Geht Fachpersonal in der Pflege weg, lässt sich kaum Ersatz finden. Die Rutesheimer Sozialstation tritt deshalb auf die Bremse und nimmt nur noch Palliativ-Patienten auf.

Rutesheim - Die Entwicklung ist dramatisch. Der Rutesheimer Sozialstation brechen die Fachpflegekräfte weg, sodass aktuell keine neuen Verträge mit interessierten Klienten mehr abgeschlossen werden können – lediglich neue Patientinnen und Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung, die palliativ versorgt werden müssen, werden angenommen. Die Leiterin Bettina Gampe-Röhrl schlägt Alarm.

 

„Für uns ist eine gute Versorgung der Menschen, die eine Pflege benötigen, sehr wichtig, und die Sozialstation mit ihren drei Standbeinen Fachpflege, hauswirtschaftliche Betreuung und Tagespflege leisten Hervorragendes“, sagt die Bürgermeisterin Susanne Widmaier. „Doch es ist schwer, Personal zu rekrutieren“, ergänzt der Erste Beigeordnete Martin Killinger. Immer mehr Menschen bedürften einer Pflege, denn die Bürger würden älter und bleiben länger im eigenen Umfeld. Zudem stehe man beim Personal in harter Konkurrenz zu Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen.

Fachpflege ist das Sorgenkind

„Das Sorgenkind ist die Fachpflege“, erläutert Bettina Gampe-Röhrl, die die Sozialstation seit mehr als 25 Jahren leitet. Von den 26 Fachpflegekräften, davon zwei Männer, gehen 2022 vier in den Ruhestand. Es sei fast unmöglich, Ersatz auf dem leer gefegten Stellenmarkt zu gewinnen. „Damit das Personal alle Aufgaben erfüllen kann und nicht in die Knie geht, mussten wir aktiv werden“, sagt sie. Allerdings auf eine Art und Weise, die sie bedauert. „Bisher haben wir im Stadtgebiet inklusive Perouse und Heuweg alle Anfragen bedient, doch seit Dezember schließen wir keine neuen Verträge mehr ab. Wir nehmen nur Patienten auf, die eine Palliativ-Pflege benötigen.“

Auch Corona gehe nicht ohne Folgen am Personal vorbei, denn die sieben Touren am Morgen und die drei am Abend, die das Team leistet, werden dadurch nicht einfacher. Mehr Auszeiten seien die Folge. Betreut und begleitet werden von der Sozialstation gegenwärtig rund 240 Menschen, von einmal wöchentlich bis mehrmals täglich. Insgesamt hat die Sozialstation in ihren drei Betätigungsfeldern 65 Mitarbeiter beschäftigt.

Im Ort verwurzelt und geschätzt

„Diese Entwicklung ist besorgniserregend“, sagt die Bürgermeisterin. Die Sozialstation sei als städtische Einrichtung im Ort gut verwurzelt und geschätzt. Zudem sei sie mit einem Haushalt von rund zwei Millionen Euro im Jahr kein Zuschussbetrieb, sondern trage sich finanziell gut. „Das hat auch dazu geführt, dass wir 2017 groß in die Tagespflege in dem Neubau beim Rathaus investiert haben“, erläutert Bettina Gampe-Röhrl.

Dabei setzt die Sozialstation seit gut zehn Jahren verstärkt auf die Ausbildung eigener Fachkräfte. Seit 2011 sind acht Ausgebildete weiterhin im Haus geblieben. Nicht einfacher mache es das jüngst geänderte Ausbildungssystem zur Pflegehelferin oder -helfer (ein Jahr, bei Personen mit Migrationshintergrund zwei Jahre, um die Sprache besser zu lernen) oder zur Pflegefachkraft (drei Jahre), sagt die Leiterin der Sozialstation. Ein Hauptschulabschluss genüge nicht mehr, jetzt ist die Realschule für die dreijährige Ausbildung Voraussetzung.

Attraktive Arbeitszeiten

Während dieser generalistischen Ausbildung gebe es etwa 1000 Euro Vergütung. Auch eine Fachkraft verdiene nicht schlecht. „Nach der Ausbildung hat sie mehr als ein Streifenpolizist“, sagt Bettina Gampe-Röhrl. Um die Arbeitszeiten attraktiver zu gestalten, wurden in Rutesheim geteilte Dienste abgeschafft und Mütter-Touren (von 8 bis 12 Uhr) eingeführt. Am Wochenende gibt es einen entsprechend vergüteten Bereitschaftsdienst, und wer für Kollegen einspringt, wird extra vergütet.

Wie geht es weiter? „Wir werden weiterhin verstärkt ausbilden“, sagt die Leiterin. An der Pflegeschule der Samariterstiftung in Leonberg gebe es noch Möglichkeiten, im April und Oktober in die Ausbildung einzusteigen. Und es gelte, gemeinsam Lösungen zu suchen. „Die können auch darauf hinauslaufen, dass wir Angehörige und Patienten schulen, vorübergehend einiges, was wir leisten, selbst zu gestalten – aber einen Kündigungsbrief bekommt niemand“, versichert Bettina Gampe-Röhrl. Dabei hat sie jüngst bei einem Treffen von Vertretern kommunaler Sozialstationen im Kreis Böblingen festgestellt: „Alle haben das gleiche Problem.“

Unterstützung von der Stadt

„Als Kommune unterstützen wir unsere Sozialstation auch beim Thema Wohnen für die Mitarbeiter,“ sagt Martin Killinger. „Denn sie gehören zu der Gruppe, die ein Anrecht auf einen Berechtigungsschein für von uns geförderten Mietwohnungen haben, wie etwa die, die jetzt in der Pforzheimer Straße bezogen werden.“