Der einstige Regiewunderknabe Xavier Dolan ist erwachsen geworden. In seinem neuem Film „Einfach das Ende der Welt“ bringt der Kanadier meisterlich vertraute Themen zusammen: Familienkonflikte, Außenseitertum, Todesnähe.

Stuttgart - Als Louis seinem Elternhaus vor Jahren den Rücken kehrte, hatte er dafür gute Gründe. Die Frage stellt sich aber nun, bei seiner Heimkehr nämlich, ob sich mittlerweile etwas geändert hat, ob endlich jenes gegenseitige Verständnis da ist, das beide Seiten damals vermissten. Aber Louis kommt nicht etwa nach Hause, weil er seine Familie an seinem Leben als schwuler und erfolgreicher Bühnenautor teilhaben lassen möchte. Er ist krank und wird bald sterben. Die Stippvisite ist also lediglich ein Gastspiel auf Nimmerwiedersehen.

 

Der Plot von Xavier Dolans „Einfach das Ende der Welt“ klingt zwar nach bleischwerer Kost, die ein der Tränenreize kundiger Filmemacher einem besinnlich gestimmten Publikum auftischt. „Bitte schön, einmal Trauerkloß mit extra Soße!“ Doch vom kanadischen Wunderkind Dolan, das mit gerade einmal zwanzig Jahren seinen ersten Spielfilm drehte, darf man sorglos etwas anderes erwarten.

Mütter und Söhne

„Einfach das Ende der Welt“ ist zwar die Adaption eines Theaterstücks von Jean-Luc Lagarce, das so ähnlich wie Tracy Letts „Eine Familie“ weniger skrupulöse Regisseure zur Inszenierung diverser Heul- und Schreiexzesse verleiten könnte. Aber auf die Wirkung solcher grellen Reize setzt Dolan nie, obwohl auch seine Figuren ausführlich weinen und streiten. In Werken wie „Ich habe meine Mutter getötet“ (2009) oder „Mommy“(2014) hat Dolan das liebevoll-schwierige Verhältnis von Müttern und Söhnen nachgezeichnet, in „Sag nicht, wer du bist!“ (2013) setzte er sich mit den sozialen Gefahren, Vorurteilen und Ängsten auseinander, mit denen Homosexuelle bis heute noch immer zu kämpfen haben. In „Einfach das Ende der Welt“ bündelt Dolan all diese Motive, ohne dass es künstlich wirkt.

Man sieht dem von Gaspard Ulliel gespielten Louis an, das etwas nicht stimmt. Aber vor der Familie will er nicht heraus mit der Sprache. Louis’ Familie, die exaltierte Mutter (Nathalie Baye) also, die kleine Schwester Suzanne (Léa Seydoux) und den älteren, extrem launischen Bruder Antoine (Vincent Cassel), verstört das seltsame Verhalten des Heimkehrers. „Gut siehst du aus“, lügt die Mutter und lächelt schief.

Kränkungen und Geheimnisse

Ständig tarieren die Figuren ihr Verhältnis zueinander aus, kommen einander zu nahe und stoßen einander ab. Die Gespräche sind vergiftet von unterschwelligen Animositäten, Kränkungen und Geheimnissen, die Dolan nur ansatzweise preisgibt. Der Film beeindruckt durch seine Empathie, die vor allem in den Rückblenden in Louis’ Kindheit und Jugend aufscheint. Im alten Kinderzimmer träumt sich Louis zurück zu den schönen Momenten mit dem Bruder, zurück in die Zeit mit dem ersten Freund. Wehmütig und verzweifelt registriert die Familie, dass Louis ihnen schon längst entglitten ist. So niederschmetternd das Wissen um Louis’ Sterben auch sein mag, für ihn ist es letztlich okay.

Sehen Sie hier den Trailer zu „Einfach das Ende der Welt“: