Xavier Dolan reüssiert in dem Abnabelungsdrama "I killed my mother" als Autor, Regisseur und Darsteller.

Stuttgart - "Ich bin nicht ihr Sohn!", sagt der siebzehnjährige Hubert, der mit der Videokamera eine Art Tage- und Klagebuch führt. Er hasst seine alleinerziehende Mutter (Anne Dorval), hasst ihren Kleinbürgerkitsch – diese Dekoschmetterlinge in der Küche! –, hasst ihre zu "jungen" und als vulgär empfundenen Kleider, hasst auch, dass ihr beim Essen – der Film übernimmt seinen angewiderten Blick in Detailaufnahme! – ein bisschen Streichkäse im Mundwinkel hängen bleibt.

Und es geht so weiter, alles, was sie macht, regt ihn auf, unablässig kritisiert er sie, wie sie sich schminkt, wie sie Auto fährt, wenn sie ihn zur Schule bringt, steigert sich immer weiter hinein in seine Tiraden, wirft ihr vor, dass sie vergesslich sei, ja, dass sie Alzheimer habe. Ein ganzes Arsenal verletzender Worte schießt Hubert auf seine Mutter ab, auf ihr Da- und Sosein, bis sie zurückbrüllt: "Ich bin nicht deine Angestellte!"

Der Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Xavier Dolan war neunzehn Jahre alt, als er diesen autobiografisch inspirierten Film inszeniert und auch noch selber sein Alter Ego Hubert gespielt hat. Ist dies also die Adoleszenzgeschichte eines Wunderkinds, das sich mit jugendlichem Ungestüm und überheblicher Attitüde an der Mutter rächt, der er intellektuell über den Kopf gewachsen ist?

Zwischen Sohn und Mutter tut sich eine große Kluft auf


Nun, ein Wunderkind ist der Frankokanadier Xavier Dolan sicher, und dies schon deshalb, weil er es in "I killed my Mother" schafft, nicht nur einen frühreifen und sich unverstanden fühlenden Jugendlichen darzustellen, sondern auch als Regisseur schon erwachsen genug ist, die Mutter eben nicht als wohlfeiles Feindbild zu inszenieren. Xavier Dolan bleibt als Autor und Regisseur immer in einer gewissen Distanz zu seinen beiden Protagonisten, sein Film wird also nicht zum wütenden Pamphlet eines selbstgerechten Kerls, der sich selber so sehr ein Problem ist, dass er die Probleme der Mutter gar nicht wahrnimmt.

Dolan beobachtet vielmehr Huberts Wut, um sie zu analysieren. Und er deutet dann an, dass diese Wut in Wirklichkeit wohl Huberts Erkenntnis gilt, dass er sich von seiner Mutter immer weiter entfernt hat. Es ist ja mehr als bloß pubertärer Trotz, mehr als die übliche Gefühlsverwirrung, mehr als die "normale" Abnabelung: Zwischen Hubert und seiner Mutter tut sich eine kaum mehr zu überbrückende Kluft auf.

Denn seine Intellektualität und seine künstlerischen Neigungen finden in dieser Mutter, die TV-Soap-Serien schaut und am Computer Karten spielt, keinen Widerhall. Die beiden können noch über vieles streiten, aber über nichts mehr reden.