Seit Ausbruch des Krieges sammelt eine Weiler Lehrerin Sachspenden. In der Ukraine verteilt werden sie von Ivan Bogdan. Beide sind Freunde geworden – obwohl sie sich noch nie getroffen haben.

Zwischen ihnen liegen rund 1500 Kilometer, über Whatsapp aber halten Karolina Nourddine und Ivan Bogdan, der in der Ukraine Hilfsgüter ausliefert, täglich Kontakt. Auch dann, wenn Bogdan in brenzligen Regionen unterwegs ist, vor kurzem etwa in der Ostukraine. Umso größer die Erleichterung, als wenige Tage später die gute Nachricht eintrudelt: Die Sachspenden sind ausgeliefert, Ivan Bogdan ist unversehrt zuhause angekommen. Zuhause, das ist für ihn ein kleiner Ort rund zehn Minuten außerhalb von Kiew und nur einen Steinwurf entfernt von Butscha.

 

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Bogdan, eigentlich kaufmännischer Direktor der ukrainischen Niederlassung der deutschen Firma Winkhaus, und Nourddine, die hunderte Kilometer entfernt an der Merklinger Würmtalschule unterrichtet, kommen beide ursprünglich aus Polen. Vor Ausbruch des Krieges kannten sie sich nicht, jetzt sind sie gute Freunde. „In Extremsituationen lernt man Menschen richtig kennen“, sagt Nourddine.

Ivan Bogdan fährt in stark umkämpfte Gebiete

Dabei ist die Bekanntschaft der beiden zunächst aus reinem Zweck entstanden. Für einen polnischen Fernsehsender hatte Bogdan Ende Februar ein Interview gegeben und zum Spenden aufgerufen. Nourddine sah den Beitrag – und meldete sich. Seitdem hat die Lehrerin in Weil der Stadt selbst mehrere Spendenaufrufe gestartet, Sachspenden gesammelt und über Polen zu Bogdan in die Ukraine verfrachtet. Dieser verteilt die Güter weiter, besonders in die aktuell stark umkämpften Gebiete.

Für Bogdan ist Karolina Nourddine eine Heldin, für sie ist es gerade andersherum. „Ich fühle mich gar nicht so“, sagt sie und berichtet lieber von den guten Taten, die Bogdan in den letzten Wochen in der Ukraine verrichtet hat: Einen verletzen Hund gerettet, zwei Menschen mit Behinderung zur Flucht verholfen, einige Menschen aus Butscha geholt, als die russischen Soldaten dort wüteten. Bereits vor acht Jahren hatte er sich mit humanitärer Hilfe im Donbass engagiert. „Das, was er macht, ist unglaublich“, so Karolina Nourddine. „Aber man merkt, wie ihm das zusetzt.“

Auch einstige Zivilisten im Militär brauchen Hilfe

Im Interview mit unserer Zeitung, bei dem Nourddine zwischen Deutsch und Polnisch übersetzt, spricht Bogdan ruhig und gefasst. Über das, was er in der Ukraine sieht und gesehen hat, redet er wenig. Viel erzählt er aber von den Hilfsgütern, die derzeit gebraucht werden. Die Krankenhäuser würden besonders in den umkämpften Gebieten unter starkem Druck stehen, dort gibt es viele Verwundete. Aus den Krankenhäusern bekommt er deshalb Listen mit benötigten Gütern oder Medikamenten.

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Ein weiterer Fokus bei seiner Hilfe ist das Militär – und besonders diejenigen Kämpfer, die vorher gar nicht beim Militär waren. „Das waren Lehrer, Manager, IT-Mitarbeiter, ganz normale Menschen“, sagt der 47-jährige. Und dann hat sich alles geändert, von einem Tag auf den anderen. Jetzt brauchen sie festes Schuhwerk, Uniformen, schusssichere Westen, Erste-Hilfe-Sets. „Wie sollen sie sonst Zivilisten beschützen, wenn sie nicht selbst geschützt sind?“

Maß an Zerstörung setzt ihm zu

Denen helfen, die anderen helfen und das Land verteidigen – das will Bogdan mit seiner Hilfe erreichen. Eine leichte Entscheidung war das nicht. Als er und seine Familie am 24. Februar von russischen Raketen geweckt wurden, machten sich seine Frau, sein kleiner Sohn und die Schwiegermutter auf den Weg Richtung Lwiw. Ivan Bogdan blieb. Zunächst kam er bei Bekannten in Kiew unter, weil sein Ort ebenso wie das nahe gelegene Butscha von den russischen Soldaten eingenommen wurde. Seit wenigen Wochen ist er nun wieder Zuhause. Sein Haus steht noch. Er könne sich glücklich schätzen, sagt er. Bei einigen Freunden und Nachbarn sei das allerdings nicht der Fall.

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Seine Transportfahrten dokumentiert er nun auf Facebook, filmt zerbombte Häuser und ausgebrannte Autos. Was es mit ihm macht, sein Zuhause in einem solch unfassbaren Grad der Zerstörung zu sehen? Bevor er antwortet, bleibt er lange still. „Es heißt, Männer weinen nicht“, sagt er dann. „Aber das stimmt nicht.“ Hilfsgüter transportieren will er weiterhin, die nächsten Aktionen stehen an. Auch im 1500 Kilometer entfernten Weil der Stadt. Dort sammelt Karolina Nourddine fleißig weiter Spenden.

Spenden werden bis Mittwoch gesammelt

Sammelaktion
Noch bis Mittwoch, 4. Mai, läuft eine von Karolina Nourddine organisierte Spendensammlung der Schulen und Kindergärten Weil der Stadts. Abgegeben werden können Schlafsäcke, Isomatten, Erste-Hilfe-Sets, neuwertiges und festes Schuhwerk, Babywindeln und Milchpulver beim Baubetriebshof (Mittlere Straße 26) in Merklingen. Die Annahme läuft von 7 bis 16.30 Uhr.