An der testweise eingeführten Umweltspur in Leonberg scheiden sich die Geister. Es gibt gute Argumente auf beiden Seiten. Entscheidend ist, dass die Stadt zusammenwächst, kommentiert LKZ-Redaktionsleiter Thomas K. Slotwinski.

Das befürchtete Chaos ist ausgeblieben. Vorerst, sagen die einen. Welches Chaos, fragen die anderen. An den Veränderungen in der Leonberger Innenstadt, die sich hinter dem recht sperrigen Begriff Verkehrsversuch verbergen, scheiden sich die Geister – je nach Sichtweise.

 

Aus der Brille eines autoaffinen Publikums gesehen ist der Fall klar: Insbesondere die Hauptachse Eltinger Straße war schon früher völlig überlastet. Jetzt, da zwischen der ehemaligen Hauptpost und der Römergalerie den Autos jeweils eine Spur pro Richtung weggenommen wird, geht gar nichts mehr. Spätestens nach dem Ende der Pfingstferien werden sich in den Stoßzeiten die Blechlawinen von der Sonnenkreuzung bis zum Neuköllner Platz erstrecken.

Für Taxis ist die Spur tabu

Anhänger einer innovativen Mobilität, wie der Rückbau von Straßen gerne genannt wird, verbinden freilich andere Erwartungen mit den für Autos gesperrten Spuren. Endlich freie Fahrt für Radler – ohne die permanente Angst mit einem Auto zu kollidieren.

Freunde des öffentlichen Nahverkehrs werden ebenfalls bedient. Denn Busse sind auf den sogenannten Umweltspuren ebenfalls zugelassen. Taxis hingegen nicht, obwohl diese ja auch einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Minderung des Individualverkehrs leisten. Aber es sind eben Autos, könnte man spöttisch hinzufügen.

Anreiz zum Umstieg

Die Argumente der jeweiligen Brillenträger sind nachvollziehbar. Es steht tatsächlich zu befürchten, so die Sichtweise der Skeptiker, dass es bei zunehmenden Verkehrsaufkommen sehr eng wird. Und ein permanentes Anhalten und wieder Anfahren ist alles andere als klimafreundlich.

Setzt man die Sehhilfe der Radfreunde auf, ist es natürlich begrüßenswert, dass mehr Platz für umweltfreundliche Verkehrsmittel geschaffen und viele Gefahrenstellen entschärft werden. Der Anreiz zum Umstieg kann so erhöht werden.

Mehr Bucht als Spur

Doch ist der Anreiz beim jetzigen Modell wirklich so groß? Die Umweltspuren bestehen sowohl in der Eltinger Straße wie auch in der Brennerstraße, die ebenfalls zum Versuchsgebiet gehört, vor allem aus Buchten, die vergleichsweise schnell wieder enden. Das liegt weniger am Willen der Leonberger Planer als vielmehr an den Gegebenheiten. Die beiden Verkehrsachsen wurden seinerzeit gebaut, um Autos schnell durch die Stadt zu bringen, und um Geschäfte und Betriebe beliefern zu können.

Letztere sind immer noch da, besonders in der Brennerstraße. Die gelben Trennlinien müssen also regelmäßig unterbrochen werden. Wirklich attraktive Radwege sehen anders aus.

Kein kompaktes Zentrum

Es kommt noch ein weiteres – gravierenderes – Problem dazu: Leonberg hat kein kompaktes Zentrum, die Innenstadt ist verschachtelt, die Eltinger Straße eine Art kleine Stadtautobahn, die die einzelnen Pole verbindet. Einen angenehmen Gehweg zwischen Marktplatz und Leo-Center gibt es nicht. Und deshalb ist auch ein wirklich attraktiver Radweg kaum zu realisieren.

Erst wenn der städtebauliche Prozess des Zusammenwachsens merkliche Formen annimmt, ist hier mit echten Verbesserungen zu rechnen. Elementarer Bestandteil hierfür ist das Postareal als urbanes Bindeglied. Doch nachdem das neue Quartier im Gemeinderat endlich beschlossen wurde, ist nun gar nichts mehr davon zu hören.

Postareal als Bindeglied

So bleibt die Erkenntnis, dass die von Oberbürgermeister Martin Georg Cohn zurecht vorangetriebene Vision einer „Stadt für morgen“ ganz viele Einzelteile braucht, um zu einem großen Ganzen zu wachsen. Der Verkehrsversuch ist freilich eins davon.