Edward Berger setzt Erich Maria Remarques Weltkriegsroman „Im Westen nichts Neues“ als böses Schlachtengemälde in Szene. Mit starken Hauptdarstellern erinnert er an die „verlorene Generation“ junger Männer – findet aber nicht rechtzeitig zum Ende.

Ehe der französische Soldat im Bombentrichter sein Gewehr erreicht, ist der deutsche Soldat Paul Bäumer (Felix Kammerer) bei ihm und sticht ihn mit dem Dolch ab. Danach geht Bäumer durch einen Gefühlssturm, während er dem Feind minutenlang beim Sterben zusieht: Ein weiterer sinnloser Weltkriegstods, exemplarisch auf einem mit Leichen übersäten Schlachtfeld. Der Franzose trägt den Namen, den Erich Maria Remarque ihm in seinem pazifistischen Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ (1928) gegeben hat: Gérard Duval. Während Paul dessen Familienfoto beweint, lässt sich der verantwortliche General Friedrich (Devid Striesow) beim feinen Diner Wein nachschenken.

 

Der Regisseur Edward Berger („Jack“) bleibt in seiner Neuverfilmung oft nah an der Vorlage und arbeitet deren Geist mit Finesse heraus. In grellen Schlaglichtern zeigt er das ganze Grauen des Krieges: Mal wird einer im schlammigen Schützengraben vor aller Augen von einer Granate zerrissen, mal mäht ein Maschinengewehr ganze Reihen anstürmender junger Männer nieder. Glorreich ist da nichts, und man kann kaum glauben, dass Derartiges derzeit in der Ukraine wieder geschieht. Berger durchsetzt die Blutbäder mit poetischen Momentaufnahmen, zeigt Schönes im Schrecklichen, wenn Leuchtgranaten Spuren am Himmel ziehen. Dazu wabern dramatisch Synthesizerklänge, Schlagzeugsounds bedeuten Gefahr, Streicher Wehmut.

Berger durchsetzt die Blutbäder mit poetischen Momentaufnahmen

Ein falsches Namensschild in Pauls auf neu getrimmter Uniformjacke markiert im Jahr 1917, wie die „verlorene Generation“ an der Front desillusioniert, traumatisiert, verheizt wurde – Neuankömmlinge sammeln die Erkennungsmarken ihrer toten Vorgänger ein. Pauls empfindsamer Freund Ludwig (Adrian Grünewald) fällt beim ersten Gemetzel. Der Charmeur Frantz (Moritz Klaus), der französische Mädchen bezirzt und ein duftendes Halstuch mitbringt, an dem alle begierig riechen, hält länger durch, der Draufgänger Albert (Aaron Hilmer) fast bis zum Schluss. Der schon ältere Stanislaus „Kat“ Katczinsky (Albert Schuch) wird Pauls Mentor und Komplize, mit dem er auf Hühnerklau geht.

Felix Kammerer und Albrecht Schuch überzeugen

Der Österreicher Felix Kammerer zeigt als Paul Bäumer viele Facetten des Staunens und des Schreckens über den Horror und die eigene Mitwirkung daran. Das Chamäleon Schuch, in „Berlin Alexanderplatz“ (2020) großartig als übler Gangster, gibt hier einen bauernschlauen Überlebenskünstler, der das Leben liebt und angesichts toter deutscher Jungs sagt: „Bald ist Deutschland leer.“

Daniel Brühl spielt den schwäbischen Zentrumspolitiker und Humanisten Matthias Erzberger, der vergeblich versucht, den hartleibigen Franzosen einen für die deutsche Seite weniger demütigenden Waffenstillstand abzuringen. Hier spiegelt Berger voraus, wie der verlorene Krieg die nationalsozialistische Katastrophe erst ermöglicht hat.

Um den Roman gab es eine Propagandaschlacht

Um den Bestseller gab es eine Propagandaschlacht. Kaiserreichs-Reaktionäre und Nazis brandmarkten Remarque als Fälscher und Vaterlandsverräter. Nazischlägertrupps störten 1930 die Berliner Premiere der ersten Verfilmung, für die der schwäbische US-Immigrant und Produzent Carl Laemmle und der Regisseur Lewis Milestone Oscars bekamen. 1933 verbrannten die Nazis Remarques Bücher und verboten den Film.

Remarques Haltung zur soldatischen Kameradschaft war lange umstrittenen. Heute weiß man, dass sein Verlag ihm Änderungen abverlangte, weil er die Konfrontation mit den zahlreichen Veteranenverbänden scheute. Bei Berger verbinden die furchtbaren gemeinsamen Erfahrungen die Männer, ohne jede mythische Überhöhung oder gar Idealisierung des Frontkämpfertums.

Kurz vor Kriegsende schickt der General die Männer noch ins Feuer

Dafür ist General Friedrich zuständig, der darlegt, dass ein Dasein als Soldat ohne Krieg keinen Sinn habe. Glatzköpfig und mit flusigem Schnauzbart gibt Striesow die gruslige Karikatur eines Kriegstreibers, der aus sicherer Distanz von Blut und Ehre faselt. Er schickt die Männer noch ins Feuer, als der am 11. November 1918 folgende Waffenstillstand so gut wie unterzeichnet ist. Die Deutschen werden von Artillerie, Panzern und Flammenwerfern der Westalliierten zerrieben. Am Ende dieser Horrorsequenz steht Pauls Begegnung mit Gérard Duval – und hier hätte der Film nach 90 Minuten seinen Schlusspunkt finden können.

Berger hat alles ausführlich gezeigt und gesagt, doch er dreht die Schraube noch eine Stunde lang weiter. Dass am Ende alle tot sind, ist bekannt; Berger malt Kats und Pauls Sterben minutiös aus, er zwingt seinen Zuschauern einen voyeuristischen Blick auf. Chancen in der Vorauswahl zum Auslands-Oscar hat er trotzdem: Geschichten aus deutschen Diktaturen kommen in den USA traditionell gut an.

Im Westen nichts Neues. D 2022. Regie: Edward Berger. Mit Felix Kammerer, Albrecht Schuch. 148 Minuten. Ab 16.