Vortrag von Gerhard Renz: Tatkräftige Frauen haben die Geschichte des Ihinger Hofes geprägt.

Renningen - Ohne das Weil der Städter Spital gäbe es den Ihinger Hof nicht.“ Aber was hat „d’r Spittl“ mit dem ehemaligen Rittergut zu tun? Und schon ist Gerhard Renz, der ehemalige Leiter der Forschungsanlage der Universität Hohenheim Ihinger Hof, beim Kern seines Vortrags: Bedeutende Frauen in der Geschichte der Anlage. Denn die Begründerin des Spitals war Hail Brodbegkin, eine Angehörige der christlichen Gemeinschaft der Beginen, die sich um die Armen und Kranken kümmerten.

 

Sie gründete Ende des 14. Jahrhunderts mittels einer Stiftung das Weiler Spital, welches dann im 16. Jahrhundert den Ihinger Hof kaufte und die Güter zu einem Großbetrieb des Spitals zusammenzog.

„Doch was heißt schon bedeutend? Jedenfalls nicht, dass alle Ungenannten unbedeutend sind.“ Gerhard Renz schmunzelt, und ein leises Lachen geht durch den proppevollen Ausstellungsraum. Die Besucher haben sich von dem Fachmann durch die turbulente Geschichte des ehemaligen Ritterguts führen lassen.

Eine schillernde Frauengestalt

Eine der schillerndsten Frauengestalten des Ihinger Hofs ist Amalia Hedwig von Donop. Sie heiratete 1702 Georg Sigmund von Leiningen, ein Obervogt im Dienste der Württemberger. Amalia Hedwig tat unerschrocken ihre Ansichten bezüglich Gott, Krieg und Politik kund. Ihr Ziel war es, nicht nur den Hilflosen beizustehen, sondern die Verhältnisse zu ändern: „In Württemberg beten die Soldaten um den Sieg, in Frankreich machen sie das genauso. Was soll der liebe Herrgott denn da tun?“ Nur ihr Adelsstand und die Familienverbindungen in die höchsten Kreise schützte sie vor Repressalien durch Kirche und Staat.

Ein halbes Jahrhundert nach dem Tod der engagierten Adligen wurde das Rittergut an Johann Martin Vischer verkauft. Die Vischers wurden erstmals im Jahr 1390 als Hofbauern zu Merklingen erwähnt, entwickelten sich aber im Lauf der Jahre zu äußerst wohlhabenden Kaufleuten und Verwaltungsangehörigen. Das „Palais Vischer“ in Calw, heute das Stadtmuseum, zeugt vom Reichtum der Familie.

Die Gräber weisen eine Besonderheit auf

Johann Martin überließ das Gut, rund 250 Hektar Landwirtschaft und 100 Hektar Wald, seinem Sohn Gustav Leonhardt Vischer. Den zog es zunächst in den Militärdienst. Er erkämpfte sich mehrere Auszeichnungen und den erblichen Adelstitel, fortan trug er das „von“ im Namen.

Seine Halbschwester Emilie übrigens heiratete den deutschen Volksdichter Ludwig Uhland und ermöglichte ihm mit dem Vermögen ihrer Familie die Arbeit in finanzieller Unabhängigkeit. Gustav Leonhardt von Vischer war viermal verheiratet, seine beiden ersten Frauen liegen auf dem Friedhof des Ihinger Hofs begraben. Die Grabinschriften stammen von Ludwig Uhland.

Doch die Gräber weisen noch eine andere Besonderheit auf: Hier wachsen, liebevoll vor mehr als 200 Jahren gepflanzt, jahrelang zugewuchert und erst in den 90er Jahren wiederentdeckt, weiße Albarosen. Zu Lebzeiten Gustav Leonhardt von Vischers galten Rosen als Symbol der Liebe und des Lebens und wurden in das Werden und Vergehen der Menschen mit einbezogen – als Blume am Taufkleid, im Brautbukett und als Erinnerung auf dem Grab.

1939 ging der Hof an den Reichsnährstand

Mehr als 100 Jahre später verkaufte Charlotte von Süßkind-Schwendi, der das Gut inzwischen gehörte, 1939 den Ihinger Hof an den Reichsnährstand. Sie war mit dem 1940 verstorbenen Axel Conrad von Süßkind-Schwendi verheiratet, einem Enkel des Gustav von Vischer. „Damit sicherte sie den Erhalt der anderen Burgen und Höfe der Familie. Man darf nicht vergessen, die Eigentümer lebten nicht hier“, hat Renz recherchiert, und hatten daher wohl auch wenig Bezug zum Gut.

Doch die 100 Hektar Wald behielt sie. Um ihn zu erhalten, richtete Charlotte die Süßkind-Schwendi-Stiftung ein, in der sie das Waldgut Ihingen der Stadt vermachte. Bis heute werden die Einkünfte für soziale Zwecke eingesetzt: „Dafür hat Charlotte eine Gedenktafel hier auf dem Ihinger Hof verdient, finde ich“, meint Renz.

Ungeklärte Besitzverhältnisse

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die Besitzverhältnisse des historischen Rittergutes lange ungeklärt, verschiedene Pächter bewirtschafteten das Gut. Erst 1972 wurde gerichtlich entschieden, dass der Ihinger Hof als Lehr- und Demonstrationsgut im „Dritten Reich“ dem Land Baden-Württemberg zufällt, denn „Lehre ist Ländersache“, wie es Renz auf den Punkt bringt. Er hat 1963 die Leitung des Gutes für die Universität Hohenheim übernommen und ist der Faszination der geschichtsträchtigen Mauern schnell erlegen.

Glücklicherweise, denn so können wir heute mit seiner und mit der Hilfe des Renninger Stadtarchivars Matthias Graner die wechselhafte Geschichte des Ihinger Hofes recht genau nachvollziehen.