Dass sich Wahlbeamte vor Gerichten verantworten müssen, ist sehr selten. Warum, erklärt der Ludwigsburger Professor Arne Pautsch.

Ludwigsburg - Interessiert wird das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts auch in der Wissenschaft aufgenommen werden. Denn dass sich ein Bürgermeister wegen mutmaßlicher Verfehlungen vor Gericht verantworten muss, hat es noch nicht allzu oft gegeben. Dass das ab jetzt ständig passiert, müssen Rathauschefs aber nicht befürchten, sagt der Ludwigsburger Professor Arne Pautsch.

 

Herr Pautsch, ist dies der erste Prozess, bei dem sich ein Bürgermeister vor dem Verwaltungsgericht verantworten muss?

Nein. Allerdings sind kommunale Wahlbeamte, also Bürgermeister und Beigeordnete, auch außerhalb Baden-Württembergs eher selten in Anspruch genommen worden. Es gab einen Fall im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Karlsruhe gegen einen Beigeordneten. Das blieb aber erfolglos, das Gericht verneinte einen Regressanspruch. Auch aus Sachsen-Anhalt ist mir ein Fall bekannt, der sogar bis zum Oberverwaltungsgericht ging.

 

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Woran liegt das?

Grundlage in diesem Fall ist die Vorschrift in Paragraf 48 des Beamtenstatusgesetzes. Sie gilt für alle Beamtinnen und Beamten – so auch für die Bürgermeister. Es geht ja darum, dass ein Beamter schuldhaft gehandelt und der Gemeinde Schaden zugefügt hat. Die Gemeinde kann sich diesen Schaden beim Beamten zurückholen. Diesen Rückgriffsanspruch knüpft der Gesetzgeber aber an hohe Hürden: Nur, wenn der Beamte grob fahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt hat, gibt es einen Regress.

Was heißt „grob fahrlässig“?

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt. Das bedeutet, dass der Beamte nicht das beachtet, was jedem einleuchten muss, oder er stellt nicht die einfachsten, ganz nahe liegenden Erwägungen an. Der klassische Lehrbuchfall: Wenn zum Beispiel ein Polizist seine Dienstwaffe offen im Auto liegen lässt, dann ist das grob fahrlässig. Wenn die Waffe dann gestohlen und für Straftaten verwendet wird und Schäden entstehen, kann man von dem Polizisten verlangen, dass er für die Schäden aufkommt. Die Schwellen zur groben Fahrlässigkeit sind aber recht hoch, deshalb kommt ein Fall wie der hier im Mittelpunkt stehende in Weissach nur selten vor.

Sehen Sie denn von dem Weissacher Urteil eine Signalwirkung ausgehen?

Nein. Die Hürden sind sehr hoch. Dass Gemeinden jetzt auf die Idee kommen, ihre Bürgermeister wegen eines Fehlverhaltens zu verklagen, weil ihnen politisch etwas nicht passt, das sehe ich nicht. Nicht jede Verfehlung hat ja gleich eine dienstrechtliche oder disziplinarrechtliche Relevanz. Jedem Bürgermeister kann es passieren, dass sich eine Entscheidung später als falsch herausstellt. Die Verwaltungsgerichte entscheiden in allen beamtenrechtlichen Streitigkeiten, meist ist ein Disziplinarverfahren vorausgegangen. Wenn die Gemeinde Ansprüche vermutet, ist auch zunächst die Rechtsaufsichtsbehörde zuständig, also hier das Landratsamt.

Die Rahmenbedingungen für das Berufsbild Bürgermeister werden ja ohnehin immer schwieriger. Viele Kommunen finden ja kaum noch geeignete Bewerber.

Solange dem Bürgermeister kein dienstrechtlich relevantes Fehlverhalten trifft, droht ihm nichts. Aber wenn ich Leitender Beamter in einer Kommune werde, muss mir klar sein: Ich habe eine Verantwortung. Bürgermeister sind ja nicht nur Leiter der Verwaltung, sondern haben auch eine politische Agenda. Da gibt es dann auch einmal Gegenwind. Politische Verfehlungen sind aber erst dann justiziabel, wenn sie sich – wie hier in Weissach – zu einer nicht unerheblichen Dienstpflichtverletzung auswachsen.