Welche Fortschritte die Entwicklung von künstlicher Intelligenz macht, lässt sich Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut am Bosch-Campus in Renningen anschaulich erklären.

Renningen - Vorsichtig schiebt Franz Lärmer die handflächengroße Kartusche in das Gerät auf dem Präsentationstisch. Dann fängt es an zu arbeiten und die Daten, zusammen mit dem Abstrich aus menschlichem Speichel, auszuwerten. Wäre das ein echter Test, würde der Apparat nach wenigen Stunden die Ergebnisse auswerfen. Dann hätte der Getestete Gewissheit: Hat er Corona, eine Grippe oder doch nur eine Erkältung?

 

Allerdings ist dies kein echter Test. Franz Lärmer, Experte für den Themenbereich Krankheitsdiagnostik am Bosch-Research-Center in Renningen, zeigt hier eine der Errungenschaften des Forschungszentrums in Sachen künstliche Intelligenz. Zu Gast ist die Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die am Montag auf einer Sommerreise durchs Ländle zum Thema „Baden-Württemberg als Europas Innovationsregion Nummer 1“ unterwegs ist und dabei auch in Renningen Station macht. Der Bosch-Campus in Renningen ist einer von weltweit sieben Bosch-Standorten, die ihren Schwerpunkt in der Forschung haben.

Als das große Ziel in der technologischen Forschung nennt Thomas Kropf, Geschäftsleiter der Bosch-Forschung in Renningen, die Entwicklung von Produkten, die den Menschen unterstützen: Das fange an bei der Waschmaschine, die weniger Energie verbraucht, und reiche bis hin zu lebensrettenden Erfindungen. In die letztgenannte Kategorie fallen sogar zwei der neuen Entwicklungen von Bosch, die Thomas Kropf und sein Team an diesem Tag vorstellen. Speziell geht es bei der Präsentation um künstliche Intelligenz: unter anderem um Vivalytic, ein mobiles Gerät zur Krankheitsdiagnostik, sowie um die MPC3, eine Frontvideokamera fürs Auto als Fahrerassistenz.

Diagnose ohne lange Anfahrtswege

Franz Lärmer, sogenannter Bosch Research Fellow, gewährt einen Einblick in die Welt von Vivalytic. Eine Labordiagnostik für „unterwegs“ ist gerade in Zeiten von Corona ein aktuelles Thema. Das Gerät kann zum Beispiel bei Hausärzten, in Apotheken oder auch auf Kreuzfahrtschiffen eingesetzt werden. Es geht darum, dass die Proben nicht erst den weiten Weg in ein Labor geschickt werden müssen. Das Ergebnis bekommt der Patient innerhalb weniger Stunden.

„Gerade auf großen Schiffen kann das von Bedeutung sein“, erklärt Lärmer. „Wenn dort jemand mit Halsweh zum Schiffsarzt kommt, kann dieser einen Abstrich machen und schon nach kurzer Zeit sagen: Muss der Patient nach Hause oder sogar in Quarantäne, oder er kann wieder zurück an die Bar?“ Ein solcher Test beim heimischen Hausarzt könne außerdem dabei helfen, so Thomas Kropf, Infektionsketten schneller zu unterbrechen, da lange Transportwege wegfallen und das Ergebnis nach kürzester Zeit feststeht. Der größere Test, der außer Covid-19 noch neun weitere Atemwegserkrankungen wie Influenza umfasst, dauert etwa zweieinhalb Stunden, erklärt Franz Lärmer. „Wir möchten bis Ende des Jahres aber einen Schnelltest für Corona entwickeln, der nur eine halbe Stunde dauert.“ Dieser Schnelltest hat gegenüber dem längeren allerdings einen Nachteil: Das Gerät untersucht den Mundabstich dann auch wirklich nur auf das Coronavirus hin.

Es handelt sich also nicht um einen Wunderapparat, der eine Speichelprobe auf alle Krankheiten der Welt hin untersuchen kann, betont Lärmer. Auf den jeweiligen Kartuschen befinden sich die Informationen für bestimmte Krankheitsbilder. Zum Beispiel gibt es eine für sexuell übertragbare Krankheiten, für SARS-CoV-2 sowie für MRSA, multiresistente Keime. Die Künstliche Intelligenz (KI) erkennt Muster in der Probe und kann diese mithilfe der jeweiligen Kartusche dann übersetzen.

Die Forschung für Vivalytic begann bereits, als Bosch seinen Forschungsstandort noch auf der Schillerhöhe hatte, berichtet Franz Lärmer, und wurde in Renningen dann fortgeführt. Das Produkt ist seit Anfang April auf dem Markt.

Eine Kamera kann Leben retten

Ein weiteres Produkt, das einige aus dem Alltag bereits kennen, ist die Frontkamera fürs Auto, die Gefahren erkennen und eingreifen kann, zum Beispiel eine Vollbremsung einleiten, wenn ein Fußgänger vors Auto läuft. Die Multifunktionskamera muss dabei mehr als zwei Millionen Pixel pro Sekunde auswerten, erklärt der verantwortliche Projektleiter, Thomas Heger. Die Geräte sind so entwickelt, dass sie unterscheiden zwischen lebensbedrohlichen Situationen und dem Fahrerwunsch. Entschließt sich der Fahrer, bei Gelb noch zu beschleunigen und letztlich bei Rot über die Ampel zu rauschen, leitet das System nicht automatisch eine Vollbremsung ein, so Heger. „Der Fahrer ist weiter in der Verantwortung.“

Nun könne man sich fragen, ob man in dem Bereich künstliche Intelligenz als deutsches Unternehmen auf dem Weltmarkt überhaupt mithalten könne, bemerkt Thomas Kropf und antwortet gleich selbst: „Ja, können wir, weil wir uns verstärkt auf die dingliche Welt und die Herstellung von Produkten konzentrieren.“ Es gehe also nicht um Webseitenoptimierung, sondern um industrielle KI. Aktuell befindet sich Bosch laut Thomas Kropf auf Platz acht weltweit in der KI-Forschung. Auf Platz eins, mit sehr großem Abstand zu den Nächstplatzierten, liegt Google, danach kommen Microsoft, Facebook, IBM und auf Platz fünf Amazon.