Marietta Ehret aus Renningen war die erste Schwangere, die bei der Entbindung im Leonberger Krankenhaus das neue Angebot nutzte, bei dem die Hebammen die Chefinnen sind – nicht die Ärzte. Würde die 31-Jährige wieder in den Hebammenkreißsaal wollen?

Dass die Kamera für eine kurze Zeit fast ununterbrochen blitzt, lässt Ronja kalt. Sie kuschelt sich in die Arme ihrer Mutter, die Augen geschlossen, und gibt keinen Mucks von sich. Ronja sei ein sehr entspanntes und braves Kind, sagt Marietta Ehret über ihre fast zwei Monate alte Tochter.

 

Ähnlich äußert sich die 31-Jährige, die zum ersten Mal Mutter geworden ist, über die Geburt im Leonberger Krankenhaus. „Ich empfand sie als sehr entspannt und ruhig. Keiner hat auf etwas gewartet. Es war so, wie man sich eine Geburt vorstellt“, sagt sie. Dass es auch anders geht, habe sie etwa von einer Freundin gehört. Nach und nach seien immer mehr Menschen – bis hin zur Oberärztin – in den Kreißsaal gekommen. Bei Marietta Ehret hingegen bestand das Personal erst aus nur einer Hebamme, eine zweite kam in der Pressphase hinzu. Das war’s.

Die Renningerin hat im neu eingeführten Hebammenkreißsaal ihr Kind zur Welt gebracht. Dieses Betreuungsmodell gibt es in Leonberg seit Anfang August, die dazugehörende Sprechstunde startete im Mai. Marietta Ehret war sowohl die erste Schwangere in der Sprechstunde als auch die erste, die das neue Angebot nutzte, bei dem die Hebammen die Chefinnen sind – nicht die Ärzte.

Sicherheit Klinikumfeld

„Ich habe vermutet, dass ich eine normale Geburt haben kann“, sagt Marietta Ehret. Sie war bis dato noch nie im Krankenhaus und wollte ihre Tochter möglichst natürlich entbinden, auf Interventionen verzichten – das heißt auf ärztliche oder sonstige medizinische Eingriffe und Medikamente.

Gleichzeitig fühlte sich Marietta Ehret sicher, weil sie auf der Geburtenstation der Klinik Leonberg war und damit Ärzte sofort zur Stelle sind. Die sie allerdings gar nicht brauchte, so, wie sie es sich gewünscht hatte. Gegen die Schmerzen hatte die Renningerin statt Medikamente ein Tens-Gerät an den Rücken bekommen, das Impulse aussendet. „Ein sehr wirkungsvolles, bewährtes Gerät und eine alternative Methode“, erläutert die leitende Hebamme am Leonberger Krankenhaus, Cornelia Kraus. Ihre zwei Kolleginnen, die Marietta Ehret bei der Geburt betreut haben, hätten von einer „Traumgeburt“ gesprochen.

„So arbeiten Hebammen gern“

Die Freude war aber nicht nur deshalb groß, weil bei Marietta Ehret alles reibungslos verlief. „So arbeiten Hebammen gern“, sagt Cornelia Kraus und spielt darauf an, dass im hebammengeführten Kreißsaal Schwangere ausschließlich von Hebammen begleitet werden, die somit eigenständig arbeiten. Erst wenn Komplikationen auftreten, ein Kaiserschnitt nötig wird oder die Frau wegen der Schmerzen nach einer Betäubung verlangt wie der Periduralanästhesie (PDA), erfolgt eine Überleitung in den ärztlich geleiteten Kreißsaal beziehungsweise wird ärztliche Hilfe hinzugezogen.

Cornelia Kraus betont, die Hebammen würden die Ärzte schätzen – selbstbestimmt zu arbeiten sei aber eben vollkommen anders. Die Verantwortung allein zu tragen sei freilich ein „anderes Stück“, gebe jedoch zugleich mehr Freiheit. „Wir können für die Schwangere zum Beispiel mehr da sein.“ Auch wird das pathologische Element laut Kraus weniger in den Vordergrund gestellt – also was bei einer Geburt alles schiefgehen kann. Das werde gerade bei Erstgebärenden zum Thema gemacht. Doch Studien hätten belegt, dass sich Frauen nach einer natürlichen Geburt meist besser fühlen. Marietta Ehret berichtet, dass sie während der Schwangerschaft „bücherfixiert“ gewesen sei und eine Menge darüber gefunden habe, was bei einer Geburt passieren kann.

Die Hebamme Cornelia Kraus zählt noch weitere Vorteile einer Geburt im Hebammenkreißsaal auf: Sie zeige, dass eine Frau sehr viel könne. „Generell hat eine Geburt für die Frau etwas unglaublich Stärkendes. Sie macht etwas mit uns.“ Wer im Hebammenkreißsaal entbinde, bereite sich auf die Geburt anders vor.

Neues Angebot kommt sehr gut an

Vorbereitung war auch in Leonberg nötig, viel sogar, denn ein Hebammenkreißsaal entsteht nicht über Nacht. Erfahrene Kliniken wurden ins Boot geholt. So hätten das Herrenberger Krankenhaus – es gehört wie der Standort in Leonberg zum Klinikverbund Südwest – und das in Bietigheim-Bissingen die Leonberger gebrieft und beraten. Es wurden Betreuungsrichtlinien und ein Risikokatalog erarbeitet, Fortbildungen und Mediationen absolviert. Auch ist ein Fragenkatalog für die erste Sprechstunde entstanden: Damit soll etwa geklärt werden, was die Schwangere von der Geburt erwartet. Ein Infozettel ist zurzeit in der Mache.

Alle Hebammen hätten sich für das neue Angebot ausgesprochen, sagt Cornelia Kraus und auch, dass alle Kolleginnen sowohl im Hebammenkreißsaal als auch zu ärztlich geführten Geburten antreten. Aktuell arbeiten im Team in Leonberg 15 Hebammen. Sie sei bisher sehr zufrieden, sagt Cornelia Kraus. Die Anmeldungen für den Hebammenkreißsaal sind bis November ausgebucht, und im Schnitt gehen fünf bis acht Anfragen mehr ein, als derzeit „Plätze“ zu vergeben sind – nämlich zehn pro Monat. „Wir haben vor, das Angebot auszubauen“, sagt Cornelia Kraus. Zunächst aber wolle man erst mal ein Jahr lang Erfahrungen sammeln.

Risikokatalog mit Ausschlusskriterien

Nicht jede Schwangere kann im Hebammenkreißsaal entbinden. Es ist am Ende rund ein Drittel der Frauen, die in der ersten Sprechstunde waren – „kerngesunde Frauen mit einer komplikationslosen Schwangerschaft“, sagt die Hebamme Kraus. Jener Risikokatalog definiert die Ausschlusskriterien, doch gelegentlich gilt es, im Einzelfall zu entscheiden, wie beim Alter über 40. Marietta Ehret sagt, sie würde wieder so entbinden. „Ich kann es nur empfehlen und habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt.“

Nordrhein-Westfalen baut massiv aus

Ziele
 Leonberg war die bundesweit 24. Klinik, die einen Hebammenkreißsaal eingerichtet hat. Ein ähnliches Konzept gibt es bislang in der Region zudem in Bad Cannstatt, Bietigheim-Bissingen und Herrenberg. Im Herrenberger Krankenhaus, das wie der Standort in Leonberg zum Klinikverbund Südwest gehört, hat man die Zahl der Geburten in den elf Jahren seit der Einführung verdoppelt. Mit der Einführung in Leonberg will der Klinikverbund Schwangeren ein neues Angebot machen, die Frauenklinik des Standortes stärken und den Klinikverbund als Arbeitgeber attraktiver machen. In Leonberg rechnet man 2022 mit rund 700 Geburten – weit weniger als im geburtenstarken Vorjahr.

Studie
 Operative Eingriffe und Schmerzmittel kommen bei Frauen, die ihre Geburt in einem hebammengeführten Kreißsaal beginnen, seltener zum Einsatz: Das ist ein Ergebnis eines mehrteiligen Forschungsprojekts des Universitätsklinikums Bonn, das im August 2020 vorgestellt wurde. Experten erklären das damit, dass Hebammen der Frau bei einer normalen Geburt mehr Zeit geben würden. Ein hinzugerufener Arzt hingegen sei eher darauf eingestellt zu intervenieren. Laut der Studie empfinden auch die Hebammen selbst die Arbeit in Hebammenkreißsälen als Bereicherung. Anno 2003 öffnete in Bremerhaven der bundesweit erste Hebammenkreißsaal – ein Angebot, das Nordrhein-Westfalen stark ausbaut: Bis Ende dieses Jahres soll es landesweit in 29 Kliniken dieses Konzept geben. NRW fördert die Einrichtung mit jeweils bis zu 25 000 Euro.