In seinem ersten großen Interview als künftiger OB blickt Martin Kaufmann zurück und nach vorne.

Leonberg - Der „Neue“ bringt es in diesen Tagen auf etliche Kilometer. Ständig ist Martin Kaufmann zwischen Rudersberg und Leonberg unterwegs. Noch ist der 51-Jährige Bürgermeister der 11 000-Einwohner-Gemeinde im Rems-Murr-Kreis. Doch das künftige Amt als Oberbürgermeister von Leonberg wirft seine Schatten voraus und macht eine Präsenz des designierten Oberbürgermeisters in seiner künftigen Wirkungsstätte nötig. Auch für einen Besuch bei unserer Zeitung.

 
Herr Kaufmann, wann wurden Sie zum ersten Mal mit dem Thema OB-Wahl in Leonberg konfrontiert?
Im März. Ich wurde von mehreren Seiten angesprochen. Auch, aber nicht nur von der SPD. Dann habe ich mir Leonberg erst einmal näher angeschaut.
Wie war Ihr Eindruck?
Ich habe gedacht: Das ist eine spannende Herausforderung. Es gibt viel zu tun.
Sie fanden die Stadt also nicht so toll?
Doch! Es ist eine Herausforderung im positiven Sinn.
Ihre Kandidatur wurde im Mai bekannt gegeben. War das zu früh?
Es war mir klar, dass schon nach dem ersten Gespräch in Leonberg ein Anruf in Rudersberg erfolgt. Da ich einen offenen Umgang mit dem Gemeinderat und den Bürgern pflege, habe ich es für fair gehalten, dass die Menschen wissen, woran sie sind.
Wie waren die Reaktionen?
Im Großen und Ganzen verständnisvoll. Es gab natürlich einige, die gesagt hatten: Der geht sowieso irgendwann. Aber es gab keine bösen Kommentare. Im Gemeinderat und im Rathaus sind sie sogar traurig. Ich habe ein gutes Rathausteam.
Wie sind Ihnen die Leonberger begegnet?
Unglaublich offen und interessiert. Ich habe mich von Anfang an wohlgefühlt.
Wie sind Sie Ihren Mitbewerbern begegnet?
Mit Respekt. Es ist logisch, dass ich in einer solch attraktiven Stadt nicht der einzige Kandidat bleibe.
Wie haben Sie von Mai bis September den Spannungsbogen hoch gehalten?
Ich habe sachte angefangen, mir dann aber die drei Wochen vor der Wahl Urlaub genommen, um meine Kontakte auszubauen. Mit dem steigenden Bekanntheitsgrad nahm auch die Spannung zu.
Wie war der Wahlabend?
Die Bundestagswahl habe ich gar nicht so richtig wahrgenommen, weil ich ahnte, wie sie ausgeht. Auf dem Weg ins Rathaus hatte ich schon Informationen über die Ergebnisse einzelner Wahlbezirke aufs Handy geschickt bekommen. Im Rathaus wollten mir gleich einige gratulieren, das hatte ich aber zu dem frühen Zeitpunkt abgelehnt. Ich hatte nach wie vor mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Inge Horn und mir gerechnet.
Und als das Ergebnis dann feststand?
Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Das war ein Gefühl der Ungläubigkeit, dass ich es sofort im ersten Wahlgang schaffe. So richtig realisiert habe ich es erst viel später.
Wo wollen Sie nach Ihrem Amtsantritt am 1. Dezember direkt den Hebel ansetzen?
Bei der Verkehrsproblematik und beim Thema Wirtschaft, die in gewisser Weise auch zusammenhängen. Die Verkehrsbelastungen betreffen nicht nur die Innenstadt, sondern auch Gebersheim und Höfingen. Außerdem müssen wir beim Bahnlärm aktiv werden.
Was wollen Sie konkret tun?
Die zentrale Achse Leo-Center – Rathaus – Altstadt ist von hoher Bedeutung, muss aber in ein Gesamtkonzept eingebettet werden. Das Ziel muss sein, der Eltinger Straße den Autobahncharakter zu nehmen. Fußgängern und Radfahrern muss Raum zurückgegeben werden, sodass man gerne wieder zu Fuß unterwegs ist.
Zwei Spuren statt vier Spuren?
Das muss es nicht bedeuten. Es gibt ja auch kleinere Spurbreiten. Wir müssen offen an eine Lösung herangehen. Dazu brauchen wir eine Verkehrserhebung. Wir müssen wissen, woher die Menschen in unsere Stadt kommen, wir müssen über andere Ampelschaltungen nachdenken. Wichtig ist, dass der Einzelhandel nicht abgehängt wird, sondern dass es im Gegenteil wieder Spaß macht, bummeln zu gehen. Gerade in der Altstadt.
Im Wahlkampf hatten Sie von einem Wirtschaftsdezernat gesprochen, das auch die Gesamtvermarktung der Stadt übernimmt.
Da gibt es mehrere Ansätze. Handel und Kultur ergänzen sich in meinen Augen. Hier könnte ein Citymanager die vielen guten Ideen und Initiativen, die wir in der Stadt haben, zusammenführen.
Bisher ist die Wirtschaftsförderung eine One-Man-Show.
Das wird es in Zukunft nicht mehr geben.
Sie planen weitere Änderungen in der Verwaltungsstruktur: Die Feuerwehr soll unter Ihre Verantwortung kommen.
Eine funktionierende Feuerwehr stellt ein hohes ehrenamtliches Gut dar. Daher ist es ein wichtiges Signal und trägt zur Stärkung bei, wenn die Feuerwehr direkt dem Oberbürgermeister zugeordnet ist.
Ein Teil des Gemeinderates will überprüfen lassen, ob die Hauptfeuerwache in der Römerstraße nicht von einem hauptberuflichen Brandinspektor geleitet werden soll.
Dafür haben wir einen Gesamtkommandanten. Sollte es Probleme geben, dann müssen sich die Beteiligten an einen Tisch setzen und darüber reden.
Erwägen Sie weitere Änderungen in der Dezernatsverteilung?
Das muss ich mir in Ruhe ansehen.
Die künftige Stadtspitze besteht aus drei ehemaligen OB-Bewerbern, also Konkurrenten. Kann das funktionieren?
Vom Gefühl her sage ich, dass eine Sympathie zwischen allen dreien vorhanden ist. Klaus Brenner habe ich darüber hinaus als guten Baubürgermeister kennengelernt.
Und Ulrich Vonderheid?
Man muss abwarten, wie er sein persönliches Wahlergebnis als OB-Kandidat (12,6 Prozent, die Red.) interpretiert. Im persönlichen Umgang sind wir bisher gut miteinander zurechtgekommen.
Sie hatten sich bereits im Wahlkampf kritisch mit dem von Vonderheid geleiteten Finanzdezernat auseinandergesetzt.
In den Haushalt muss mehr Transparenz hinein. Dann hätten es unsere Gemeinderäte deutlich leichter, die es jetzt mit dem neuen Haushaltsrecht zu tun haben. Ich weiß nicht, ob es für sie Schulungen gegeben hat, mit denen sie in die Lage versetzt wurden, die Zahlen so zu interpretieren, um verlässliche Entscheidungen zu treffen.
Nicht nur Herr Dr. Vonderheid hatte während des Wahlkampfes im Gemeinderat eine sehr überschaubare Unterstützung. Sie hatten ausschließlich die SPD hinter sich. Wie wollen Sie jetzt einen konstruktiven Dialog herbeiführen?
Mein Ergebnis von fast 52 Prozent im ersten Wahlgang ist doch ein deutliches Signal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gemeinderat eine Blockadehaltung einnimmt. Wir hatten auch in Rudersberg eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Gemeinderat. Und was die SPD betrifft: Nicht die SPD hat meine Kandidatur eingereicht, ich habe mich selbst beworben. Und ich habe gleich gesagt, dass ich alleine antrete. Nicht falsch verstehen: Ich distanziere mich nicht von der SPD. Aber ich war auch kein SPD-Kandidat, sondern OB-Kandidat.
Man hat ein bisschen den Eindruck, als wollten Sie jetzt alles anders machen.
Viele Dinge sind bisher gut gelaufen, aber wir brauchen auch einige neue Ansätze. Ich gehe unvoreingenommen an die Themen heran. Das ist doch für alle Beteiligten gut.
Beim Krankenhaus haben Sie aber eine klare Meinung.
Ich bleibe dabei, was ich schon im Gespräch mit Ihnen gesagt habe: 440 Millionen Euro werden für eine Großklinik auf dem Flugfeld nicht ausreichen. Wollen die Städte Böblingen und Sindelfingen so ein Krankenhaus haben, können sie es gerne machen, aber nicht auf Kosten der anderen.
Vom Landrat sind etliche Treueschwüre für das Krankenhaus Leonberg gekommen.
Ich habe nach wie vor die große Sorge, dass im Jahr 2024, wenn möglicherweise die Zentralklinik eröffnet wird, mit der Reduzierung der Bettenzahl in Leonberg das Krankenhaus in einem anderen Licht betrachtet wird. Das ist nicht akzeptabel. Die Menschen hier haben, unabhängig von einer medizinischen Spezialisierung, ein Recht auf eine gute medizinische Grundversorgung. Böblingen ist allein aufgrund der Verkehrssituation für uns völlig uninteressant.
Sie sind noch Mitglied des Rems-Murr-Kreistages. Streben Sie auch hier ein Kreistagsmandat an?
Das ziehe ich in Erwägung, um mich dort besser für unser Krankenhaus einsetzen zu können. Mein Mandat im Rems-Murr-Kreis lege ich zum 30. November nieder.
Sie haben sich im Wahlkampf sehr für die Vereine stark gemacht. Warum waren Sie nicht beim Empfang am 3. Oktober, wo Bernhard Schuler das Ehrenamt würdigt?
Es gebietet der Respekt vor dem Amtsinhaber und vor dessen Leistung, dass ich während seiner laufenden Amtszeit nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehme.
 
 

Das Gespräch führten Elisa Wedekind und Thomas K. Slotwinski