegeben, Vorbereitungen für sogenannte Triage-Teams zu treffen. Wir wollen dort nicht hin, müssen aber vorbereitet sein.“ Unter Triage verstehen Mediziner die Priorisierung medizinischer Hilfe bei einem Massenanfall von Patienten, der aufgrund knapper Ressourcen nicht bewältigt werden kann. Denn auch die Verlegung von Intensivpatienten im Falle des Überlaufs ist derzeit nicht ohne weiteres möglich, sagt Loydl.

Nachbarkreise haben ebenfalls keine freien Kapazitäten auf Intensiv

Der Kreis Böblingen ist in ein Cluster eingeteilt mit Ludwigsburg und Karlsruhe: Diese Kreise sollen sich aushelfen, wenn die Stationen volllaufen. Doch die anderen Kreise könnten ad hoc niemanden aus dem Kreis Böblingen aufnehmen, da sie selbst zum Teil sogar noch stärker belastet seien.

„Das kann soweit gehen, dass wir auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen sind“, sagt der Klinik-Chef. Konnte Baden-Württemberg in der ersten Welle noch Patienten aus Frankreich aufnehmen, könnte sich die Lage jetzt umkehren. Doch auch hier sind Grenzen gesetzt: „Einen Beatmungspatient kann man nur schlecht mehrere hundert Kilometer nach Norddeutschland fahren“, sagt der Landrat.

Kinderklinik wegen RSV-Infektionen übervoll

Derzeit arbeitet auch die Böblinger Kinderklinik mit ihren 60 Betten an ihrer Belastungsgrenze, sei übervoll belegt. Dort lägen viele Kinder mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus, besser bekannt als RSV. Dies sei eine Erkrankung der oberen Atemwege und vor allem für Kinder mit chronischer Bronchitis oder Asthma gefährlich.

Der Grund: „Durch die langen Phasen des Lockdowns im vergangenen Winter fand bei vielen Kindern eine zu geringe Immunisierung statt“, sagt Martin Loydl. Einziger Lichtblick: Corona-Patienten im Kindesalter gebe es derzeit nur wenige – deren Zahl liege bei ein bis zwei pro Woche.