Recherchen bislang nicht veröffentlicht
Die US-Zeitung ging in dem Artikel auch auf die im Frühjahr bekanntgewordenen Vorwürfe gegen Reichelt ein und brachte Recherchen ins Spiel, die das Investigativ-Team der Mediengruppe Ippen („Frankfurter Rundschau“, „Münchner Merkur“, „TZ“) in den vergangenen Monaten vorangetrieben hatte. Diese Recherchen sind bislang nicht veröffentlicht worden. Darüber berichtete auch das Medienmagazin „Übermedien“.
Eigentlich hätten sie bereits publiziert sein sollen, die Mediengruppe Ippen entschied sich auf Einwirken des Verlegers Dirk Ippen zunächst gegen die Veröffentlichung. Das löste Kritik aus, das Recherche-Team schrieb einen Brief an Geschäftsführung und Verleger.
Das Schreiben kursierte im Internet. Darin hieß es: „Unsere Recherche-Ergebnisse deuten auf Missstände und Machtmissbrauch im Hause Axel Springer und durch den mächtigsten Chefredakteur Deutschlands hin.“ Weiter hieß es: „Besonders irritiert hat uns die Tatsache, dass für den Stopp der Recherche keine juristischen oder redaktionellen Gründe angeführt wurden.“
Begründung für Stopp der Veröffentlichung
Die auch zur Ippen-Mediengruppe gehörende Zeitung „Frankfurter Rundschau“ (FR) schrieb in einem Online-Bericht in eigener Sache: „Wir unterstützen den Protestbrief des Investigativ-Teams an Verleger Dirk Ippen. Redaktionelle Unabhängigkeit ist die unabdingbare Grundlage für Qualitätsjournalismus, Vertrauen ist ihr wertvollstes Gut. Dieses darf niemals verletzt werden.“
Bislang blieb unklar, ob die Recherchen von Ippen-Investigativ möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden. Die Mediengruppe äußerte sich auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur dazu nicht. Als Begründung für den Stopp der Veröffentlichung hieß es: „Als Mediengruppe, die im direkten Wettbewerb mit „Bild“ steht, müssen wir sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden.“
Ippen-Medienhaus: keine Beeinflussung durch Springer
Das Medienhaus, das in München die Boulevardzeitung „TZ“ publiziert, ergänzte: „Daher ist die Entscheidung gefallen, jeden Eindruck zu vermeiden, wir könnten Teil eines Versuchs sein, einen solchen wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Damit war das Thema einer Erstveröffentlichung dieser Recherchen vom Tisch.“
Nach Angaben des Ippen-Medienhauses hatte es keine Beeinflussung durch Springer bei der Entscheidung gegeben, auf eine Veröffentlichung zu verzichten. „Der Austausch mit Springer beschränkte sich auf den in diesen Fällen üblichen Schriftwechsel der jeweiligen Anwälte.“
Ein Springer-Sprecher teilte auf Anfrage mit: „Mit Wissen von Axel Springer gab es keinen Versuch, Veröffentlichungen im Zusammenhang mit der Compliance-Untersuchung zu verhindern. Davon unbenommen sind rechtliche Hinweise, die der Wahrung berechtigter Interessen des Unternehmens und seiner Mitarbeiter dienen.“
Reichelt war Reporter in Kriegsgebieten
Reichelt arbeitete seit 2002 für den Medienkonzern. Der Journalist war Vorsitzender der „Bild“-Chefredaktionen und trug die übergeordnete redaktionelle Verantwortung der Bild-Marke mit Deutschlands größter Boulevard-Tageszeitung mit einer Auflage von rund 1,2 Millionen Exemplaren (mit Berliner Boulevardzeitung „B.Z“). Der 41-Jährige war zudem Sprecher der Geschäftsführung für die Bild-Marke. Vor allem mit seiner Arbeit als Reporter in Kriegsgebieten wurde Reichelt vielen bekannt.
Springer-Chef Mathias Döpfner sagte am Montag: „Julian Reichelt hat „Bild“ journalistisch hervorragend entwickelt und mit BILD LIVE die Marke zukunftsfähig gemacht. Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei BILD gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich.“
Wer bleibt?
Neben Boie auf der Topposition bei „Bild“ bleibt Alexandra Würzbach Chefredakteurin „Bild am Sonntag“ und verantwortet das Personal- und Redaktionsmanagement. Diesen Bereich hatte sie bereits bei Reichelts Rückkehr im Frühjahr übernommen. Claus Strunz ist als Chefredakteur für das Bewegtbildangebot verantwortlich.
Springer beschäftigt rund 16 000 Mitarbeiter weltweit. Neben den journalistischen Flaggschiffen „Bild“ und „Welt“ ist der Konzern in digitalen Geschäften wie Newslettern aktiv. Auch Rubrikenportale sind ein wichtiges Standbein. Außerdem investiert Springer auch in andere Unternehmen. 2019 ging der Medienkonzern in Berlin eine Partnerschaft mit dem US-Finanzinvestor KKR ein und zog sich dazu auch 2020 von der Börse zurück. Das Ziel: Schneller in den digitalen Geschäften wachsen.
In den vergangenen Monaten stemmte Springer ein Mammut-Projekt: Seine immer noch auflagenstärkste Zeitung „Bild“ bekam auch einen gleichnamigen TV-Sender. Das frei empfangbare TV-Programm startete im August. Springer will Millionen in den Ausbau seines Videoangebots investieren. Im TV wird in Deutschland nach wie vor viel Geld mit Werbung verdient.