Bürgermeister Wolfgang Faißt und Mitarbeiter seiner Stadtverwaltung diskutieren mit Eltern die Situation der Kinderbetreuung.

Renningen - Sie wolle zweimal in der Woche auch nachmittags arbeiten gehen. Für ihren Sohn brauche sie daher an zwei Tagen einen Ganztagsbetreuungsplatz. Geht nicht, hat die Stadtverwaltung bislang argumentiert – aus pädagogischen Gründen. Kinder bräuchten geregelte, regelmäßige und ritualisierte Tagesabläufe.

 

Wieder und wieder sagt Renningens Bürgermeister Wolfgang Faißt (Freie Wähler) das. Am Ende hält es die Frau in der letzten Reihe nicht mehr auf ihrem Stuhl aus. „Wenn ich mein Kind nicht fünf Tage in Fremdbetreuung gebe, sondern nur an zwei, dann ist das doch auch Pädagogik!“, ruft sie durch die Malmsheimer Schulturnhalle.

Wenn der Spruch nicht so abgedroschen wäre, könnte man sagen: Politik trifft auf Wirklichkeit ist das, was an diesem schwül-heißen Dienstagabend hier in der stickigen Halle passiert: die Infoveranstaltung der Stadt für Eltern zum Thema Kinderbetreuung. „Wir pflegen schon immer einen offenen Kontakt zu den Bürgern“, sagt Faißt zu Beginn, und gleich im fünften Satz seiner Begrüßung: „Wir hatten schon immer gute Konzepte zur Kinderbetreuung.“

Das sagt er nicht ohne Grund. Erst im April hatten Eltern während einer Gemeinderatssitzung der Stadtverwaltung mangelnde Konzeptionierung und Planungen vorgeworfen. Es gebe zu wenig Plätze und zu wenig Personal. Einer der Anlässe damals war, dass die Stadt eben aus Personalmangel ihre Einrichtungen stundenweise schließen musste. Eine der Forderungen war auch mehr Transparenz und Informationen.

Der Bürgermeister hatte sich damals zunächst skeptisch geäußert. Es gebe 750 Kita-Kinder in der Stadt. So eine große Halle habe man gar nicht, als dass man alle Eltern zu einer Infoveranstaltung einladen könne. Faißt hatte aber eingelenkt. Zu der Infoveranstaltung am Dienstag kommen dann auch keine 750, sondern knapp 60 Menschen, darunter aber auch einige Gemeinderäte und Erzieherinnen.

Anlass ist eben jene Konzeptionierung, die sich im Verwaltungsdeutsch „Kindergartenbedarfsplanung 2019“ nennt, und die die Stadtverwaltung vorstellen will. Dass man aber auf Vorwürfe reagiert hat, zeigt sich am bloßen Umfang dieses Papiers. Noch vor drei Jahren, als sich der Gemeinderat auch schon mit der Bedarfsplanung befasst hatte, umfasste das Papier der damaligen Abteilungsleiterin Familie und Soziales insgesamt sechs Seiten mit einigen Tabellen. Das, was ihr Nachfolger Daniel Dreßen in diesem Jahr ausgearbeitet hat, gleicht einer mittelgroßen, wissenschaftlichen Arbeit mit 36 Seiten.

In den Fragen der Eltern zeigen sich dann aber die Probleme und Diskrepanzen, die sich aus dem Spagat zwischen einer Verwaltung mit langen Planungsvorläufen und den Notwendigkeiten und Spontanitäten einer modernen, fluiden Arbeitswelt der Bürger ergeben.

„Vielen Dank für die objektive Darstellung“, sagt einer der Väter. Probleme machen ihm aber vor allem die Übergänge, nämlich von der Krippe in den Kindergarten und später von dort in die Grundschul-Betreuung. „Immer wieder haben wir da drei bis neun Monate zu überbrücken, weil wir den nächsten Platz nicht sofort bekommen“, sagt er. „Ich verstehe das nicht – so etwas ist doch planbar!“

Der Bürgermeister bittet um Verständnis. „Wir strecken uns nach der Decke“, sagt er. Und so richtig planbar sei es eben nicht, ergänzt Daniel Dreßen. Man könne nicht aus den Ganztags-Krippenkindern rückschließen, wie viele Ganztags-Kindergartenplätze man später benötigt. „Viele Eltern fangen nach drei Jahren Elternzeit wieder an, zu arbeiten. Ganztags-Kindergartenplätze brauchen wir dann viel mehr“, ergänzt der Leiter der Renninger Kinderbetreuungsabteilung.

Überhaupt, die Ganztagsbetreuung. Die Stadt schafft zwar immer mehr Plätze. Auch im neuen Schnallenäcker III sind jetzt nicht mehr nur eine, sondern zwei neue Einrichtungen vorgesehen. „Aber wissen Sie eigentlich, wie viele Kinder auf einen Ganztagsplatz warten?“, will ein Vater wissen. Nein, müssen die Vertreter der Stadtverwaltung eingestehen, das werde nicht erfasst. „Wenn wir mehr Angebot schaffen, steigt auch der Bedarf“, sagt Marcello Lallo, der zuständige Fachbereichsleiter. Es gebe jedes Jahr 1000 Zu- und 1000 Wegzüge. „Man kann das nicht einfach hochrechnen.“

Die Eltern lassen aber nicht locker. „Warum haben Sie die Jahnstraße nicht als Ganztagseinrichtung gebaut?“, fragt eine Mutter. Ihr geht es ähnlich wie dem Vater zuvor. In der Krippe haben sie für ihr Kind einen Ganztagsplatz gehabt. Jetzt aber habe sie ihren Arbeitgeber bis zum Schluss im Unklaren lassen müssen, weil nicht feststand, ob das Kind auch im Kindergarten noch ganztägig betreut wird.

Den Kindergarten an der Jahnstraße hat die Stadt erst vor zwei Wochen eröffnet. „Ich geb Ihnen recht“, sagt Daniel Dreßen und gibt mutig zu: „Vor zwei Jahren hätte ich anders entscheiden müssen.“ Mit dem heutigen Kenntnisstand hätte man diesen Kindergarten zumindest so bauen müssen, dass er für noch längere Öffnungszeiten ausgelegt wäre.

Einen gesetzlichen Anspruch haben Eltern aber nur auf die vormittägliche Regelbetreuung – doch auch die konnte Renningen im vergangenen Jahr nicht sicher stellen. Im August 2018 hatte es für 729 Plätze in der Stadt 781 Anmeldungen gegeben. Auf die Schnelle und in Modulbauweise hat die Stadt dann diesen neuen Kindergarten Jahnstraße errichtet.

Jetzt steht er aber in Renningen, nicht in Malmsheim, wo der eigentliche Mangel herrscht. „Das ist wirklich ein Problem“, berichtet eine Mutter: „Wir haben Freunde, die müssen beide arbeiten, haben nur ein Auto – und müssen jetzt ihre Kinder von Malmsheim nach Renningen fahren.“ Da gehe es um Existenzen. Der Bürgermeister erwidert, dass man gern den neuen Kindergarten in Malmsheim errichtet hätte. „Wir haben dort aber kein einziges Grundstück gefunden.“

Einer anderen Mutter platzt schließlich der Kragen, sie stellt die Grundsatzfrage: „Wie kann man riesige Neubaugebiete wie den Schnallenäcker hinstellen, mit sündhaft teuren Grundstücken – und dann davon ausgehen, dass die Mutter daheim bleibt und ihre Kinder betreut“, wettert sie. Es sei doch klar, dass dort gut ausgebildete Frauen hinziehen, die arbeiten wollen. In dem jetzt fertig gewordenen Schnallenäcker II hat die Stadt keinen neuen Kindergarten gebaut.

„Wir hatten damals eine Kindergartenbedarfsplanung“, rechtfertig sich der Bürgermeister. „Die ist klar davon ausgegangen, dass wir keine zusätzliche Einrichtung brauchen“, ergänzt Wolfgang Faißt. Die jetzige Entwicklung habe niemand voraussagen können. Es habe mehr Zuzüge gegeben, höhere Geburtenzahlen und mehr Flüchtlingskinder.

Womit wieder die Differenz zwischen Planung und Realität auf dem Tisch liegt. „Halten Sie sich nicht allzufest an Zahlen von Planungen fest“, lautet die Bitte eines Vaters am Ende der Veranstaltung.