Der ewige Streit um die Hermann-Hesse-Bahn geht weiter: Aber wer streitet hier eigentlich gegen wen?

Stuttgart/Calw - Ein grüner Verkehrsminister braucht grüne Verkehrsprojekte. 900 Autos sollen einmal zwischen Schwarzwald und Stuttgart weniger fahren – pro Tag. Das steht in den Gutachten, die der Landkreis Calw einst für sein Verkehrsprojekt „Hermann-Hesse-Bahn“ erstellt hat. Zusätzliche Schienenkilometer – so was passt exakt ins Konzept von Winfried Hermann.

 

Dennoch gibt es seitdem Streit um die Bahnverbindung, jetzt meldet sich der Verband Region Stuttgart zu Wort. Ob der Minister so viel Zoff ahnt, als er sich dem Projekt annimmt? Kaum übernimmt er 2011 das baden-württembergische Verkehrsministerium, verkündet er, den Ausbau von Bahn-Projekten in den nächsten Jahren zu „intensivieren“.

„Beispielhaften Charakter“ habe die Hermann-Hesse-Bahn für ihn, sagt Winfried Hermann im Mai 2014, als er eigens nach Althengstett reist, um zu verkünden, dass der Landesregierung das Vorhaben am Herzen liege und sie daher die Hälfte der Kosten für die Hesse-Bahn übernimmt. Mit umso größerer Verve stürzt sich der Minister auf „sein“ Projekt Hesse-Bahn. Denn über dem in Althengstett noch so sonnigen Himmel über der Hesse-Bahn sind dunkle Wolken aufgezogen – inzwischen steht das Vorhaben unter erheblichem Beschuss. Politisch gehen die Vorwürfe hin und her, rechtlich sind gleich mehrere Klagen beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim anhängig.

Viele Klagen

Michael Stierle, der Chefplaner der Bahn im Calwer Landratsamt, ist vom Architekten der Hesse-Bahn zum Krisenmanager mutiert, vom Verkehrsplaner zum Umweltentwickler, der sich 90 Prozent seiner Zeit mit Natur- und Artenschutz beschäftigt. Der Naturschutzbund (Nabu) hat nämlich geklagt, macht sich um Fledermäuse in den beiden bestehenden, alten Tunnels der Bahnstrecke Sorgen.

Wieder ist es der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann, der „sein“ Projekt gefährdet sieht. Bei einem Hintergrundgespräch mit dem Calwer CDU-Abgeordneten Thomas Blenke bietet er an, zu vermitteln. Mitte März gab es dazu den Auftakt, Ergebnisse soll es bis zum Sommer geben. In der Pressemitteilung dazu vergisst es Winfried Hermann nicht, dar-auf hinzuweisen, dass er die Bahn als „sehr wichtiges Projekt für einen klimaverträglichen Verkehr“ ansehe.

„Diese Gespräche sind es, an denen wir momentan mit Hochdruck arbeiten“, sagt der Calwer Chefplaner Michael Stierle zum momentanen Stand der Planungen in Sachen Hesse-Bahn. Ob so der eine Klotz am Bein der Hesse-Bahn aus der Welt geschaffen werden kann? Die Gegenseite jedenfalls, der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle hatte noch im März erklärt, eher pessimistisch zu sein. „Wir sehen momentan keine Lösung für die Fledermäuse, die realistisch ist und finanzierbar wäre“, sagte Enssle nach dem Ministergespräch.

S-Bahn-Verspätung ist die Hauptallergie

Auch die andere dunkle Wolke am Himmel der Hesse-Bahn scheint nicht weniger dunkel zu werden. Das ist die Politik, vor allem die Bürgermeister im Kreis Böblingen. Wenn die Hesse-Bahn einmal in Weil der Stadt auf das S-Bahn-Netz trifft und nach Renningen weiterfährt, so wie es momentan geplant ist, dann könnte sie diese existenzielle Lebensader der ganzen Region stören. „S-Bahn-Verspätung“, das ist auch ohne Hesse-Bahn schon eine Hauptallergie der davon geplagten Pendler im Großraum Stuttgart. Kritisch begleitet hat das Projekt Hesse-Bahn daher auch von Anfang an der „Verband Region Stuttgart“ (VRS), der die S-Bahn betreibt. Auch hier – wen überrascht es – ist es der Verkehrsminister Hermann, der sich in diesen Streit einschaltet. Im Juni 2015 kommt es zu einem Spitzentreffen des Ministers mit der VRS-Direktorin Nicola Schelling und den beiden Landräten Roland Bernhard (Böblingen) und Helmut Riegger (Calw).

„Die Reaktivierung der Bahn zwischen Calw und Renningen wird vom Land, vom VRS sowie von den Landkreisen Calw und Böblingen und den Anrainerkommunen unterstützt“, verkündet die Pressestelle des Ministers nach dem Gespräch. Das Stichwort, unter dem der dort ausgehandelte Kompromiss seitdem genannt wird, lautet „Stufenkonzept“. Der Inhalt: Erst darf Calw seinen Dieselzug nach Renningen realisieren. Dann – eventuell – kümmert man sich um den VRS-Wunsch nach einer Verlängerung der S-Bahn bis Calw.

Diese Variante wünschen sich die Verkehrspolitiker im Kreis Böblingen, weil die S-Bahn dann durch keinen Dieselzug aus dem Takt gebracht werde. Calw steht der S-Bahn-Verlängerung immer schon kritisch gegenüber: Zu kompliziert, zu teuer, daraus werde ja eh nichts.

Das alles sollte man wissen, wenn man einen Satz liest, den die VRS-Verwaltung jetzt an eine Malmsheimer Bürgerinitiative formuliert hat. „Aus Sicht der Region“, heißt es da, „wird eine Änderung des Vorhabens von der Hesse-Bahn in eine S-Bahn-Verlängerung angestrebt, noch bevor verlorene Kosten – etwa für einen zusätzlichen Bahnsteig in Renningen – entstehen“. Investitionen für den Dieselzug will man hier stoppen und für den S-Bahn-Ausbau aufsparen. Konkret heißt das: Ganz offensiv will der Regionalverband offenbar das Stufenkonzept aufkündigen – das Stufenkonzept, das bisher immer als vom Minister ausgehandelter Burgfrieden akzeptiert wurde.

„Ich muss auf das Stufenkonzept hinweisen“, sagt denn auch Michael Stierle aus Calw, als er von der VRS-Aussage erfährt. Äußerst unwahrscheinlich sei es nämlich aus seiner Sicht, die S-Bahn zu realisieren, bevor der Dieselzug rolle. „Wir wissen momentan gar nicht, ob eine S-Bahn überhaupt wirtschaftlich wäre“, erklärt Michael Stierle.

Ob in einer solch angespannten Situation ein anderes Papier Entspannung bringen kann? Einen „Stresstest“ hat Calw erstellen lassen, der beweisen soll, dass die Hesse-Bahn das S-Bahn-Netz eben nicht stört. „Wir stimmen momentan den Termin ab, bei dem wir den Stresstest präsentieren wollen“, gibt Michael Stierle hier den momentanen Wasserstand durch. Denn die Verkehrsexperten der Region Stuttgart haben den Stresstest schon seit Weihachten vorliegen – ihn aber mit vielen Fragen versehen wieder nach Calw zurückgeschickt „Wir waren mit den Ergebnissen nicht zufrieden“, erklärt Annette Albers, die VRS-Referentin. Ob ihre Zweifel ausgeräumt werden können, bleibt abzuwarten. Notfalls steht einer bereit, der gerne vermittelt: Minister Hermann. Dessen Amtsperiode dauert bis 2021, eine reaktivierte Bahn will er bis dahin auf jeden Fall einweihen. Bis jetzt könnte das nur die Hesse-Bahn sein.