Das Geschäftsmodell von EN Storage war schöner Schein. Selbst angeblich vorhandene Datenspeicher sind unauffindbar. Der Insolvenzverwalter schätzt den Schaden auf mindestens 90 Millionen Euro. Rund 2000 Anleger bangen um ihr Geld.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Der Skandal um den Herrenberger IT-Dienstleister EN Storage nimmt ungeahnte Ausmaße an. Gemäß Auskunft des Insolvenzverwalters Holger Leichtle von der Kanzlei Schultze und Braun hat ein Großteil des in der Bilanz aufgeführten Geschäftsvolumens nie existiert. „Davon müssen wir nach heutigem Stand ausgehen“, sagt Leichtle. Darüber hinaus ist offenbar ein guter Teil der angeblich mit Anlegergeld angeschafften Technik unauffindbar. Die EN Storage hatte ihr Geld verdient, indem sie für angeblich internationale Kunden Daten speicherte – oder auch nicht. Jedenfalls tat sie es nicht im behaupteten Maße. Leichtle spricht von „wenigen vorhandenen Servern“.

 

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt seit Monaten gegen das Unternehmen. Im Februar waren die mittlerweile aufgegebenen Geschäftsräume in Herrenberg durchsucht worden. Edvin Novalic, einer der beiden Geschäftsführer, war verhaftet worden. Details zum Verfahren will die Staatsanwaltschaft frühestens Ende April bekannt geben. Bis dahin herrscht Stillschweigen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Der zweite Geschäftsführer Lutz Beier hatte wenige Tage nach der Durchsuchung die Anleger per Rundmail informiert und die Insolvenz beantragt. Beier ist auf freiem Fuß.

Für die Wertpapiere wurde bei Gala-Abenden geworben

Gemäß Schätzung des Insolvenzverwalters „dürfte sich der Schaden auf mindestens 90 Millionen Euro belaufen“. Das Geld hatten Novalic und Beier bundesweit von rund 2000 Anlegern eingesammelt und eine Verzinsung zwischen 5,6 und sieben Prozent versprochen. Wer sich solche Erträge sichern wollte, musste mindestens 1000 Euro überweisen. Für die Wertpapiere war bei Veranstaltungen geworben worden, die Gala-Abenden glichen. Teilweise sollten die Anleger mit ihrem Geld direkt in neue Server des Unternehmens investieren, die dem Namen der Anleger zugeordnet sein sollten. „So hatte das Unternehmen es ursprünglich zugesichert“, sagt Leichtle. Diese Zuordnung sei ihm bisher allerdings nicht gelungen.

In seiner letzten Bilanz hatte EN Storage einen Jahresumsatz von mehr als 55 Millionen Euro angegeben. Daraus errechneten Novalic und Beier einen Jahresüberschuss von 6,07 Millionen Euro – nach zuvor 4,66 Millionen Euro. Der Wirtschaftsprüfer Gerhard Platz bescheinigte, dass seine Bilanzprüfung „zu keinen Einwendungen geführt“ habe.

Die Zahlen beeindruckten nicht nur gutgläubige Anleger

Das Unternehmen hatte seit seiner Gründung im Jahr 2009 stetig wachsende Einnahmen gemeldet. Die Zahlen beeindruckten nicht nur gutgläubige Anleger, sondern auch die Fachpresse. Noch im Dezember 2016 hatte der Focus-Verlag in seiner Sonderpublikation „Die Wachstumschampions“ EN Storage hervorragende Zukunftsaussichten bescheinigt.

Offenkundig ist unklar, wohin das Anlegergeld geflossen ist. Die Kanzlei Schultze und Braun hat Forensik-Experten eingeschaltet, die womöglich verborgene Guthaben im In- und Ausland aufspüren sollen. „Das sind dieselben, die schon beim Flowtex-Skandal mit dabei waren“, sagt Ingo Schorlemmer, der Pressesprecher der Kanzlei. Dafür, dass Geld verschoben worden ist, „haben wir begründeten Verdacht“. Ob Anleger mit einer Rückzahlung ihres Geldes rechnen können, sei derzeit „nicht seriös abzuschätzen“, sagt Schorlemmer. Ob der Insolvenzverwalter zivilrechtliche Verfahren beginnen werde, um verlorenes Geld einzutreiben, sei ebenfalls offen.

Die 76 Mitarbeiter von EN Storage haben mit der Einstellung des Geschäftsbetriebs ihren Arbeitsplatz verloren. Sie leben derzeit von so genanntem Insolvenzgeld, einer staatlichen Übergangsleistung.