Eine junge Frau im traditionellen Baugewerbe: Ricarda Stäbler steht seit 2017 an der Spitze des familieneigenen Bauunternehmens aus Weil der Stadt.

Weil der Stadt - Wenn ihr früherer Mathelehrer am Weiler Gymnasium das wüsste. Noch nicht einmal das Abitur hatte er ihr zugetraut, als sie sich damals durch die zehnte Klasse kämpfte. „Aber wenn man ein Ziel erreichen will, dann erreicht man es“, sagt Ricarda Stäbler, Bauingenieurin, Jungunternehmerin und Gemeinderätin.

 

Die 32-Jährige schmunzelt selbst, wenn sie an diesen Moment ihrer Schullaufbahn denkt. Seit 2017 steht sie an der Spitze des familieneigenen Bauunternehmens und teilt sich zusammen mit ihrem Vater Kurt Stäbler die Geschäftsführung. Bislang noch mit halbem Engagement, denn sie sattelte noch einen kaufmännischen Master drauf. Den hat sie seit Juni in der Tasche, seitdem geht’s richtig los.

55 Mitarbeiter beschäftigt Stäbler in Weil der Stadt, dazu kommen nochmals 120 Menschen bei den Subunternehmen. Auf etwa 30 Baustellen ist die Firma im Jahr tätig, im Erd- und Rohbau und beim Abbruch. Aber jetzt müsse sie erst mal auf die Baustelle, hatte der Vater nach ihrem Start vor drei Jahren verfügt. Also ging es zum Rohbau eines Mehrfamilienhauses in Grafenau. „Der Vater hat sich da noch permanent eingemischt“, erinnert sie sich. „Aber das ist normal und verständlich.“

Ein erfahrener Polier stand ihr zur Seite, er ist schon seit 30 Jahren bei Stäbler beschäftigt. Was dort aber nicht ungewöhnlich ist. Seit 95 Jahren gibt es das Unternehmen, wer in Weil der Stadt an Bau denkt, der denkt an Stäbler, deren Bagger und gelbe Schilder.

Großes Engagement der Familie

Ricarda Stäbler wächst mit diesem Namen auf. „Das war nicht immer einfach“, sagt sie. „Viele Leute sehen nur die große Firma – aber nicht das große Engagement, mit dem die Familie dahinterstehen muss.“ Ihre Schwester und sie sind oft bei der Oma, weil Mutter und Vater im Unternehmen arbeiten. Wenn Mitschüler von drei Wochen Urlaub erzählen, staunt sie. „Für die Eltern steht die Firma im Vordergrund, dieses Herzblut fasziniert mich.“

In der elften Klasse aber will sie weg, verbringt ein Jahr in einem Internat in Maine, an der amerikanischen Ostküste. Das Internatsleben gefällt ihr so gut, dass sie danach auch in Deutschland die Schule im Internat beendet. „In der Woche meines Abiturs ist mein Opa verstorben“, erzählt Ricarda Stäbler. Helmut Stäbler war das, der langjährige Seniorchef und Sohn des Firmengründers Gottlob Stäbler.

In der Familie kommt zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal das Thema Nachfolge auf. Eine Unternehmensberatung unterstützt und hilft bei den Gesprächen, alle sollen den Weg mittragen können. Ricarda Stäbler ist damals, 2007, 20 Jahre alt. „Es hat sich herauskristallisiert, dass in meiner Generation ich die einzige bin, die in Frage käme“, erinnert sie sich. Und sie wehrt sich nicht gegen den Gedanken. Seit vielen Jahrzehnten bietet Stäbler die Lebensgrundlage für viele Beschäftigte. „Ich dachte mir: Es kann nicht sein, dass das alles auf einmal nicht mehr existiert“, erinnert sie sich. „Dabei haben meine Vorfahren hier so viel Herzblut reingesteckt.“

Ricarda Stäbler studiert Bauingenieurswesen an der Dualen Hochschule in Mosbach, die Praxisphasen absolviert sie bei Kellerbau in Süßen (Kreis Göppingen). Schnell wird ihr viel Verantwortung übertragen, sie bekommt eine Baustelle mit vier Mehrfamilienhäusern. „In drei davon gab es einen Wasserschaden“, erinnert sie sich. Und lernt: „Irgendwie bekommt man jedes Problem gelöst.“

Und das als junge Frau im traditionellen Baugewerbe. „Es kommt natürlich vor, dass ich nicht für voll genommen werde“, stellt sie fest. „Das liegt aber eher daran, dass ich jung bin – nicht daran, weil ich eine Frau bin.“

Sie leitet den Neubau der Haupttribüne im Gazi-Stadion

Später sammelt Ricarda Stäbler fünf Jahre lang Berufserfahrung bei dem großen Stuttgarter Baukonzern Züblin, sie leitet zum Beispiel den Neubau der Haupttribüne im Gazi-Stadion der Stuttgarter Kickers. Sie lernt die Bedingungen der Branche kennen – öffentliche Auftraggeber, viele Vorgaben, ein enger Zeitplan. „Da mussten wir ranklotzen“, sagt sie. Sonntags backt sie dann schon mal 120 Muffins für die Handwerker als Motivation, denn: „Ich bin ein Mensch, der für seine Freunde und Kollegen alles gibt.“

Und das seit Mai nun auch in der Weil der Städter Kommunalpolitik. Für die Freien Wähler hat sie sich für den Gemeinderat aufstellen lassen und wurde gewählt. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass es klappt“, sagt Ricarda Stäbler. Auch in das Gremium will sie natürlich ihre Berufserfahrung einbringen, zum Beispiel beim großen Sanierungsstau in den Schulen der Stadt. In der Grundschule und im Gymnasium sieht es noch so aus, wie zu Zeiten ihres Vaters, hat sie festgestellt.

„Der Neubau eines großen Bildungscampus wäre das beste“, findet sie, auch wenn sie weiß, dass das für die finanziell klamme Stadt kaum zu stemmen ist. „Die Frage ist jetzt, ob die Stadt mit einem privaten Investor kooperieren kann.“ Auch bei Neubaugebieten und der Nachverdichtung müsse Weil der Stadt mehr Gas geben. Nachbarstädte seien da schon weiter.

Pläne hat Ricarda Stäbler auch für das eigene Unternehmen. „Wir recyceln aktuell schon Baumaterialien“, berichtet sie. „Das wollen wir ausbauen.“ Zugleich hält auch die Digitalisierung Einzug. „Die schwierigste Aufgabe aber ist es, Mitarbeiter zu finden, jeden Tag zu motivieren und zu halten.“ Vor allem im Kreis Böblingen konkurriert der Bau mit den Arbeitgebern in der Industrie. Ricarda Stäbler ist aber fest entschlossen, auch das zu meistern.